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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Während also dieser Standpunkt bei einem Autor, wie Jacoby, sehr ge-
rechtfertigt erscheint, vermag ihn natürlich der Verleger des Buches durchaus
nicht zu theilen. Für ihn, von seinem mercantilen Standpunkte aus, welchem
mit den "Manchestermännern" jedes sittliche Pathos fremd ist, erscheint jede
Schlappe des Autors als eine Schlappe für das Buch, und folglich als eine
Schlappe für sich selbst. -- Vielleicht ist hierin der Grund zu suchen, warum
jetzt noch, Monate nach dem Erscheinen des Buchs, von welchem man Anfangs
ohne Zweifel annahm, der Name des berühmten Verfassers werde allein hin¬
reichen, alle vierzehn Tage eine neue Auflage zu bewerkstelligen, diese identische
Note ihre verspätete Nunde durch alle Zeitungen macht. Und vielleicht er¬
klärt sich daraus auch der Inhalt der Note. Seit dreißig Jahren spielt
Jacoby eine hervorragende Rolle in der preußischen Politik; all sein Dichten
und Trachten ist entweder ausschließlich politisch, oder doch ganz und gar von
Politik durchdrungen; namentlich sind dies seine Schriften und Reden. Man
hat ihn zwar zum Oeftern "den Königsberger Philosophen" genannt. Aber
man verband damit gewiß nicht den Begriff des Fachgelehrten. Auch seinen
begeistertsten Anhängern ist es niemals eingefallen, ihn mit Kant und Fichte,
mit Hegel und Schilling, oder auch nur mit v. Hartmann und Schopenhauer,
auf eine Linie zu stellen. Man nannte ihn einen "Philosophen", aber man
dachte dabei nicht an die Gelehrsamkeit, sondern an den Charakter.
Man wollte damit nicht sagen, dieser Mann wird ein neues System erfinden,
welches die Wissenschaft reformirt. Man wollte sagen, dieser Mann ist ein
stoischer Charakter, welchen die Freuden und Leiden dieser Welt unberührt
lassen; nichts ficht ihn an, weder Sonnenschein, noch Regen, weder Volksgunst
noch Kerkerhaft, weder das "Hosiemncch" noch das "Kreuzige"; selbst die
größten welthistorischen Ereignisse gehen ohne Eindruck an ihm vorüber, er
kann aus ihnen nichts lernen, sie vermögen seine Principien nicht umzustoßen,
ja nicht im Geringsten zu modificiren; er haust in stolzer und erhabener
Einsamkeit im Kreise weniger, mit äußerster Sorgfalt ausgewählter Einge¬
weihter; nur selten, wenn es Noth und Pflicht gebietet, kommt er herunter
gestiegen, gleich dem Alten vom Berge, und verkündet der Menge, deren Ohr
an seinen Lippen hängt und nach den Worten seines Mundes dürstet, Worte
des Heils und der Weisheit, um dann wieder in sein erhabenes Dunkel zu
schwinden; auch im Abgeordnetenhause enthält er sich der profanen Arbeiten
in den Commissionen, zu welchen ja die gewöhnlichen parlamentarischen Kuli's
gut genug sind, auch mischt er sich nicht mit Rede und Gegenrede in den
täglichen Kampf der Parteien; nur einmal in jeder Sitzungsperiode bricht er
sein majestätisches Schweigen, um im steinernsten Lapidarstyl eine kurze Rede
wider die Reichsverfassung, oder wider das preußische Budget im Allgemeinen
zu halten, welche Rede mit einem jener drei zerschmetternden Citate schließt,


Während also dieser Standpunkt bei einem Autor, wie Jacoby, sehr ge-
rechtfertigt erscheint, vermag ihn natürlich der Verleger des Buches durchaus
nicht zu theilen. Für ihn, von seinem mercantilen Standpunkte aus, welchem
mit den „Manchestermännern" jedes sittliche Pathos fremd ist, erscheint jede
Schlappe des Autors als eine Schlappe für das Buch, und folglich als eine
Schlappe für sich selbst. — Vielleicht ist hierin der Grund zu suchen, warum
jetzt noch, Monate nach dem Erscheinen des Buchs, von welchem man Anfangs
ohne Zweifel annahm, der Name des berühmten Verfassers werde allein hin¬
reichen, alle vierzehn Tage eine neue Auflage zu bewerkstelligen, diese identische
Note ihre verspätete Nunde durch alle Zeitungen macht. Und vielleicht er¬
klärt sich daraus auch der Inhalt der Note. Seit dreißig Jahren spielt
Jacoby eine hervorragende Rolle in der preußischen Politik; all sein Dichten
und Trachten ist entweder ausschließlich politisch, oder doch ganz und gar von
Politik durchdrungen; namentlich sind dies seine Schriften und Reden. Man
hat ihn zwar zum Oeftern „den Königsberger Philosophen" genannt. Aber
man verband damit gewiß nicht den Begriff des Fachgelehrten. Auch seinen
begeistertsten Anhängern ist es niemals eingefallen, ihn mit Kant und Fichte,
mit Hegel und Schilling, oder auch nur mit v. Hartmann und Schopenhauer,
auf eine Linie zu stellen. Man nannte ihn einen „Philosophen", aber man
dachte dabei nicht an die Gelehrsamkeit, sondern an den Charakter.
Man wollte damit nicht sagen, dieser Mann wird ein neues System erfinden,
welches die Wissenschaft reformirt. Man wollte sagen, dieser Mann ist ein
stoischer Charakter, welchen die Freuden und Leiden dieser Welt unberührt
lassen; nichts ficht ihn an, weder Sonnenschein, noch Regen, weder Volksgunst
noch Kerkerhaft, weder das „Hosiemncch" noch das „Kreuzige"; selbst die
größten welthistorischen Ereignisse gehen ohne Eindruck an ihm vorüber, er
kann aus ihnen nichts lernen, sie vermögen seine Principien nicht umzustoßen,
ja nicht im Geringsten zu modificiren; er haust in stolzer und erhabener
Einsamkeit im Kreise weniger, mit äußerster Sorgfalt ausgewählter Einge¬
weihter; nur selten, wenn es Noth und Pflicht gebietet, kommt er herunter
gestiegen, gleich dem Alten vom Berge, und verkündet der Menge, deren Ohr
an seinen Lippen hängt und nach den Worten seines Mundes dürstet, Worte
des Heils und der Weisheit, um dann wieder in sein erhabenes Dunkel zu
schwinden; auch im Abgeordnetenhause enthält er sich der profanen Arbeiten
in den Commissionen, zu welchen ja die gewöhnlichen parlamentarischen Kuli's
gut genug sind, auch mischt er sich nicht mit Rede und Gegenrede in den
täglichen Kampf der Parteien; nur einmal in jeder Sitzungsperiode bricht er
sein majestätisches Schweigen, um im steinernsten Lapidarstyl eine kurze Rede
wider die Reichsverfassung, oder wider das preußische Budget im Allgemeinen
zu halten, welche Rede mit einem jener drei zerschmetternden Citate schließt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/291>, abgerufen am 22.07.2024.