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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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wandten entgegenkam und daß in der wirklich herzlichen Neigung der beiden
jungen Leute die Ehestifter entschiedene Unterstützung fanden. Nachdem die
Verlobung eingeleitet war, fiel Stockmar die Aufgabe zu, den Prinzen Albert
für seinen Beruf zu erziehen. Und das ist ihm planmäßig gelungen. Den
Geist und Sinn des Prinzen selbst leitete Stockmar in seinen politischen Stu¬
dien; seine persönliche Einführung in die doch ziemlich schwierigen Verhält¬
nisse des Hofes der jungen Königin übernahm Stockmar zu arrangiren. Nicht
sehr freundlich kam man dem deutschen Prinzen bei Hofe entgegen; Stockmar
wußte die Schwierigkeiten zu mindern oder zu beseitigen. Die ökonomische
Stellung Albert's war sein Werk. Uns scheint in allen diesen delicaten
Dingen der eigentliche Regisseur Stockmar gewesen zu sein. Und fragen wir,
was das eigentlich Characteristische für sein Thun gewesen, so zeigt uns die
Beobachtung seiner Schritte und seiner Maximen, wie geschickt und verständig
er die gegebenen Verhältnisse zu nehmen wußte, wie er auf das Positive aus¬
ging und, den einmal ergriffenen Zielpunkt fest im Auge, als Practiker mit
der Realität der Dinge sich abfand. Derartige Aufgaben delicater Natur zu
lösen, derartige persönliche Verhältnisse schwierigen Characters befriedigend zu
gestalten, ist oft eine dornigere und mühvollere Aufgabe, jedenfalls ist sie
weniger lohnend, als die Leitung einer großen politischen Action. Stockmar
war ein Mann, auch diesen Dingen gewachsen. Und allen Grund haben die
Coburger in Belgien, in England, in Deutschland, diesem "geheimen Agen¬
ten" ihrer Familienpolitik für seine damaligen und späteren Dienste dankbar
zu sein.

Als Rathgeber und Freund blieb von nun an Stockmar dem englischen
Herrscherpaar zur Seite. König Leopold hatte ihn den jüngeren Verwandten
überlassen. Eine officielle Stellung hatte er eigentlich nicht mehr; Arzt der
Seelen und der Leiber war er, wie man es gerade brauchte. Im Cabinette
und in der Kinderstube machte er sich gleichmäßig nützlich. Politisches und
Persönliches besprach man mit ihm; zuverlässig und verschwiegen und voll
guten Rathes, durch Erfahrung und Einsicht gereift, so bewährte er sich in
jedem Falle; kurz er war ein Mann, auf den man bauen konnte. Und doch
hielt er sich in großer äußerer Unabhängigkeit. Er hatte sich nicht in Eng¬
land fixirt; er führte eigentlich ein Doppelleben, in Deutschland und in Eng¬
land. Seine Frau und Familie lebte in Coburg; er brachte sie nicht mit
sich an den Hof. Er kam und ging, wie es ihm paßte: er hatte sich keines¬
wegs gebunden. Um so eindringlicher und gewichtiger war das Wort seines
Rathes oder seiner Mahnung.

Der Gang der Dinge brachte es mit sich, daß dieser Mann auch der
Praetischen Gestaltung der deutschen Verhältnisse näher treten mußte. Das
ist es, was unser Interesse an ihm eigentlich anzieht.


wandten entgegenkam und daß in der wirklich herzlichen Neigung der beiden
jungen Leute die Ehestifter entschiedene Unterstützung fanden. Nachdem die
Verlobung eingeleitet war, fiel Stockmar die Aufgabe zu, den Prinzen Albert
für seinen Beruf zu erziehen. Und das ist ihm planmäßig gelungen. Den
Geist und Sinn des Prinzen selbst leitete Stockmar in seinen politischen Stu¬
dien; seine persönliche Einführung in die doch ziemlich schwierigen Verhält¬
nisse des Hofes der jungen Königin übernahm Stockmar zu arrangiren. Nicht
sehr freundlich kam man dem deutschen Prinzen bei Hofe entgegen; Stockmar
wußte die Schwierigkeiten zu mindern oder zu beseitigen. Die ökonomische
Stellung Albert's war sein Werk. Uns scheint in allen diesen delicaten
Dingen der eigentliche Regisseur Stockmar gewesen zu sein. Und fragen wir,
was das eigentlich Characteristische für sein Thun gewesen, so zeigt uns die
Beobachtung seiner Schritte und seiner Maximen, wie geschickt und verständig
er die gegebenen Verhältnisse zu nehmen wußte, wie er auf das Positive aus¬
ging und, den einmal ergriffenen Zielpunkt fest im Auge, als Practiker mit
der Realität der Dinge sich abfand. Derartige Aufgaben delicater Natur zu
lösen, derartige persönliche Verhältnisse schwierigen Characters befriedigend zu
gestalten, ist oft eine dornigere und mühvollere Aufgabe, jedenfalls ist sie
weniger lohnend, als die Leitung einer großen politischen Action. Stockmar
war ein Mann, auch diesen Dingen gewachsen. Und allen Grund haben die
Coburger in Belgien, in England, in Deutschland, diesem „geheimen Agen¬
ten" ihrer Familienpolitik für seine damaligen und späteren Dienste dankbar
zu sein.

Als Rathgeber und Freund blieb von nun an Stockmar dem englischen
Herrscherpaar zur Seite. König Leopold hatte ihn den jüngeren Verwandten
überlassen. Eine officielle Stellung hatte er eigentlich nicht mehr; Arzt der
Seelen und der Leiber war er, wie man es gerade brauchte. Im Cabinette
und in der Kinderstube machte er sich gleichmäßig nützlich. Politisches und
Persönliches besprach man mit ihm; zuverlässig und verschwiegen und voll
guten Rathes, durch Erfahrung und Einsicht gereift, so bewährte er sich in
jedem Falle; kurz er war ein Mann, auf den man bauen konnte. Und doch
hielt er sich in großer äußerer Unabhängigkeit. Er hatte sich nicht in Eng¬
land fixirt; er führte eigentlich ein Doppelleben, in Deutschland und in Eng¬
land. Seine Frau und Familie lebte in Coburg; er brachte sie nicht mit
sich an den Hof. Er kam und ging, wie es ihm paßte: er hatte sich keines¬
wegs gebunden. Um so eindringlicher und gewichtiger war das Wort seines
Rathes oder seiner Mahnung.

Der Gang der Dinge brachte es mit sich, daß dieser Mann auch der
Praetischen Gestaltung der deutschen Verhältnisse näher treten mußte. Das
ist es, was unser Interesse an ihm eigentlich anzieht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/333>, abgerufen am 22.07.2024.