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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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soviel an Jahren zählen. Ein guter Theil deutschen Schaffens auf allen Ge¬
bieten ist darauf gerichtet, in der kurzen Stunde der Ueberraschung des hohen
Winterfestes Andere zu erfreuen, und betrachtet den Weihnachtsmarkt als den
lohnendsten Markt des Jahres. Putz und Flitter, Süßigkeiten und Tände¬
leien oder schweres werthvolles Geräth schenken sich die Nationen, die dem
Deutschen seine Weihnacht nachzuahmen angefangen haben. Dem Deutschen
ist unter den Aepseln, Nüssen und Pfefferkuchen und der Ergänzung practischer
"Bedürfnisse", welche das Auge der Liebe für uns ersonnen hat, wenn wir sie
nicht selbst empfanden, und neben der Erfüllung stiller Wünsche oder Lieb¬
habereien, ein Geschenk gewiß: ein neues Buch. Kein Alter und kein Ge¬
schlecht, kann dieser Gabe entgehen, keines wird darauf verzichten wollen! So
Manchem wird an diesem Tage, nicht blos bis zum nächsten Christtag, son¬
dern für sein Lebtag durch ein neues Buch aus lieber Hand eine neue Welt
erschlossen. Wir Deutschen sind eben einmal "Ideologen", wie uns der erste
Napoleon nach der Schlacht von Jena spöttisch nannte. Mit derselben In¬
brunst, mit der das deutsche Kind sein Bilderbuch vom heiligen Christ er¬
bittet, hofft die deutsche Jungfrau am Weihnachtsabend auf ihre Classiker-
ausgabe, der deutsche Gelehrte auf ein lange ersehntes Fachwerk. Diese
Blätter, die mit dem Tannenbaum immer grün bleiben, haben von jeher
ihre Leser gern zur Umschau und sorgfältigen Auswahl geführt auf den Weih¬
nachtsbüchermarkt.

Ein Fest der Jugend, der jugendfrischem und jugendkräftigen Empfindung
erwartet uns. So mag denn auch an die Spitze der diesjährigen Weihnachts¬
bücherschau ein Unternehmen gestellt werden, welches Jung und Alt gleich
lebhaft ansprechen und fesseln wird.

Wir, die wir mit dem "Struwelpeter" aufgewachsen sind, und als erste
Bilderbuchpoesie die Verse einsogen: "Ein toller Wolf in Polen fraß den
Tischler sammt dem Winkelmaß", wir erkennen die Wahrheit des Wortes,
welches die heutige Erziehungsweisheit ausmacht: "Das Beste ist gerade
gut genug für Kinder."

Dieses Wort könnte als Motto an die Spitze der Jllustrirten Monats¬
hefte gestellt werden, welche Julius Lohmeyer im Verlag von Alphons
Dürr in Leipzig unter dem Titel "Deutsche Jugend" herausgibt, während
Oscar Pietsch die künstlerische Leitung der Illustrationen übernommen hat.
Denn zum ersten Male sammelt eine lediglich der Unterhaltung und Beleh¬
rung der deutschen Jugend gewidmete Monatsschrift die besten Dichter, die
hervorragendsten Jugendschriftsteller und die tüchtigsten Künstler der Nation
unter ihre Mitarbeiter. Eine Jugendzeitschrift, an welcher Dichter von Gottes
Gnaden mitwirken, wie Emanuel Geibel, Klaus Groth und Friedrich Boden-
stedt, zu welchem Eduard Möricke, Ottilie Wildermuth, Julius Sturm, Her-


soviel an Jahren zählen. Ein guter Theil deutschen Schaffens auf allen Ge¬
bieten ist darauf gerichtet, in der kurzen Stunde der Ueberraschung des hohen
Winterfestes Andere zu erfreuen, und betrachtet den Weihnachtsmarkt als den
lohnendsten Markt des Jahres. Putz und Flitter, Süßigkeiten und Tände¬
leien oder schweres werthvolles Geräth schenken sich die Nationen, die dem
Deutschen seine Weihnacht nachzuahmen angefangen haben. Dem Deutschen
ist unter den Aepseln, Nüssen und Pfefferkuchen und der Ergänzung practischer
„Bedürfnisse", welche das Auge der Liebe für uns ersonnen hat, wenn wir sie
nicht selbst empfanden, und neben der Erfüllung stiller Wünsche oder Lieb¬
habereien, ein Geschenk gewiß: ein neues Buch. Kein Alter und kein Ge¬
schlecht, kann dieser Gabe entgehen, keines wird darauf verzichten wollen! So
Manchem wird an diesem Tage, nicht blos bis zum nächsten Christtag, son¬
dern für sein Lebtag durch ein neues Buch aus lieber Hand eine neue Welt
erschlossen. Wir Deutschen sind eben einmal „Ideologen", wie uns der erste
Napoleon nach der Schlacht von Jena spöttisch nannte. Mit derselben In¬
brunst, mit der das deutsche Kind sein Bilderbuch vom heiligen Christ er¬
bittet, hofft die deutsche Jungfrau am Weihnachtsabend auf ihre Classiker-
ausgabe, der deutsche Gelehrte auf ein lange ersehntes Fachwerk. Diese
Blätter, die mit dem Tannenbaum immer grün bleiben, haben von jeher
ihre Leser gern zur Umschau und sorgfältigen Auswahl geführt auf den Weih¬
nachtsbüchermarkt.

Ein Fest der Jugend, der jugendfrischem und jugendkräftigen Empfindung
erwartet uns. So mag denn auch an die Spitze der diesjährigen Weihnachts¬
bücherschau ein Unternehmen gestellt werden, welches Jung und Alt gleich
lebhaft ansprechen und fesseln wird.

Wir, die wir mit dem „Struwelpeter" aufgewachsen sind, und als erste
Bilderbuchpoesie die Verse einsogen: „Ein toller Wolf in Polen fraß den
Tischler sammt dem Winkelmaß", wir erkennen die Wahrheit des Wortes,
welches die heutige Erziehungsweisheit ausmacht: „Das Beste ist gerade
gut genug für Kinder."

Dieses Wort könnte als Motto an die Spitze der Jllustrirten Monats¬
hefte gestellt werden, welche Julius Lohmeyer im Verlag von Alphons
Dürr in Leipzig unter dem Titel „Deutsche Jugend" herausgibt, während
Oscar Pietsch die künstlerische Leitung der Illustrationen übernommen hat.
Denn zum ersten Male sammelt eine lediglich der Unterhaltung und Beleh¬
rung der deutschen Jugend gewidmete Monatsschrift die besten Dichter, die
hervorragendsten Jugendschriftsteller und die tüchtigsten Künstler der Nation
unter ihre Mitarbeiter. Eine Jugendzeitschrift, an welcher Dichter von Gottes
Gnaden mitwirken, wie Emanuel Geibel, Klaus Groth und Friedrich Boden-
stedt, zu welchem Eduard Möricke, Ottilie Wildermuth, Julius Sturm, Her-


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[0327] soviel an Jahren zählen. Ein guter Theil deutschen Schaffens auf allen Ge¬ bieten ist darauf gerichtet, in der kurzen Stunde der Ueberraschung des hohen Winterfestes Andere zu erfreuen, und betrachtet den Weihnachtsmarkt als den lohnendsten Markt des Jahres. Putz und Flitter, Süßigkeiten und Tände¬ leien oder schweres werthvolles Geräth schenken sich die Nationen, die dem Deutschen seine Weihnacht nachzuahmen angefangen haben. Dem Deutschen ist unter den Aepseln, Nüssen und Pfefferkuchen und der Ergänzung practischer „Bedürfnisse", welche das Auge der Liebe für uns ersonnen hat, wenn wir sie nicht selbst empfanden, und neben der Erfüllung stiller Wünsche oder Lieb¬ habereien, ein Geschenk gewiß: ein neues Buch. Kein Alter und kein Ge¬ schlecht, kann dieser Gabe entgehen, keines wird darauf verzichten wollen! So Manchem wird an diesem Tage, nicht blos bis zum nächsten Christtag, son¬ dern für sein Lebtag durch ein neues Buch aus lieber Hand eine neue Welt erschlossen. Wir Deutschen sind eben einmal „Ideologen", wie uns der erste Napoleon nach der Schlacht von Jena spöttisch nannte. Mit derselben In¬ brunst, mit der das deutsche Kind sein Bilderbuch vom heiligen Christ er¬ bittet, hofft die deutsche Jungfrau am Weihnachtsabend auf ihre Classiker- ausgabe, der deutsche Gelehrte auf ein lange ersehntes Fachwerk. Diese Blätter, die mit dem Tannenbaum immer grün bleiben, haben von jeher ihre Leser gern zur Umschau und sorgfältigen Auswahl geführt auf den Weih¬ nachtsbüchermarkt. Ein Fest der Jugend, der jugendfrischem und jugendkräftigen Empfindung erwartet uns. So mag denn auch an die Spitze der diesjährigen Weihnachts¬ bücherschau ein Unternehmen gestellt werden, welches Jung und Alt gleich lebhaft ansprechen und fesseln wird. Wir, die wir mit dem „Struwelpeter" aufgewachsen sind, und als erste Bilderbuchpoesie die Verse einsogen: „Ein toller Wolf in Polen fraß den Tischler sammt dem Winkelmaß", wir erkennen die Wahrheit des Wortes, welches die heutige Erziehungsweisheit ausmacht: „Das Beste ist gerade gut genug für Kinder." Dieses Wort könnte als Motto an die Spitze der Jllustrirten Monats¬ hefte gestellt werden, welche Julius Lohmeyer im Verlag von Alphons Dürr in Leipzig unter dem Titel „Deutsche Jugend" herausgibt, während Oscar Pietsch die künstlerische Leitung der Illustrationen übernommen hat. Denn zum ersten Male sammelt eine lediglich der Unterhaltung und Beleh¬ rung der deutschen Jugend gewidmete Monatsschrift die besten Dichter, die hervorragendsten Jugendschriftsteller und die tüchtigsten Künstler der Nation unter ihre Mitarbeiter. Eine Jugendzeitschrift, an welcher Dichter von Gottes Gnaden mitwirken, wie Emanuel Geibel, Klaus Groth und Friedrich Boden- stedt, zu welchem Eduard Möricke, Ottilie Wildermuth, Julius Sturm, Her-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/327>, abgerufen am 22.07.2024.