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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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während^ der neolithischen Periode zurückgezogen. In der letzteren traten in
England nun Ziege, Schaf, das langstirnige Rind (Los lonKilrons) und
der Hund auf. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse in Deutschland, wie
Fraas an den Funden bei der Schussenquelle gezeigt hat.

Unter dem Stalagmit der Kent'shöhle in der Höhlenerde sind nun Löwe
und Hyäne sehr häufig; ebenso Grizzly- und Höhlenbär. Fuchs, Wolf und
Vielfraß sind selten; das Mammuth ist nicht häufig, dagegen sind das wollige
Rhinoceros, der Auerochs und das Renthier wieder gemein. Hierzu kommt
noch der säbelzahnige Tiger. Das sind die Thiere der paläolithischen Zeit in
der Höhle. In der schwarzen Dammerde aber, über dem eine Reihe von Jahr¬
tausenden repräsentirenden Stalagmitlager tritt uns die jüngere neolithische
Fauna entgegen: Hund, langstirniges Rind, Reh, Schaf. Ziege, Schwein,
Kaninchen, die alle in der Höhlenerde fehlen.

Hier ist nun naturgemäß die Frage aufzuwerfen: brachte der Mensch die
Ueberbleibsel dieser Thiere in die Höhle oder waren sie nach und nach einzeln
von Menschen und Thieren bewohnt? Wahrscheinlich lebten in solchen Höhlen,
wo die Knochen der Thiere sich ungebrochen finden, zuerst die Thiere; sie
starben dort eines natürlichen Todes und erst später siedelte der Mensch sich
dort an. Wo aber die Knochen der Thiere augenscheinlich zerbrochen, oder
gar der Länge nach aufgeschlitzt sind, um zum Marke zu gelangen, wo die
Knochen vom Feuer geschwärzt erscheinen, wo sie zwischen den Nadeln und
Spinnwirteln der Weiber liegen, da darf man wohl schließen, daß sie von
den Menschen als Jagdbeute in die Höhle geschleppt wurden. Das ist der
Fall in Kent's Cave wie Evans, im Hohlefels in Schwaben'wie Fraas
nachwies.

In noch ältere Zeit, zu einer noch früheren Rasse führen uns endlich
die Waffen und Geräthe zurück, welche in den Fluthan schwemmungen, der
sog. Drift der Engländer gefunden wurden. Dieser Zweig unserer Kunde der
Alterthümer des Menschengeschlechts ist vergleichsweise noch jung zu nennen.
Boucher de Perthes war es, der im Jahre 1847 zuerst auf die Feuersteinge-
räthe hinwies, die man in den Sand- und Kiesgruben bei Abbeville im nörd¬
lichen Frankreich ausgrub. Er nahm für sie menschlichen Ursprung in An¬
spruch und das gleiche verlangte 1855 ol-. Rigolet für die Funde von Se.
Acheul. Er hatte dort, zehn Fuß unter der Oberfläche im Verein mit den
Knochen ausgestorbener Thiere Feuersteinwerkzeuge gefunden die, so roh sie
auch waren, unzweifelhaft die Spuren menschlicher Thätigkeit zeigten. Die
Zahl der Ungläubigen war groß, zumal in Frankreich. Man glaubte die
Herren Boucher de Perthes und Rigolet hätten sich gewaltig getäuscht. Da
ging im Jahre 1858 eine englische Commission, bestehend aus Dr. Falconer,
Prestwich und Evans nach Abbeville und Amiens, untersuchte die Ablagerungen


während^ der neolithischen Periode zurückgezogen. In der letzteren traten in
England nun Ziege, Schaf, das langstirnige Rind (Los lonKilrons) und
der Hund auf. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse in Deutschland, wie
Fraas an den Funden bei der Schussenquelle gezeigt hat.

Unter dem Stalagmit der Kent'shöhle in der Höhlenerde sind nun Löwe
und Hyäne sehr häufig; ebenso Grizzly- und Höhlenbär. Fuchs, Wolf und
Vielfraß sind selten; das Mammuth ist nicht häufig, dagegen sind das wollige
Rhinoceros, der Auerochs und das Renthier wieder gemein. Hierzu kommt
noch der säbelzahnige Tiger. Das sind die Thiere der paläolithischen Zeit in
der Höhle. In der schwarzen Dammerde aber, über dem eine Reihe von Jahr¬
tausenden repräsentirenden Stalagmitlager tritt uns die jüngere neolithische
Fauna entgegen: Hund, langstirniges Rind, Reh, Schaf. Ziege, Schwein,
Kaninchen, die alle in der Höhlenerde fehlen.

Hier ist nun naturgemäß die Frage aufzuwerfen: brachte der Mensch die
Ueberbleibsel dieser Thiere in die Höhle oder waren sie nach und nach einzeln
von Menschen und Thieren bewohnt? Wahrscheinlich lebten in solchen Höhlen,
wo die Knochen der Thiere sich ungebrochen finden, zuerst die Thiere; sie
starben dort eines natürlichen Todes und erst später siedelte der Mensch sich
dort an. Wo aber die Knochen der Thiere augenscheinlich zerbrochen, oder
gar der Länge nach aufgeschlitzt sind, um zum Marke zu gelangen, wo die
Knochen vom Feuer geschwärzt erscheinen, wo sie zwischen den Nadeln und
Spinnwirteln der Weiber liegen, da darf man wohl schließen, daß sie von
den Menschen als Jagdbeute in die Höhle geschleppt wurden. Das ist der
Fall in Kent's Cave wie Evans, im Hohlefels in Schwaben'wie Fraas
nachwies.

In noch ältere Zeit, zu einer noch früheren Rasse führen uns endlich
die Waffen und Geräthe zurück, welche in den Fluthan schwemmungen, der
sog. Drift der Engländer gefunden wurden. Dieser Zweig unserer Kunde der
Alterthümer des Menschengeschlechts ist vergleichsweise noch jung zu nennen.
Boucher de Perthes war es, der im Jahre 1847 zuerst auf die Feuersteinge-
räthe hinwies, die man in den Sand- und Kiesgruben bei Abbeville im nörd¬
lichen Frankreich ausgrub. Er nahm für sie menschlichen Ursprung in An¬
spruch und das gleiche verlangte 1855 ol-. Rigolet für die Funde von Se.
Acheul. Er hatte dort, zehn Fuß unter der Oberfläche im Verein mit den
Knochen ausgestorbener Thiere Feuersteinwerkzeuge gefunden die, so roh sie
auch waren, unzweifelhaft die Spuren menschlicher Thätigkeit zeigten. Die
Zahl der Ungläubigen war groß, zumal in Frankreich. Man glaubte die
Herren Boucher de Perthes und Rigolet hätten sich gewaltig getäuscht. Da
ging im Jahre 1858 eine englische Commission, bestehend aus Dr. Falconer,
Prestwich und Evans nach Abbeville und Amiens, untersuchte die Ablagerungen


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[0312] während^ der neolithischen Periode zurückgezogen. In der letzteren traten in England nun Ziege, Schaf, das langstirnige Rind (Los lonKilrons) und der Hund auf. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse in Deutschland, wie Fraas an den Funden bei der Schussenquelle gezeigt hat. Unter dem Stalagmit der Kent'shöhle in der Höhlenerde sind nun Löwe und Hyäne sehr häufig; ebenso Grizzly- und Höhlenbär. Fuchs, Wolf und Vielfraß sind selten; das Mammuth ist nicht häufig, dagegen sind das wollige Rhinoceros, der Auerochs und das Renthier wieder gemein. Hierzu kommt noch der säbelzahnige Tiger. Das sind die Thiere der paläolithischen Zeit in der Höhle. In der schwarzen Dammerde aber, über dem eine Reihe von Jahr¬ tausenden repräsentirenden Stalagmitlager tritt uns die jüngere neolithische Fauna entgegen: Hund, langstirniges Rind, Reh, Schaf. Ziege, Schwein, Kaninchen, die alle in der Höhlenerde fehlen. Hier ist nun naturgemäß die Frage aufzuwerfen: brachte der Mensch die Ueberbleibsel dieser Thiere in die Höhle oder waren sie nach und nach einzeln von Menschen und Thieren bewohnt? Wahrscheinlich lebten in solchen Höhlen, wo die Knochen der Thiere sich ungebrochen finden, zuerst die Thiere; sie starben dort eines natürlichen Todes und erst später siedelte der Mensch sich dort an. Wo aber die Knochen der Thiere augenscheinlich zerbrochen, oder gar der Länge nach aufgeschlitzt sind, um zum Marke zu gelangen, wo die Knochen vom Feuer geschwärzt erscheinen, wo sie zwischen den Nadeln und Spinnwirteln der Weiber liegen, da darf man wohl schließen, daß sie von den Menschen als Jagdbeute in die Höhle geschleppt wurden. Das ist der Fall in Kent's Cave wie Evans, im Hohlefels in Schwaben'wie Fraas nachwies. In noch ältere Zeit, zu einer noch früheren Rasse führen uns endlich die Waffen und Geräthe zurück, welche in den Fluthan schwemmungen, der sog. Drift der Engländer gefunden wurden. Dieser Zweig unserer Kunde der Alterthümer des Menschengeschlechts ist vergleichsweise noch jung zu nennen. Boucher de Perthes war es, der im Jahre 1847 zuerst auf die Feuersteinge- räthe hinwies, die man in den Sand- und Kiesgruben bei Abbeville im nörd¬ lichen Frankreich ausgrub. Er nahm für sie menschlichen Ursprung in An¬ spruch und das gleiche verlangte 1855 ol-. Rigolet für die Funde von Se. Acheul. Er hatte dort, zehn Fuß unter der Oberfläche im Verein mit den Knochen ausgestorbener Thiere Feuersteinwerkzeuge gefunden die, so roh sie auch waren, unzweifelhaft die Spuren menschlicher Thätigkeit zeigten. Die Zahl der Ungläubigen war groß, zumal in Frankreich. Man glaubte die Herren Boucher de Perthes und Rigolet hätten sich gewaltig getäuscht. Da ging im Jahre 1858 eine englische Commission, bestehend aus Dr. Falconer, Prestwich und Evans nach Abbeville und Amiens, untersuchte die Ablagerungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/312>, abgerufen am 22.07.2024.