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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Deutschland erhobenen, dem indessen keineswegs die Aussicht eröffnet wird,
Reserveofficier zu werden, der muß sich selbst equipiren und ein Jahr dienen,
ja er kann, wenn ihn der Commandeur nicht für gut ausgebildet erklärt,
noch länger als ein Jahr bei der Fahne festgehalten werden; ein Bauernsohn
aber, der lesen und schreiben kann, wird, wenn er der äeuxiöine Portion an¬
gehört und nicht ein gar zu arger Tölpel ist, nach 6 Monaten entlassen.
Dergleichen ist doch undurchführbar! Es läßt sich mit Händen greifen, daß
binnen Kurzem den Einjährig-Freiwilligen auch das Recht wird zuerkannt
werden müssen, nach 6 Monaten zur Entlassung kommen zu dürfen. Nun sind
aber diejenigen Eingestellten, welche lesen und schreiben können, in der Haupt¬
masse zugleich auch die, welche über gewisse Geldmittel gebieten, d. h. dieselben,
welche sich früher freizukaufen pflegten. Soweit diese Leute der äöuxiömo
xortion angehören, ist ihre militärische Leistung derjenigen vor dem Kriege
schon fast gleich und damit ist bereits ein mächtiger Schritt dazu geschehen,
daß die gutsituirte Minderheit auch in Zukunft wieder den besitzlosen Massen
den Löwenantheil an der Arbeit für toutes les gloiros Z<z la ?ranev überläßt.

Und welche bedenklichen Chancen öffnen sich etwaigen unreinen Specu-
lationen! Wir erinnern an unsere auf französischen Urtheilen beruhende Schil¬
derung des französischen Officiercorps, das zu so großem Theile den unteren
Kreisen der Gesellschaft entstammt; wir erinnern daran, daß wir wiederholt
darauf hingewiesen haben, wie namentlich das Leben in Algier, in den ara¬
bischen Bureaus, aber auch manches andere Verhältniß in weiten Kreisen des
französischen Officiercorps eine Haltung in Geldfragen begünstigte und oft an
die Oeffentlichkeit gelangen ließ, die mit nichts weniger bezeichnet werden kann,
als mit dem Worte "Integrität". Wie, wenn nun unter den jungen Leuten
der clouxismo Portion sich Viele finden, welche gern eine vielleicht namhafte
Summe opfern, um ihre militärischen Leistungen so günstig beurtheilt zu sehn,
daß sie bereits nach 6 Monaten entlassen werden können?! Liegthier nichteine
große Gefahr? Wäre es nicht viel schlimmer, wenn sich ein Freikaufssystem
gegenüber einzelnen Compagniechefs oder Regimentscommandeurs einnistete,
als wenn die Exoneration noch allgemein zu Recht bestünde?!

Und welches Mißtrauen bringt die Regierung selbst dem Heer der allge-
meinen Wehrpflicht entgegen. Das Territorialsystem ist abgelehnt, "weil Be¬
zirksarmeen die politische Meinung ihrer Bezirke haben würden". Die Castro¬
manie, die Lagersucht steht wieder in voller Blüthe. Ausbildungslager sollen
in einem Umfange eingerichtet und bezogen werden, wie es selbst unter dem
Kaiserreiche unerhört gewesen. Welch ein Schaden für die Nation in intel-
lectueller, sittlicher, ja auch in materieller Beziehung! Weit entfernt, den sich
freiwillig meldenden jungen Dienstpflichtigen, wie in Preußen, zu gestatten,
ihrer Dienstpflicht im Heimathsorte zu genügen und in Mußestunden unge-


Deutschland erhobenen, dem indessen keineswegs die Aussicht eröffnet wird,
Reserveofficier zu werden, der muß sich selbst equipiren und ein Jahr dienen,
ja er kann, wenn ihn der Commandeur nicht für gut ausgebildet erklärt,
noch länger als ein Jahr bei der Fahne festgehalten werden; ein Bauernsohn
aber, der lesen und schreiben kann, wird, wenn er der äeuxiöine Portion an¬
gehört und nicht ein gar zu arger Tölpel ist, nach 6 Monaten entlassen.
Dergleichen ist doch undurchführbar! Es läßt sich mit Händen greifen, daß
binnen Kurzem den Einjährig-Freiwilligen auch das Recht wird zuerkannt
werden müssen, nach 6 Monaten zur Entlassung kommen zu dürfen. Nun sind
aber diejenigen Eingestellten, welche lesen und schreiben können, in der Haupt¬
masse zugleich auch die, welche über gewisse Geldmittel gebieten, d. h. dieselben,
welche sich früher freizukaufen pflegten. Soweit diese Leute der äöuxiömo
xortion angehören, ist ihre militärische Leistung derjenigen vor dem Kriege
schon fast gleich und damit ist bereits ein mächtiger Schritt dazu geschehen,
daß die gutsituirte Minderheit auch in Zukunft wieder den besitzlosen Massen
den Löwenantheil an der Arbeit für toutes les gloiros Z<z la ?ranev überläßt.

Und welche bedenklichen Chancen öffnen sich etwaigen unreinen Specu-
lationen! Wir erinnern an unsere auf französischen Urtheilen beruhende Schil¬
derung des französischen Officiercorps, das zu so großem Theile den unteren
Kreisen der Gesellschaft entstammt; wir erinnern daran, daß wir wiederholt
darauf hingewiesen haben, wie namentlich das Leben in Algier, in den ara¬
bischen Bureaus, aber auch manches andere Verhältniß in weiten Kreisen des
französischen Officiercorps eine Haltung in Geldfragen begünstigte und oft an
die Oeffentlichkeit gelangen ließ, die mit nichts weniger bezeichnet werden kann,
als mit dem Worte „Integrität". Wie, wenn nun unter den jungen Leuten
der clouxismo Portion sich Viele finden, welche gern eine vielleicht namhafte
Summe opfern, um ihre militärischen Leistungen so günstig beurtheilt zu sehn,
daß sie bereits nach 6 Monaten entlassen werden können?! Liegthier nichteine
große Gefahr? Wäre es nicht viel schlimmer, wenn sich ein Freikaufssystem
gegenüber einzelnen Compagniechefs oder Regimentscommandeurs einnistete,
als wenn die Exoneration noch allgemein zu Recht bestünde?!

Und welches Mißtrauen bringt die Regierung selbst dem Heer der allge-
meinen Wehrpflicht entgegen. Das Territorialsystem ist abgelehnt, „weil Be¬
zirksarmeen die politische Meinung ihrer Bezirke haben würden". Die Castro¬
manie, die Lagersucht steht wieder in voller Blüthe. Ausbildungslager sollen
in einem Umfange eingerichtet und bezogen werden, wie es selbst unter dem
Kaiserreiche unerhört gewesen. Welch ein Schaden für die Nation in intel-
lectueller, sittlicher, ja auch in materieller Beziehung! Weit entfernt, den sich
freiwillig meldenden jungen Dienstpflichtigen, wie in Preußen, zu gestatten,
ihrer Dienstpflicht im Heimathsorte zu genügen und in Mußestunden unge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/278>, abgerufen am 22.07.2024.