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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Ihresgleichen gebraucht wird. Bon jener Gattung find die gewöhnlichsten:
Winter, unter dem eine weitverzweigte Familie reist, Weiß, Mettbach, Rose,
Reinhard, Keck, Freiwald, Petermann, Hanstein, Gastel, Wappler und Kiefer.
Von der andern Art nennen wir nur die auffälligen und unverständlichen
Namen Hosobenglo, der in der Familie Keck, Voige, der unter den Mett¬
bachs, Lamo, der unter den Hanstein's vorkommt, ferner die Namen Clarstey,
Vernet, Superdento, Wisiko, Rahemus, Tanneputz und Schuckelpatz. Den
Mädchen legt man in der Taufe oft vornehme Namen wie Apollonia, Cres-
eentia, Lila bei. Die Männer erhalten gewöhnlich noch einen von ihrer be¬
sondern körperlichen oder geistigen Eigenschaft hergenommenen Beinamen, z. B.
"Sastereskero", der Eiserne. "Sorelo", der Starke, "Lolo", der Rothe, "Galo
Tschawo", der schwarze Bursch.

Wie die Zigeuner sich selbst solche Spitznamen beilegen, so auch den Län¬
dern und Städten, die sie durchwandern, und den Flüssen, die sie auf ihren
Zügen überschreiten. Oesterreich nennen sie "Moliakro Tena", das Weinland,
Preußen "Blawado Tena", das blaue Land, Bayern, wegen der dort herrschen¬
den polizeilichen Strenge, "Tschiwalo Tena", das nichtswürdige Land, Han¬
nover, wegen des Wappenzeichens dieser Provinz, "Grajaskare Tena", das
Pserdeland, Sachsen, wegen der Kurschwerter auf seinem Schilde, "Charotiko
Tena", das Schwertland. Die Schweiz heißt bei ihnen das Käseland, Gro߬
britannien das Wasserland. Wien bezeichnen sie mit einem Worte ihrer Sprache,
welches Bienenstock bedeutet, Berlin ist ihnen die "hochbeinige Stadt", Erfurt
die "große Glockenstadt", München die "Pfaffenstadt", Augsburg die "Augen¬
stadt" und Nürnberg die "Nierenstadt". Die Oder heißt in der Zigeunersprache
"Galo Parm", das Schwarzwasser, die Elbe "Berojungero Parm", das schiff¬
bare Wasser, der Rhein "Rino".

Wie der Wilde im amerikanischen Urwalde, so hat auch der Zigeuner
gewisse Zeichen, durch die er sich mit seinem Stamm verständigt. Wo ein
Romimanusch unter Dach übernachtet hat, zeichnet er das Bild einer Harfe
an die Wand und setzt, wenn er zu schreiben versteht, seinen Namen darunter.
Hat er die Nacht im Freien zugebracht, so wird dasselbe Zeichen in einen
nahestehenden Baum eingeschnitten. Auch ein Fetzen seines Kleides, an einem
Bauch oder Strauch befestigt, giebt den später etwa vorüberziehenden Leuten
seiner Nation Andeutung, daß Schuckelpatz oder Hosobenglo oder wie der Be¬
treffende sonst heißt, hier verweilt hat. An jedem Kreuzweg, den ein Einzelner
oder eine ganze Bande passirt hat, wird ein solches Zeichen als Wegweiser
für die Nachfolgenden zurückgelassen. Seitwärts von dem Kreuzweg nämlich
wird zur Sommerszeit oder im Winter, wenn kein Schnee gefallen ist, ein
Baumast mit mindestens drei Zweigen dergestalt in die Erde gesteckt, daß die
Spitze des mittleren und längsten die genommene Richtung zeigt, während die


Ihresgleichen gebraucht wird. Bon jener Gattung find die gewöhnlichsten:
Winter, unter dem eine weitverzweigte Familie reist, Weiß, Mettbach, Rose,
Reinhard, Keck, Freiwald, Petermann, Hanstein, Gastel, Wappler und Kiefer.
Von der andern Art nennen wir nur die auffälligen und unverständlichen
Namen Hosobenglo, der in der Familie Keck, Voige, der unter den Mett¬
bachs, Lamo, der unter den Hanstein's vorkommt, ferner die Namen Clarstey,
Vernet, Superdento, Wisiko, Rahemus, Tanneputz und Schuckelpatz. Den
Mädchen legt man in der Taufe oft vornehme Namen wie Apollonia, Cres-
eentia, Lila bei. Die Männer erhalten gewöhnlich noch einen von ihrer be¬
sondern körperlichen oder geistigen Eigenschaft hergenommenen Beinamen, z. B.
„Sastereskero", der Eiserne. „Sorelo", der Starke, „Lolo", der Rothe, „Galo
Tschawo", der schwarze Bursch.

Wie die Zigeuner sich selbst solche Spitznamen beilegen, so auch den Län¬
dern und Städten, die sie durchwandern, und den Flüssen, die sie auf ihren
Zügen überschreiten. Oesterreich nennen sie „Moliakro Tena", das Weinland,
Preußen „Blawado Tena", das blaue Land, Bayern, wegen der dort herrschen¬
den polizeilichen Strenge, „Tschiwalo Tena", das nichtswürdige Land, Han¬
nover, wegen des Wappenzeichens dieser Provinz, „Grajaskare Tena", das
Pserdeland, Sachsen, wegen der Kurschwerter auf seinem Schilde, „Charotiko
Tena", das Schwertland. Die Schweiz heißt bei ihnen das Käseland, Gro߬
britannien das Wasserland. Wien bezeichnen sie mit einem Worte ihrer Sprache,
welches Bienenstock bedeutet, Berlin ist ihnen die „hochbeinige Stadt", Erfurt
die „große Glockenstadt", München die „Pfaffenstadt", Augsburg die „Augen¬
stadt" und Nürnberg die „Nierenstadt". Die Oder heißt in der Zigeunersprache
„Galo Parm", das Schwarzwasser, die Elbe „Berojungero Parm", das schiff¬
bare Wasser, der Rhein „Rino".

Wie der Wilde im amerikanischen Urwalde, so hat auch der Zigeuner
gewisse Zeichen, durch die er sich mit seinem Stamm verständigt. Wo ein
Romimanusch unter Dach übernachtet hat, zeichnet er das Bild einer Harfe
an die Wand und setzt, wenn er zu schreiben versteht, seinen Namen darunter.
Hat er die Nacht im Freien zugebracht, so wird dasselbe Zeichen in einen
nahestehenden Baum eingeschnitten. Auch ein Fetzen seines Kleides, an einem
Bauch oder Strauch befestigt, giebt den später etwa vorüberziehenden Leuten
seiner Nation Andeutung, daß Schuckelpatz oder Hosobenglo oder wie der Be¬
treffende sonst heißt, hier verweilt hat. An jedem Kreuzweg, den ein Einzelner
oder eine ganze Bande passirt hat, wird ein solches Zeichen als Wegweiser
für die Nachfolgenden zurückgelassen. Seitwärts von dem Kreuzweg nämlich
wird zur Sommerszeit oder im Winter, wenn kein Schnee gefallen ist, ein
Baumast mit mindestens drei Zweigen dergestalt in die Erde gesteckt, daß die
Spitze des mittleren und längsten die genommene Richtung zeigt, während die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/255>, abgerufen am 04.07.2024.