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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Zur neuesten deutschen Geschichte,
in.
Sto ckmar.*)

Es geschah.Anfangs Juli 1848, daß der Name des Freiherrn von Stock-
mar dem deutschen politischen Publikum zuerst öffentlich bekannt wurde. Als
damals die provisorische Centralgewalt des Reichsverwesers in Frankfurt ein¬
gesetzt wurde, suchte man nach geeigneten Personen zur Bildung eines
Ministeriums. Natürlich, nur erprobte Liberale, als zuverlässig bekannte
konstitutionelle konnte man brauchen: sehr schwierig war die Wahl für alle
Posten, am schwierigsten aber für das auswärtige Amt. Man brauchte einen
Mann, der die europäischen Verhältnisse überschaute, der die große Politik der
Höhe schon kannte, und der dabei der deutschen nationalen Bewegung zu
dienen entschlossen war. Wenig Auswahl hatte man unter den berufsmäßigen
Politikern. Und ob man einen preußischen Diplomaten würde gewinnen
können, war noch sehr zweifelhaft. Nüchterne Erwägung hat damals schon
manchem Politiker gesagt, daß nur der engste Zusammenschluß der National¬
partei mit der preußischen Regierung irgend ein Resultat fördern könne.
Leider war diese Erwägung aber noch nicht verbreitet genug, träumerische
Begeisterung hatte die meisten Menschen gefesselt; "in Frankfurt gingen die
Dinge nach der Manier von Wolkenkuckuksheim." In diesem Frankfurter
Chaos, in welchem die Gegensätze und verworrenen Meinungen sich noch nicht
abgeklärt hatten, tauchte an einer Stelle die Ansicht auf, das Neichsministe-
rium des Auswärtigen müßte Stockmar anvertraut werden. Davon wurde
geredet und auch nach außen geschrieben. Bunsen sprach dann in London mit
Lord Palmerston. Verwundert fragte der: "Wer ist Stockmar?" "Wer anders",
entgegnete Bunsen, "als der Freiherr von Stockmar, den Sie sehr gut kennen".
Und in der That, den englischen Ministern war er schon sehr gut bekannt, in
Deutschland noch sehr wenig. In Deutschland suchte dann Gewinns in der deutschen



") Denkwürdigkeiten aus den Papieren des Freiherrn Christian Friedrich von Stockmar.
Zusammengestellt von Ernst Freiherr v. Stockmar. Bramischweig F. Vieweg K Sohn. 1872.
Grenzboten IV. 1872. 41
Zur neuesten deutschen Geschichte,
in.
Sto ckmar.*)

Es geschah.Anfangs Juli 1848, daß der Name des Freiherrn von Stock-
mar dem deutschen politischen Publikum zuerst öffentlich bekannt wurde. Als
damals die provisorische Centralgewalt des Reichsverwesers in Frankfurt ein¬
gesetzt wurde, suchte man nach geeigneten Personen zur Bildung eines
Ministeriums. Natürlich, nur erprobte Liberale, als zuverlässig bekannte
konstitutionelle konnte man brauchen: sehr schwierig war die Wahl für alle
Posten, am schwierigsten aber für das auswärtige Amt. Man brauchte einen
Mann, der die europäischen Verhältnisse überschaute, der die große Politik der
Höhe schon kannte, und der dabei der deutschen nationalen Bewegung zu
dienen entschlossen war. Wenig Auswahl hatte man unter den berufsmäßigen
Politikern. Und ob man einen preußischen Diplomaten würde gewinnen
können, war noch sehr zweifelhaft. Nüchterne Erwägung hat damals schon
manchem Politiker gesagt, daß nur der engste Zusammenschluß der National¬
partei mit der preußischen Regierung irgend ein Resultat fördern könne.
Leider war diese Erwägung aber noch nicht verbreitet genug, träumerische
Begeisterung hatte die meisten Menschen gefesselt; „in Frankfurt gingen die
Dinge nach der Manier von Wolkenkuckuksheim." In diesem Frankfurter
Chaos, in welchem die Gegensätze und verworrenen Meinungen sich noch nicht
abgeklärt hatten, tauchte an einer Stelle die Ansicht auf, das Neichsministe-
rium des Auswärtigen müßte Stockmar anvertraut werden. Davon wurde
geredet und auch nach außen geschrieben. Bunsen sprach dann in London mit
Lord Palmerston. Verwundert fragte der: „Wer ist Stockmar?" „Wer anders",
entgegnete Bunsen, „als der Freiherr von Stockmar, den Sie sehr gut kennen".
Und in der That, den englischen Ministern war er schon sehr gut bekannt, in
Deutschland noch sehr wenig. In Deutschland suchte dann Gewinns in der deutschen



") Denkwürdigkeiten aus den Papieren des Freiherrn Christian Friedrich von Stockmar.
Zusammengestellt von Ernst Freiherr v. Stockmar. Bramischweig F. Vieweg K Sohn. 1872.
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[0329] Zur neuesten deutschen Geschichte, in. Sto ckmar.*) Es geschah.Anfangs Juli 1848, daß der Name des Freiherrn von Stock- mar dem deutschen politischen Publikum zuerst öffentlich bekannt wurde. Als damals die provisorische Centralgewalt des Reichsverwesers in Frankfurt ein¬ gesetzt wurde, suchte man nach geeigneten Personen zur Bildung eines Ministeriums. Natürlich, nur erprobte Liberale, als zuverlässig bekannte konstitutionelle konnte man brauchen: sehr schwierig war die Wahl für alle Posten, am schwierigsten aber für das auswärtige Amt. Man brauchte einen Mann, der die europäischen Verhältnisse überschaute, der die große Politik der Höhe schon kannte, und der dabei der deutschen nationalen Bewegung zu dienen entschlossen war. Wenig Auswahl hatte man unter den berufsmäßigen Politikern. Und ob man einen preußischen Diplomaten würde gewinnen können, war noch sehr zweifelhaft. Nüchterne Erwägung hat damals schon manchem Politiker gesagt, daß nur der engste Zusammenschluß der National¬ partei mit der preußischen Regierung irgend ein Resultat fördern könne. Leider war diese Erwägung aber noch nicht verbreitet genug, träumerische Begeisterung hatte die meisten Menschen gefesselt; „in Frankfurt gingen die Dinge nach der Manier von Wolkenkuckuksheim." In diesem Frankfurter Chaos, in welchem die Gegensätze und verworrenen Meinungen sich noch nicht abgeklärt hatten, tauchte an einer Stelle die Ansicht auf, das Neichsministe- rium des Auswärtigen müßte Stockmar anvertraut werden. Davon wurde geredet und auch nach außen geschrieben. Bunsen sprach dann in London mit Lord Palmerston. Verwundert fragte der: „Wer ist Stockmar?" „Wer anders", entgegnete Bunsen, „als der Freiherr von Stockmar, den Sie sehr gut kennen". Und in der That, den englischen Ministern war er schon sehr gut bekannt, in Deutschland noch sehr wenig. In Deutschland suchte dann Gewinns in der deutschen ") Denkwürdigkeiten aus den Papieren des Freiherrn Christian Friedrich von Stockmar. Zusammengestellt von Ernst Freiherr v. Stockmar. Bramischweig F. Vieweg K Sohn. 1872. Grenzboten IV. 1872. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/329>, abgerufen am 22.07.2024.