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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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abwendet und in seinem Blatte, der "Zukunft", die bisherigen Freunde und
Parteigenossen, welche, die Einen früher, die Andern später, die Basis accep-
tiren, welche aus den Ereignissen von 1866 hervorgegangen, deshalb mit einer
Schonungslosigkeit und Unduldsamkeit verfolgt, welche sich seltsam ausnimmt
in dem Munde des bisherigen Anwaltes des Unterdrückten, welcher politischer
Kctzerrichter gegen Andersgläubige geworden zu sein scheint in demselben Augen¬
blicke, wo die bürgerliche Zurücksetzung der religiös Andersgläubigen aushört.
Es zeigt uns ferner, wie der Mann, welcher so stolz ist auf seine Consequenz,
dadurch, daß er dieselbe lediglich formell auffaßt und die Zeitereignisse voll¬
ständig ignornt, aus einem aufrichtigen Freunde der Humanität, der Cultur
und Gesittung, aus einem Vorkämpfer des moralischen Verfassungs- und
Rechtsstaates mit Freiheit der Person und des Eigenthums, zu einem Anno^
lythen von Bebel und Liebknecht wird, d. h. zu einem Anhänger des auf das
Gesammteigenthum basirten "Volksstaates", welcher "Krieg dem Capital" und
Classen-Kampf predigt und das persönliche Eigenthum und die persönliche Frei¬
heit in dem vernichtenden Schlunde der allgemeinen Barbarei verschwinden zu
machen droht, indem er die Pariser Commune, dieses an Gewaltthat so reiche
und an Ideen so arme Scheusal, als leuchtendes Vorbild aufstellt.

Treten wir den Thatsachen etwas näher. Johann Jacoby ist geboren
in Königsberg und wohnhaft daselbst. Mit Ausnahme eines kurzen Aufent¬
halts in Heidelberg, einiger Sommer-Reisen und Bade-Touren und der je¬
weiligen politischen Reisen, hat er sich niemals an einem andern Orte aufge¬
halten, als in der "Stadt der reinen Vernunft", welche staatsrechtlich erst seit
Kurzem zu Deutschland gehört. Königsberg hat im Beginn des Jahrhunderts
furchtbar gelitten und trotzdem im Jahr 1813 Großes geleistet. Es herrscht
dort die in einzelnen Dingen nicht ungerechtfertigte Meinung, der Staat thue
nicht genug für Ostpreußen und für seine Provinzialhauptstadt. Einige sagen:
der Staat thut nichts für uns, und deshalb müssen wir ihm Opposition
machen, um ihn für die Vernachlässigung zu bestrafen; Andere sagen: die
Negierung thut nichts für uns, wir müssen ihr daher entgegenkommen, um
ihre Gunst zu gewinnen. So kommt es, daß hier die Mittelparteien fehlen
und die hyperconservativen Regierungsmänner auf der einen, die radicalen
Oppositionsmänner auf der andern Seite, einander schroff gegenüber stehen.
Dies zeigt sich namentlich bei den Wahlen, aus welchen reihum Männer der
äußersten Rechten oder Männer der äußersten Linken in demselben Bezirke
hervorgehen, je nachdem die Regierung, welche sich niemals neutral hält, siegt
oder unterliegt.

Natürlich waren vor länger als einem Menschenalter die Dinge noch
schärfer gespannt; und inmitten jener Spannung erwarb sich Ostpreußen das
große Verdienst, unter Hintansetzung seiner materiellen Interessen (Eisenbahn


abwendet und in seinem Blatte, der „Zukunft", die bisherigen Freunde und
Parteigenossen, welche, die Einen früher, die Andern später, die Basis accep-
tiren, welche aus den Ereignissen von 1866 hervorgegangen, deshalb mit einer
Schonungslosigkeit und Unduldsamkeit verfolgt, welche sich seltsam ausnimmt
in dem Munde des bisherigen Anwaltes des Unterdrückten, welcher politischer
Kctzerrichter gegen Andersgläubige geworden zu sein scheint in demselben Augen¬
blicke, wo die bürgerliche Zurücksetzung der religiös Andersgläubigen aushört.
Es zeigt uns ferner, wie der Mann, welcher so stolz ist auf seine Consequenz,
dadurch, daß er dieselbe lediglich formell auffaßt und die Zeitereignisse voll¬
ständig ignornt, aus einem aufrichtigen Freunde der Humanität, der Cultur
und Gesittung, aus einem Vorkämpfer des moralischen Verfassungs- und
Rechtsstaates mit Freiheit der Person und des Eigenthums, zu einem Anno^
lythen von Bebel und Liebknecht wird, d. h. zu einem Anhänger des auf das
Gesammteigenthum basirten „Volksstaates", welcher „Krieg dem Capital" und
Classen-Kampf predigt und das persönliche Eigenthum und die persönliche Frei¬
heit in dem vernichtenden Schlunde der allgemeinen Barbarei verschwinden zu
machen droht, indem er die Pariser Commune, dieses an Gewaltthat so reiche
und an Ideen so arme Scheusal, als leuchtendes Vorbild aufstellt.

Treten wir den Thatsachen etwas näher. Johann Jacoby ist geboren
in Königsberg und wohnhaft daselbst. Mit Ausnahme eines kurzen Aufent¬
halts in Heidelberg, einiger Sommer-Reisen und Bade-Touren und der je¬
weiligen politischen Reisen, hat er sich niemals an einem andern Orte aufge¬
halten, als in der „Stadt der reinen Vernunft", welche staatsrechtlich erst seit
Kurzem zu Deutschland gehört. Königsberg hat im Beginn des Jahrhunderts
furchtbar gelitten und trotzdem im Jahr 1813 Großes geleistet. Es herrscht
dort die in einzelnen Dingen nicht ungerechtfertigte Meinung, der Staat thue
nicht genug für Ostpreußen und für seine Provinzialhauptstadt. Einige sagen:
der Staat thut nichts für uns, und deshalb müssen wir ihm Opposition
machen, um ihn für die Vernachlässigung zu bestrafen; Andere sagen: die
Negierung thut nichts für uns, wir müssen ihr daher entgegenkommen, um
ihre Gunst zu gewinnen. So kommt es, daß hier die Mittelparteien fehlen
und die hyperconservativen Regierungsmänner auf der einen, die radicalen
Oppositionsmänner auf der andern Seite, einander schroff gegenüber stehen.
Dies zeigt sich namentlich bei den Wahlen, aus welchen reihum Männer der
äußersten Rechten oder Männer der äußersten Linken in demselben Bezirke
hervorgehen, je nachdem die Regierung, welche sich niemals neutral hält, siegt
oder unterliegt.

Natürlich waren vor länger als einem Menschenalter die Dinge noch
schärfer gespannt; und inmitten jener Spannung erwarb sich Ostpreußen das
große Verdienst, unter Hintansetzung seiner materiellen Interessen (Eisenbahn


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[0295] abwendet und in seinem Blatte, der „Zukunft", die bisherigen Freunde und Parteigenossen, welche, die Einen früher, die Andern später, die Basis accep- tiren, welche aus den Ereignissen von 1866 hervorgegangen, deshalb mit einer Schonungslosigkeit und Unduldsamkeit verfolgt, welche sich seltsam ausnimmt in dem Munde des bisherigen Anwaltes des Unterdrückten, welcher politischer Kctzerrichter gegen Andersgläubige geworden zu sein scheint in demselben Augen¬ blicke, wo die bürgerliche Zurücksetzung der religiös Andersgläubigen aushört. Es zeigt uns ferner, wie der Mann, welcher so stolz ist auf seine Consequenz, dadurch, daß er dieselbe lediglich formell auffaßt und die Zeitereignisse voll¬ ständig ignornt, aus einem aufrichtigen Freunde der Humanität, der Cultur und Gesittung, aus einem Vorkämpfer des moralischen Verfassungs- und Rechtsstaates mit Freiheit der Person und des Eigenthums, zu einem Anno^ lythen von Bebel und Liebknecht wird, d. h. zu einem Anhänger des auf das Gesammteigenthum basirten „Volksstaates", welcher „Krieg dem Capital" und Classen-Kampf predigt und das persönliche Eigenthum und die persönliche Frei¬ heit in dem vernichtenden Schlunde der allgemeinen Barbarei verschwinden zu machen droht, indem er die Pariser Commune, dieses an Gewaltthat so reiche und an Ideen so arme Scheusal, als leuchtendes Vorbild aufstellt. Treten wir den Thatsachen etwas näher. Johann Jacoby ist geboren in Königsberg und wohnhaft daselbst. Mit Ausnahme eines kurzen Aufent¬ halts in Heidelberg, einiger Sommer-Reisen und Bade-Touren und der je¬ weiligen politischen Reisen, hat er sich niemals an einem andern Orte aufge¬ halten, als in der „Stadt der reinen Vernunft", welche staatsrechtlich erst seit Kurzem zu Deutschland gehört. Königsberg hat im Beginn des Jahrhunderts furchtbar gelitten und trotzdem im Jahr 1813 Großes geleistet. Es herrscht dort die in einzelnen Dingen nicht ungerechtfertigte Meinung, der Staat thue nicht genug für Ostpreußen und für seine Provinzialhauptstadt. Einige sagen: der Staat thut nichts für uns, und deshalb müssen wir ihm Opposition machen, um ihn für die Vernachlässigung zu bestrafen; Andere sagen: die Negierung thut nichts für uns, wir müssen ihr daher entgegenkommen, um ihre Gunst zu gewinnen. So kommt es, daß hier die Mittelparteien fehlen und die hyperconservativen Regierungsmänner auf der einen, die radicalen Oppositionsmänner auf der andern Seite, einander schroff gegenüber stehen. Dies zeigt sich namentlich bei den Wahlen, aus welchen reihum Männer der äußersten Rechten oder Männer der äußersten Linken in demselben Bezirke hervorgehen, je nachdem die Regierung, welche sich niemals neutral hält, siegt oder unterliegt. Natürlich waren vor länger als einem Menschenalter die Dinge noch schärfer gespannt; und inmitten jener Spannung erwarb sich Ostpreußen das große Verdienst, unter Hintansetzung seiner materiellen Interessen (Eisenbahn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/295>, abgerufen am 22.07.2024.