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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Staatsdienst bisher ganz fremd war. Man begnügt sich nicht mehr mit Orden
und Ehrenzeichen, sondern beschenkt bei Gelegenheit selbst die höchsten Staats,
beamten mit einigen hundert Thalern für besondere Dienste oder zur Auf¬
besserung ihrer Finanzen, Gerade diese durch die neuesten Zeitverhältnisse
herbeigeführte Verquickung des öffentlichen Dienstes mit so zu sagen patrimo-
nialen Regiment ist der passende Boden für die Thätigkeit' des Herrn v. Sick.
Während er im Innern die Rolle des Majordomus oder Hausmaers spielen
soll, ist Herrn von Mittnacht die ungleich schwierigere Rolle zugefallen, auf
dem schlüpfrigen Boden der Reichspolitik die Bedingungen der Forterhaltung
dieses harmlosen politischen Stilllebens zu sichern.

Die nationale Partei hat hiernach keinen Anlaß, zumal bei dem neuesten
Entgegenkommen der Regierungsorgane, sich dem Ministerium gegenüber feind¬
lich zu verhalten -- und doch läßt sich nicht leugnen, daß gerade der neueste
woäus vivencli zwischen ihr und der Regierung wesentlich dazu beiträgt, die
bisherige Parteiorganisation zu zerstören. Es war nicht zu hindern, daß seit
1870 eine Reihe von Elementen, welche bis dahin jedes offene Bekenntniß
zum deutschen Programm vermieden hatten, gleichsam mit Regierungserlaub¬
niß der nationalen Partei beitraten und durch ihre Stellung als Abgeordnete
Einfluß auf die Richtung derselben gewannen. Die Folge war eine matte,
unentschiedene Haltung in den wichtigsten Fragen der nationalen Politik, so¬
wohl im Verhältnisse zur Regierung als zur ultramontanen Gegnerschaft.
Die Parteigenossen vom Lande aber verwarfen, hierdurch mißtrauisch geworden,
letzten Sommer auf einer Delegirtenversammlung das von Stuttgart aus vor¬
gelegte Zukunftsprogramm in der ausgesprochenen Absicht, statt allgemeiner
Redensarten eine bestimmte Aeußerung über die Zielpunkte der Partei gegen¬
über den brennenden Fragen der Gegenwart herbeizuführen, selbst auf die Ge¬
fahr hin, der Negierung auch fernerhin unangenehm zu sein. Seitdem ist
es nicht gelungen, eine Einigung über ein neues Programm herbeizuführen.
Wir erkennen hierin einen Fingerzeig für die nationale Partei Schwabens,
daß dieselbe ihren bisherigen Particularismus, eine eigene schwäbische "deutsche
Partei" sein zu wollen, aufgeben und sich nach den Gegensätzen scheiden muß,
welche die Parteigruppirung im Reichstage bestimmen, sie wird dadurch -- und
die konservative Seite hat bereits einen rühmlichen Anfang hierzu gemacht --
genöthigt werden, mit den Parteigenossen in den Nachbarstaaten engere Füh¬
lung zu gewinnen, und wird so durch ihre Auflösung die Weiterentwickelung
der nationalen Sache im Süden nur fördern. --

Die Angelegenheit des Bischofs Hefele von Rottenburg hat hier zu Lande
durchaus nicht das Aufsehen erregt, welches die Manifestationen dieses Mannes
auswärts hervorgerufen haben. Die ultramontane Partei hat bei uns längst die
unbedingteHerrschastin der katholischen Kirche erlangt. Allerdings mußte man der


Staatsdienst bisher ganz fremd war. Man begnügt sich nicht mehr mit Orden
und Ehrenzeichen, sondern beschenkt bei Gelegenheit selbst die höchsten Staats,
beamten mit einigen hundert Thalern für besondere Dienste oder zur Auf¬
besserung ihrer Finanzen, Gerade diese durch die neuesten Zeitverhältnisse
herbeigeführte Verquickung des öffentlichen Dienstes mit so zu sagen patrimo-
nialen Regiment ist der passende Boden für die Thätigkeit' des Herrn v. Sick.
Während er im Innern die Rolle des Majordomus oder Hausmaers spielen
soll, ist Herrn von Mittnacht die ungleich schwierigere Rolle zugefallen, auf
dem schlüpfrigen Boden der Reichspolitik die Bedingungen der Forterhaltung
dieses harmlosen politischen Stilllebens zu sichern.

Die nationale Partei hat hiernach keinen Anlaß, zumal bei dem neuesten
Entgegenkommen der Regierungsorgane, sich dem Ministerium gegenüber feind¬
lich zu verhalten — und doch läßt sich nicht leugnen, daß gerade der neueste
woäus vivencli zwischen ihr und der Regierung wesentlich dazu beiträgt, die
bisherige Parteiorganisation zu zerstören. Es war nicht zu hindern, daß seit
1870 eine Reihe von Elementen, welche bis dahin jedes offene Bekenntniß
zum deutschen Programm vermieden hatten, gleichsam mit Regierungserlaub¬
niß der nationalen Partei beitraten und durch ihre Stellung als Abgeordnete
Einfluß auf die Richtung derselben gewannen. Die Folge war eine matte,
unentschiedene Haltung in den wichtigsten Fragen der nationalen Politik, so¬
wohl im Verhältnisse zur Regierung als zur ultramontanen Gegnerschaft.
Die Parteigenossen vom Lande aber verwarfen, hierdurch mißtrauisch geworden,
letzten Sommer auf einer Delegirtenversammlung das von Stuttgart aus vor¬
gelegte Zukunftsprogramm in der ausgesprochenen Absicht, statt allgemeiner
Redensarten eine bestimmte Aeußerung über die Zielpunkte der Partei gegen¬
über den brennenden Fragen der Gegenwart herbeizuführen, selbst auf die Ge¬
fahr hin, der Negierung auch fernerhin unangenehm zu sein. Seitdem ist
es nicht gelungen, eine Einigung über ein neues Programm herbeizuführen.
Wir erkennen hierin einen Fingerzeig für die nationale Partei Schwabens,
daß dieselbe ihren bisherigen Particularismus, eine eigene schwäbische „deutsche
Partei" sein zu wollen, aufgeben und sich nach den Gegensätzen scheiden muß,
welche die Parteigruppirung im Reichstage bestimmen, sie wird dadurch — und
die konservative Seite hat bereits einen rühmlichen Anfang hierzu gemacht —
genöthigt werden, mit den Parteigenossen in den Nachbarstaaten engere Füh¬
lung zu gewinnen, und wird so durch ihre Auflösung die Weiterentwickelung
der nationalen Sache im Süden nur fördern. —

Die Angelegenheit des Bischofs Hefele von Rottenburg hat hier zu Lande
durchaus nicht das Aufsehen erregt, welches die Manifestationen dieses Mannes
auswärts hervorgerufen haben. Die ultramontane Partei hat bei uns längst die
unbedingteHerrschastin der katholischen Kirche erlangt. Allerdings mußte man der


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[0323] Staatsdienst bisher ganz fremd war. Man begnügt sich nicht mehr mit Orden und Ehrenzeichen, sondern beschenkt bei Gelegenheit selbst die höchsten Staats, beamten mit einigen hundert Thalern für besondere Dienste oder zur Auf¬ besserung ihrer Finanzen, Gerade diese durch die neuesten Zeitverhältnisse herbeigeführte Verquickung des öffentlichen Dienstes mit so zu sagen patrimo- nialen Regiment ist der passende Boden für die Thätigkeit' des Herrn v. Sick. Während er im Innern die Rolle des Majordomus oder Hausmaers spielen soll, ist Herrn von Mittnacht die ungleich schwierigere Rolle zugefallen, auf dem schlüpfrigen Boden der Reichspolitik die Bedingungen der Forterhaltung dieses harmlosen politischen Stilllebens zu sichern. Die nationale Partei hat hiernach keinen Anlaß, zumal bei dem neuesten Entgegenkommen der Regierungsorgane, sich dem Ministerium gegenüber feind¬ lich zu verhalten — und doch läßt sich nicht leugnen, daß gerade der neueste woäus vivencli zwischen ihr und der Regierung wesentlich dazu beiträgt, die bisherige Parteiorganisation zu zerstören. Es war nicht zu hindern, daß seit 1870 eine Reihe von Elementen, welche bis dahin jedes offene Bekenntniß zum deutschen Programm vermieden hatten, gleichsam mit Regierungserlaub¬ niß der nationalen Partei beitraten und durch ihre Stellung als Abgeordnete Einfluß auf die Richtung derselben gewannen. Die Folge war eine matte, unentschiedene Haltung in den wichtigsten Fragen der nationalen Politik, so¬ wohl im Verhältnisse zur Regierung als zur ultramontanen Gegnerschaft. Die Parteigenossen vom Lande aber verwarfen, hierdurch mißtrauisch geworden, letzten Sommer auf einer Delegirtenversammlung das von Stuttgart aus vor¬ gelegte Zukunftsprogramm in der ausgesprochenen Absicht, statt allgemeiner Redensarten eine bestimmte Aeußerung über die Zielpunkte der Partei gegen¬ über den brennenden Fragen der Gegenwart herbeizuführen, selbst auf die Ge¬ fahr hin, der Negierung auch fernerhin unangenehm zu sein. Seitdem ist es nicht gelungen, eine Einigung über ein neues Programm herbeizuführen. Wir erkennen hierin einen Fingerzeig für die nationale Partei Schwabens, daß dieselbe ihren bisherigen Particularismus, eine eigene schwäbische „deutsche Partei" sein zu wollen, aufgeben und sich nach den Gegensätzen scheiden muß, welche die Parteigruppirung im Reichstage bestimmen, sie wird dadurch — und die konservative Seite hat bereits einen rühmlichen Anfang hierzu gemacht — genöthigt werden, mit den Parteigenossen in den Nachbarstaaten engere Füh¬ lung zu gewinnen, und wird so durch ihre Auflösung die Weiterentwickelung der nationalen Sache im Süden nur fördern. — Die Angelegenheit des Bischofs Hefele von Rottenburg hat hier zu Lande durchaus nicht das Aufsehen erregt, welches die Manifestationen dieses Mannes auswärts hervorgerufen haben. Die ultramontane Partei hat bei uns längst die unbedingteHerrschastin der katholischen Kirche erlangt. Allerdings mußte man der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/323>, abgerufen am 22.07.2024.