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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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das Kammergericht in Berlin sei competent. Das letztere dagegen erklärte
das erstere für competent und sich für incompetent. Darüber ging das Jahr
1841 zu Ende. Am 20. April 1842 erging das Erkenntniß erster Instanz.
Der Criminal-Senat des k. Kammergerichts in Berlin sprach den Angeklagten
wegen des Hochverraths frei, verurtheilte ihn aber wegen Majestätsbeleidigung
u, s. w. zu einer Festungsstrafe von zwei und einem halben Jahre und zum
Verlust der Nationalkokarde. Drei Vierteljahre später, am 20. Januar 1843,
nachdem die ganze Procedur beinahe zwei Jahre gedauert hatte, hob der
Appellations-Senat des Kammergerichts die Verurtheilung auf und erkannte
auf gänzliche Freisprechung.

Während dieser zwei Jahre war Jacoby der Liebling der Nation ge¬
worden. Seine Provinz, sein Land, ganz Deutschland stand hinter ihm. Man
faßte den Proceß so auf. als wenn er in Sachen des Johann Jacoby von
Königsberg, Klägers, wider die königliche Krone von Preußen, Verklagte, auf
Erfüllung des Vertrags vom 22. Mai 1815 und auf Mündigsprechung des
Volkes geführt würde. Wir Alle sahen in Jacoby's Verurtheilung unsere
eigene Niederlage, in seiner Freisprechung unsern eigenen Sieg; und wir
glaubten fest, die Weltgeschichte werde das Erkenntniß des Gerichtes vollstrecken.
Das starre Festhalten Jacoby's an dem verbrieften Rechte; seine ewig wieder¬
holte Mahnung an Erfüllung des königlichen Wortes, eine Mahnung, welche
das Volk befriedigte, weil sie strenge und ernst, und die das monarchische Ge¬
fühl nicht verletzte, weil sie dabei höchst ehrerbietig war; die Furchtlosigkeit
in der Vertheidigungsweise, bei welcher er keinen Zoll zurückwich, sondern sein
Recht, das sich am Ende immer mehr mit dem Rechte des Volkes auf Mün¬
digsprechung zu identificiren schien, immer von Neuem und immer besser und
tiefer begründete; seine Vertheidigungsschriften, welche er in der Schweiz
drucken lassen mußte, die aber trotz Bundestag und Landespolizei in Deutsch¬
land den Weg in alle Hände zu finden wußten; seine stets klare, bestimmte,
überzeugende Ausdrucksweise, welche das damals so beliebte Mittel der Phra¬
seologie gänzlich verschmähten; das elende stagniren der Verfassungsfrage in
Preußen, dieses ewige Experimentiren, dieses ewige Hangen und Bangen
in schwebender Pein, das keine Partei befriedigte und mit jedem Tage
mehr reizte, -- Alles das machte Jacoby zum gefeiertsten Manne in Deutsch¬
land. Niemals sind einem einfachen Privatmann größere Ehren erwiesen
worden.

Das war der Zenith seines Ruhmes.

Daß derselbe sich nicht verminderte, dafür sorgten die ewig erneuerten
Anklagen, welche die preußische Justiz -- zur höchsten Ehre ihrer Unabhängig¬
keit sei dies gesagt -- mit ewig erneueren Freisprechungen beantwortete. Im
Jahre 184S wurde er abermals in Untersuchung gezogen, und zwar wegen


das Kammergericht in Berlin sei competent. Das letztere dagegen erklärte
das erstere für competent und sich für incompetent. Darüber ging das Jahr
1841 zu Ende. Am 20. April 1842 erging das Erkenntniß erster Instanz.
Der Criminal-Senat des k. Kammergerichts in Berlin sprach den Angeklagten
wegen des Hochverraths frei, verurtheilte ihn aber wegen Majestätsbeleidigung
u, s. w. zu einer Festungsstrafe von zwei und einem halben Jahre und zum
Verlust der Nationalkokarde. Drei Vierteljahre später, am 20. Januar 1843,
nachdem die ganze Procedur beinahe zwei Jahre gedauert hatte, hob der
Appellations-Senat des Kammergerichts die Verurtheilung auf und erkannte
auf gänzliche Freisprechung.

Während dieser zwei Jahre war Jacoby der Liebling der Nation ge¬
worden. Seine Provinz, sein Land, ganz Deutschland stand hinter ihm. Man
faßte den Proceß so auf. als wenn er in Sachen des Johann Jacoby von
Königsberg, Klägers, wider die königliche Krone von Preußen, Verklagte, auf
Erfüllung des Vertrags vom 22. Mai 1815 und auf Mündigsprechung des
Volkes geführt würde. Wir Alle sahen in Jacoby's Verurtheilung unsere
eigene Niederlage, in seiner Freisprechung unsern eigenen Sieg; und wir
glaubten fest, die Weltgeschichte werde das Erkenntniß des Gerichtes vollstrecken.
Das starre Festhalten Jacoby's an dem verbrieften Rechte; seine ewig wieder¬
holte Mahnung an Erfüllung des königlichen Wortes, eine Mahnung, welche
das Volk befriedigte, weil sie strenge und ernst, und die das monarchische Ge¬
fühl nicht verletzte, weil sie dabei höchst ehrerbietig war; die Furchtlosigkeit
in der Vertheidigungsweise, bei welcher er keinen Zoll zurückwich, sondern sein
Recht, das sich am Ende immer mehr mit dem Rechte des Volkes auf Mün¬
digsprechung zu identificiren schien, immer von Neuem und immer besser und
tiefer begründete; seine Vertheidigungsschriften, welche er in der Schweiz
drucken lassen mußte, die aber trotz Bundestag und Landespolizei in Deutsch¬
land den Weg in alle Hände zu finden wußten; seine stets klare, bestimmte,
überzeugende Ausdrucksweise, welche das damals so beliebte Mittel der Phra¬
seologie gänzlich verschmähten; das elende stagniren der Verfassungsfrage in
Preußen, dieses ewige Experimentiren, dieses ewige Hangen und Bangen
in schwebender Pein, das keine Partei befriedigte und mit jedem Tage
mehr reizte, — Alles das machte Jacoby zum gefeiertsten Manne in Deutsch¬
land. Niemals sind einem einfachen Privatmann größere Ehren erwiesen
worden.

Das war der Zenith seines Ruhmes.

Daß derselbe sich nicht verminderte, dafür sorgten die ewig erneuerten
Anklagen, welche die preußische Justiz — zur höchsten Ehre ihrer Unabhängig¬
keit sei dies gesagt — mit ewig erneueren Freisprechungen beantwortete. Im
Jahre 184S wurde er abermals in Untersuchung gezogen, und zwar wegen


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[0298] das Kammergericht in Berlin sei competent. Das letztere dagegen erklärte das erstere für competent und sich für incompetent. Darüber ging das Jahr 1841 zu Ende. Am 20. April 1842 erging das Erkenntniß erster Instanz. Der Criminal-Senat des k. Kammergerichts in Berlin sprach den Angeklagten wegen des Hochverraths frei, verurtheilte ihn aber wegen Majestätsbeleidigung u, s. w. zu einer Festungsstrafe von zwei und einem halben Jahre und zum Verlust der Nationalkokarde. Drei Vierteljahre später, am 20. Januar 1843, nachdem die ganze Procedur beinahe zwei Jahre gedauert hatte, hob der Appellations-Senat des Kammergerichts die Verurtheilung auf und erkannte auf gänzliche Freisprechung. Während dieser zwei Jahre war Jacoby der Liebling der Nation ge¬ worden. Seine Provinz, sein Land, ganz Deutschland stand hinter ihm. Man faßte den Proceß so auf. als wenn er in Sachen des Johann Jacoby von Königsberg, Klägers, wider die königliche Krone von Preußen, Verklagte, auf Erfüllung des Vertrags vom 22. Mai 1815 und auf Mündigsprechung des Volkes geführt würde. Wir Alle sahen in Jacoby's Verurtheilung unsere eigene Niederlage, in seiner Freisprechung unsern eigenen Sieg; und wir glaubten fest, die Weltgeschichte werde das Erkenntniß des Gerichtes vollstrecken. Das starre Festhalten Jacoby's an dem verbrieften Rechte; seine ewig wieder¬ holte Mahnung an Erfüllung des königlichen Wortes, eine Mahnung, welche das Volk befriedigte, weil sie strenge und ernst, und die das monarchische Ge¬ fühl nicht verletzte, weil sie dabei höchst ehrerbietig war; die Furchtlosigkeit in der Vertheidigungsweise, bei welcher er keinen Zoll zurückwich, sondern sein Recht, das sich am Ende immer mehr mit dem Rechte des Volkes auf Mün¬ digsprechung zu identificiren schien, immer von Neuem und immer besser und tiefer begründete; seine Vertheidigungsschriften, welche er in der Schweiz drucken lassen mußte, die aber trotz Bundestag und Landespolizei in Deutsch¬ land den Weg in alle Hände zu finden wußten; seine stets klare, bestimmte, überzeugende Ausdrucksweise, welche das damals so beliebte Mittel der Phra¬ seologie gänzlich verschmähten; das elende stagniren der Verfassungsfrage in Preußen, dieses ewige Experimentiren, dieses ewige Hangen und Bangen in schwebender Pein, das keine Partei befriedigte und mit jedem Tage mehr reizte, — Alles das machte Jacoby zum gefeiertsten Manne in Deutsch¬ land. Niemals sind einem einfachen Privatmann größere Ehren erwiesen worden. Das war der Zenith seines Ruhmes. Daß derselbe sich nicht verminderte, dafür sorgten die ewig erneuerten Anklagen, welche die preußische Justiz — zur höchsten Ehre ihrer Unabhängig¬ keit sei dies gesagt — mit ewig erneueren Freisprechungen beantwortete. Im Jahre 184S wurde er abermals in Untersuchung gezogen, und zwar wegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/298>, abgerufen am 22.07.2024.