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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Die regelmäßige Armee Frankreichs soll nach dem der National¬
versammlung seitens der Commission für die Armee-Organisation vorzulegen¬
den Entwurf aus zwölf Armee-Corps bestehen: elf für das eigentliche
Frankreich und eins für Algerien. Die Zusammensetzung der Armee-
Corps sür Frankreich wird folgende sein: drei Infanterie-Divisionen zu zwei
Brigaden. Jede Brigade soll bestehen aus zwei Regimentern und einem Ba¬
taillon Jäger, dann aus Artillerie. Genietruppen und Cavallerie in einem
Verhältniß, das noch nicht festgesetzt ist. Das Armee-Corps von Al¬
gerien wird zählen: vier Zuaven-Regimenter, vier Regimenter algerischer
Jäger (Turkos), ein Fremdenregiment, drei Infanterie-Regimenter und drei
Bataillone Jäger. Die Disziplinartruppen, d. h. die drei Bataillone leichter
afrikanischer Infanterie und die fünf Strafcompagnien, bleiben außerhalb dieser
Bildung und sollen in keinem Falle die Colonie verlassen.

Diese Organisation sührt zu einem Ganzen von 135 Infanterie-Regi¬
mentern, 4 Zuaven-, 4 Turko-Regimentern, einem Fremdenregiment und 36
Bataillonen Jäger. Es bestehen aber jetzt nur 126 Infanterie-Regimenter,
4 Zuaven-, 3 Turko-Regimenter, 1 Fremdenregiment und 30 Jäger-Bataillone.
Es wären also noch 9 Infanterie-Regimenter, 1 Turko-Regiment und 9 Jäger-
Bataillone zu bilden.*)

Zur Zeit ist in den Organisationsarbeiten dem Anschein nach eine Art
Ruhepunkt eingetreten. Der alte Dünkel, die alte Selbstüberschätzung sind
damit sogleich wieder eingekehrt in die Reihen der französischen Armee, und
Herr Thiers hat nicht Anstand genommen, schon wieder deutlich zu ver-
stehn zu geben, daß diese Armee die bestmögliche sei. Gönnen wir
dem alten Herrn diesen Glauben von Herzen! Uns aber ist aus der Ge-
sammtdarstellung der französischen Armee von der großen Revolution bis zur
Gegenwart die Ueberzeugung hervorgegangen: erstens, daß die allgemeine
Wehrpflicht als Institution kein en Boden in Frankreich findet, weil sie sich
dort seit ihrem ersten Auftauchen im Jahre 1793 immer nur momentan als
Palliativmittel, als "Volksaufgebot" möglich -- und vergeblich gezeigt hat,
und zweitens, daß eine gesunde Heeresverfassung für Frankreich, wie
freilich für alle Länder der Welt, nur möglich ist aus Grund einer gesunden,
von der gesammten Nation freudig hochgehaltenen Staatsverfassung.
Ob das französische Heer der Zukunft Erhalter und Mehrer des Reiches,
oder ob es wie in Spanien Feilbieter und Todtengräber desselben werden
wird, das muß sich in einer vielleicht nicht fernen Zukunft entscheiden. Uns
scheint es, als ob der militärische Geist Frankreichs in dau¬
erndem, schon lange währendem Niedergang begriffen sei.





-) Nach dem "Constitutioncl" vom 1K. Oct, 1872.
GrenMe" IV. 1872. 35

Die regelmäßige Armee Frankreichs soll nach dem der National¬
versammlung seitens der Commission für die Armee-Organisation vorzulegen¬
den Entwurf aus zwölf Armee-Corps bestehen: elf für das eigentliche
Frankreich und eins für Algerien. Die Zusammensetzung der Armee-
Corps sür Frankreich wird folgende sein: drei Infanterie-Divisionen zu zwei
Brigaden. Jede Brigade soll bestehen aus zwei Regimentern und einem Ba¬
taillon Jäger, dann aus Artillerie. Genietruppen und Cavallerie in einem
Verhältniß, das noch nicht festgesetzt ist. Das Armee-Corps von Al¬
gerien wird zählen: vier Zuaven-Regimenter, vier Regimenter algerischer
Jäger (Turkos), ein Fremdenregiment, drei Infanterie-Regimenter und drei
Bataillone Jäger. Die Disziplinartruppen, d. h. die drei Bataillone leichter
afrikanischer Infanterie und die fünf Strafcompagnien, bleiben außerhalb dieser
Bildung und sollen in keinem Falle die Colonie verlassen.

Diese Organisation sührt zu einem Ganzen von 135 Infanterie-Regi¬
mentern, 4 Zuaven-, 4 Turko-Regimentern, einem Fremdenregiment und 36
Bataillonen Jäger. Es bestehen aber jetzt nur 126 Infanterie-Regimenter,
4 Zuaven-, 3 Turko-Regimenter, 1 Fremdenregiment und 30 Jäger-Bataillone.
Es wären also noch 9 Infanterie-Regimenter, 1 Turko-Regiment und 9 Jäger-
Bataillone zu bilden.*)

Zur Zeit ist in den Organisationsarbeiten dem Anschein nach eine Art
Ruhepunkt eingetreten. Der alte Dünkel, die alte Selbstüberschätzung sind
damit sogleich wieder eingekehrt in die Reihen der französischen Armee, und
Herr Thiers hat nicht Anstand genommen, schon wieder deutlich zu ver-
stehn zu geben, daß diese Armee die bestmögliche sei. Gönnen wir
dem alten Herrn diesen Glauben von Herzen! Uns aber ist aus der Ge-
sammtdarstellung der französischen Armee von der großen Revolution bis zur
Gegenwart die Ueberzeugung hervorgegangen: erstens, daß die allgemeine
Wehrpflicht als Institution kein en Boden in Frankreich findet, weil sie sich
dort seit ihrem ersten Auftauchen im Jahre 1793 immer nur momentan als
Palliativmittel, als „Volksaufgebot" möglich — und vergeblich gezeigt hat,
und zweitens, daß eine gesunde Heeresverfassung für Frankreich, wie
freilich für alle Länder der Welt, nur möglich ist aus Grund einer gesunden,
von der gesammten Nation freudig hochgehaltenen Staatsverfassung.
Ob das französische Heer der Zukunft Erhalter und Mehrer des Reiches,
oder ob es wie in Spanien Feilbieter und Todtengräber desselben werden
wird, das muß sich in einer vielleicht nicht fernen Zukunft entscheiden. Uns
scheint es, als ob der militärische Geist Frankreichs in dau¬
erndem, schon lange währendem Niedergang begriffen sei.





-) Nach dem „Constitutioncl" vom 1K. Oct, 1872.
GrenMe» IV. 1872. 35
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[0281] Die regelmäßige Armee Frankreichs soll nach dem der National¬ versammlung seitens der Commission für die Armee-Organisation vorzulegen¬ den Entwurf aus zwölf Armee-Corps bestehen: elf für das eigentliche Frankreich und eins für Algerien. Die Zusammensetzung der Armee- Corps sür Frankreich wird folgende sein: drei Infanterie-Divisionen zu zwei Brigaden. Jede Brigade soll bestehen aus zwei Regimentern und einem Ba¬ taillon Jäger, dann aus Artillerie. Genietruppen und Cavallerie in einem Verhältniß, das noch nicht festgesetzt ist. Das Armee-Corps von Al¬ gerien wird zählen: vier Zuaven-Regimenter, vier Regimenter algerischer Jäger (Turkos), ein Fremdenregiment, drei Infanterie-Regimenter und drei Bataillone Jäger. Die Disziplinartruppen, d. h. die drei Bataillone leichter afrikanischer Infanterie und die fünf Strafcompagnien, bleiben außerhalb dieser Bildung und sollen in keinem Falle die Colonie verlassen. Diese Organisation sührt zu einem Ganzen von 135 Infanterie-Regi¬ mentern, 4 Zuaven-, 4 Turko-Regimentern, einem Fremdenregiment und 36 Bataillonen Jäger. Es bestehen aber jetzt nur 126 Infanterie-Regimenter, 4 Zuaven-, 3 Turko-Regimenter, 1 Fremdenregiment und 30 Jäger-Bataillone. Es wären also noch 9 Infanterie-Regimenter, 1 Turko-Regiment und 9 Jäger- Bataillone zu bilden.*) Zur Zeit ist in den Organisationsarbeiten dem Anschein nach eine Art Ruhepunkt eingetreten. Der alte Dünkel, die alte Selbstüberschätzung sind damit sogleich wieder eingekehrt in die Reihen der französischen Armee, und Herr Thiers hat nicht Anstand genommen, schon wieder deutlich zu ver- stehn zu geben, daß diese Armee die bestmögliche sei. Gönnen wir dem alten Herrn diesen Glauben von Herzen! Uns aber ist aus der Ge- sammtdarstellung der französischen Armee von der großen Revolution bis zur Gegenwart die Ueberzeugung hervorgegangen: erstens, daß die allgemeine Wehrpflicht als Institution kein en Boden in Frankreich findet, weil sie sich dort seit ihrem ersten Auftauchen im Jahre 1793 immer nur momentan als Palliativmittel, als „Volksaufgebot" möglich — und vergeblich gezeigt hat, und zweitens, daß eine gesunde Heeresverfassung für Frankreich, wie freilich für alle Länder der Welt, nur möglich ist aus Grund einer gesunden, von der gesammten Nation freudig hochgehaltenen Staatsverfassung. Ob das französische Heer der Zukunft Erhalter und Mehrer des Reiches, oder ob es wie in Spanien Feilbieter und Todtengräber desselben werden wird, das muß sich in einer vielleicht nicht fernen Zukunft entscheiden. Uns scheint es, als ob der militärische Geist Frankreichs in dau¬ erndem, schon lange währendem Niedergang begriffen sei. -) Nach dem „Constitutioncl" vom 1K. Oct, 1872. GrenMe» IV. 1872. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/281>, abgerufen am 22.07.2024.