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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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den Schriften: "Preußen im Jahre 1845" und "Das königliche
Wort Friedrich Wilhelms des Dritten." In erster Instanz wieder
zu zwei und einem halben Jahre Festung verurtheilt, wurde er durch Er¬
kenntniß des ostpreußischen Tribunals in Königsberg abermals freigesprochen.
Im Jahre 1849 klagte man ihn wegen Theilnahme an dem sogenannten
"Rumpf-Parlamente" des Hochverraths an; die Geschworenen erklärten ihn
"nichtschuldig" und der Gerichtshof sprach ihn frei.

Aber dieser Mann, der so stark war im Fordern des verbrieften Rechtes,
erwies sich schwach und unvermögend in Handhabung der Kunst der prac-
tischen Politik, d. h. in dem Gebrauche des geforderten Rechtes, nachdem es
gewährt war. Um diesen Mangel auszugleichen, ist er, je mehr sein Alter m-
und sein Erfolg abnahm, desto mehr nach Links gerückt. Am Beginn seiner
Laufbahn Vorkämpfer der konstitutionellen Monarchie, und zwar der preu¬
ßischen Monarchie, -- ist er jetzt utopistischer Republikaner. Bor 1866 jahre¬
lang getreues Mitglied des Nationalvereins, hat er seitdem die einheitlichen
und nationalen Einrichtungen, welche das letzte Lustrum gebar, auf das Feind¬
seligste bekämpft. Früher Vertheidiger des Rechtsstaates, verlangt er jetzt ab¬
solute Einmischung der Regierung in das wirthschaftliche Leben der bürger¬
lichen Gesellschaft. Zuerst Altliberaler und Fortschrittsmann, ist er nach und
nach Volks-Partei-Mann, föderativer Republikaner, Social-Demokrat und An¬
hänger der Herren Bebel und Liebknecht geworden.

Am 20. Januar 1870 hielt er in der Wählerversammlung des zweiten
Berliner Wahlkreises (Landtag) eine, Rede, deren Urheber ebensogut der Com-
munarde Bebel oder der Professor Schmoller hätte sein können. Er verlangte
"gleiche Theilnahme an dem Genuß und den Gütern der Erde" für "Alles,
was Menschen-Antlitz trägt". Er verlangt von dem Staat, daß er diesen
Zustand herbeiführe dadurch, daß er sich in die Privatwirthschaft einmische
um "eine gerechtere Vertheilung des Arbeitsertrages" zu erzielen. Was das
ist, wie es der Staat zu Stande bringen soll, darüber beobachtet er das tiefste
Schweigen. Soll die Gesetzgebung Minimalsätze für den Lohn und Maximal¬
sätze für die Preise und die Miethen fixiren? Und wie soll man ein solches
Gesetz durchführen? Soll man den Arbeitnehmer, welchem der Lohn zu niedrig
ist, zur Arbeit mit Gewalt anhalten? Soll man den Arbeitgeber, welchem die
Löhne zu hoch sind, zwingen, dennoch fortarbeiten zu lassen, auch wenn er und
sein Geschäft darüber zu Grunde geht? Oder soll man dem Minister des
Innern, Grafen zu Eulenburg, eine unbeschränkte Polizei-Dictatur übertragen?
Oder soll man den Handelsminister, Grafen von Jtzenplitz, ermächtigen, sich
in jedem Geschäfte der Casse zu bemächtigen und nach eigenem Gutdünken
die Geschäfts-Erträgnisse zu vertheilen? Wo würde man aber unter solchen
Umständen die Narren finden, welche geneigt wären, ein Geschäft zu betreiben?


den Schriften: „Preußen im Jahre 1845" und „Das königliche
Wort Friedrich Wilhelms des Dritten." In erster Instanz wieder
zu zwei und einem halben Jahre Festung verurtheilt, wurde er durch Er¬
kenntniß des ostpreußischen Tribunals in Königsberg abermals freigesprochen.
Im Jahre 1849 klagte man ihn wegen Theilnahme an dem sogenannten
„Rumpf-Parlamente" des Hochverraths an; die Geschworenen erklärten ihn
„nichtschuldig" und der Gerichtshof sprach ihn frei.

Aber dieser Mann, der so stark war im Fordern des verbrieften Rechtes,
erwies sich schwach und unvermögend in Handhabung der Kunst der prac-
tischen Politik, d. h. in dem Gebrauche des geforderten Rechtes, nachdem es
gewährt war. Um diesen Mangel auszugleichen, ist er, je mehr sein Alter m-
und sein Erfolg abnahm, desto mehr nach Links gerückt. Am Beginn seiner
Laufbahn Vorkämpfer der konstitutionellen Monarchie, und zwar der preu¬
ßischen Monarchie, — ist er jetzt utopistischer Republikaner. Bor 1866 jahre¬
lang getreues Mitglied des Nationalvereins, hat er seitdem die einheitlichen
und nationalen Einrichtungen, welche das letzte Lustrum gebar, auf das Feind¬
seligste bekämpft. Früher Vertheidiger des Rechtsstaates, verlangt er jetzt ab¬
solute Einmischung der Regierung in das wirthschaftliche Leben der bürger¬
lichen Gesellschaft. Zuerst Altliberaler und Fortschrittsmann, ist er nach und
nach Volks-Partei-Mann, föderativer Republikaner, Social-Demokrat und An¬
hänger der Herren Bebel und Liebknecht geworden.

Am 20. Januar 1870 hielt er in der Wählerversammlung des zweiten
Berliner Wahlkreises (Landtag) eine, Rede, deren Urheber ebensogut der Com-
munarde Bebel oder der Professor Schmoller hätte sein können. Er verlangte
„gleiche Theilnahme an dem Genuß und den Gütern der Erde" für „Alles,
was Menschen-Antlitz trägt". Er verlangt von dem Staat, daß er diesen
Zustand herbeiführe dadurch, daß er sich in die Privatwirthschaft einmische
um „eine gerechtere Vertheilung des Arbeitsertrages" zu erzielen. Was das
ist, wie es der Staat zu Stande bringen soll, darüber beobachtet er das tiefste
Schweigen. Soll die Gesetzgebung Minimalsätze für den Lohn und Maximal¬
sätze für die Preise und die Miethen fixiren? Und wie soll man ein solches
Gesetz durchführen? Soll man den Arbeitnehmer, welchem der Lohn zu niedrig
ist, zur Arbeit mit Gewalt anhalten? Soll man den Arbeitgeber, welchem die
Löhne zu hoch sind, zwingen, dennoch fortarbeiten zu lassen, auch wenn er und
sein Geschäft darüber zu Grunde geht? Oder soll man dem Minister des
Innern, Grafen zu Eulenburg, eine unbeschränkte Polizei-Dictatur übertragen?
Oder soll man den Handelsminister, Grafen von Jtzenplitz, ermächtigen, sich
in jedem Geschäfte der Casse zu bemächtigen und nach eigenem Gutdünken
die Geschäfts-Erträgnisse zu vertheilen? Wo würde man aber unter solchen
Umständen die Narren finden, welche geneigt wären, ein Geschäft zu betreiben?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/299>, abgerufen am 02.10.2024.