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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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"Manchesterschule" oder der politischen Phrasen des sogenannten "luisser Kurs
et Is-isser passer" und auf eine noch interessantere Charakteristrung der soge¬
nannten "absoluten" Angehörigen der Manchesterschule in Eisenach gespannt
sein, sobald die dort erscheinenden Katheder-Männer es nicht etwa vorziehen
sollten, die Oeffentlichkeit auszuschließen. Die Professoren, denen auf ihrem
Katheder Niemand widerspricht, sollten sich über jeden Widerspruch doppelt
freuen und siehe da -- sie beginnen ihr erstes öffentliches Auftreten zur
Erörterung der socialen Frage mit dem Ausschluß einer ganzen Schule, die
sie nach einer politischen Phrase als Anhänger des "absoluten luisser taire et
laisssr passer" verurtheilen zu können glauben. Die Einseitigkeit, welche
aus der Einladung zur Eisenacher Conferenz spricht, läßt dies ganze Unter¬
nehmen schon in der Anlage als verfehlt erscheinen, weil man die Geg¬
ner ausschließt, anstatt sie zu hören und zu widerlegen!*) Mit Recht machte
der Präsident des Danziger Congresses, Dr. Braun, in seiner Eröffnungsrede
darauf aufmerksam, daß der volkswirthschaftliche Congreß seine Mitglieder nicht
auf ein Programm schwören lasse, daß er den gegnerischen Ansichten nicht den
Mund verschließe, daß er fern von jeder zunftmäßigen Ausschließlichkeit und
von jedem Conventikelwesen die wirthschaftlichen Probleme erörtere und daß
die Freiheit des Meinungsaustausches mit vollster Oeffentlichkeit die Lebens¬
lust des Congresses und Vorbedingung jeder dauerhaften gesunden Leistung
sei. -- Die diesjährigen Congreßverhandlungen haben denn auch dargethan,
daß innerhalb des volkswirthschaftlichen Congresses ganz erhebliche Gegensätze
bestehen und daß dieselben regelmäßig im lebhaften Kampf der Geister auf
einander platzen. Der Congreß sprach sich nur über drei Gegenstände nahezu
einstimmig aus, nämlich über die Fragen der Zolltarifreform, der Binnen¬
schifffahrt und der Arbeiter-Hülff- und Invaliden-Cassen, während in der wich¬
tigen Banknoten- und Reichsbank-Frage die Freunde und Gegner der Reichs¬
bank und des Monopols sich gerade die Wage hielten und jeden Beschluß
ablehnten und in der Frage der Unentgeltlichkeit des Volksschulunterrichtes
nur eine kleine Majorität für Unentgeltlichkeit votirte. In der Eisenbahn¬
frage wurde auf jede Abstimmung verzichtet und die Fortsetzung der Berathung
auf den nächsten Congreß vertagt.

Wir beginnen mit der wichtigsten und ausführlichsten Verhandlung, welche
den diesjährigen Congreß beschäftigte.

Die dritte, beinahe einstimmig angenommene Resolution betraf nämlich
die Frage der Hülff- und Invaliden-Cassen, mit welcher sich der



') Indem wir diesen von hochachtbarer und durchaus sachverständiger Hand uns zugehenden
Congreßbericht unverändert abdrucken, müssen wir uns doch unser Urtheil über die Männer und
Leistungen des Eisenacher Congresses vorbehalten, bis mehr als die Einladung dazu vorliegt.
D. Red.
Grenzboten IV. 1872. 3

„Manchesterschule" oder der politischen Phrasen des sogenannten „luisser Kurs
et Is-isser passer" und auf eine noch interessantere Charakteristrung der soge¬
nannten „absoluten" Angehörigen der Manchesterschule in Eisenach gespannt
sein, sobald die dort erscheinenden Katheder-Männer es nicht etwa vorziehen
sollten, die Oeffentlichkeit auszuschließen. Die Professoren, denen auf ihrem
Katheder Niemand widerspricht, sollten sich über jeden Widerspruch doppelt
freuen und siehe da — sie beginnen ihr erstes öffentliches Auftreten zur
Erörterung der socialen Frage mit dem Ausschluß einer ganzen Schule, die
sie nach einer politischen Phrase als Anhänger des „absoluten luisser taire et
laisssr passer" verurtheilen zu können glauben. Die Einseitigkeit, welche
aus der Einladung zur Eisenacher Conferenz spricht, läßt dies ganze Unter¬
nehmen schon in der Anlage als verfehlt erscheinen, weil man die Geg¬
ner ausschließt, anstatt sie zu hören und zu widerlegen!*) Mit Recht machte
der Präsident des Danziger Congresses, Dr. Braun, in seiner Eröffnungsrede
darauf aufmerksam, daß der volkswirthschaftliche Congreß seine Mitglieder nicht
auf ein Programm schwören lasse, daß er den gegnerischen Ansichten nicht den
Mund verschließe, daß er fern von jeder zunftmäßigen Ausschließlichkeit und
von jedem Conventikelwesen die wirthschaftlichen Probleme erörtere und daß
die Freiheit des Meinungsaustausches mit vollster Oeffentlichkeit die Lebens¬
lust des Congresses und Vorbedingung jeder dauerhaften gesunden Leistung
sei. — Die diesjährigen Congreßverhandlungen haben denn auch dargethan,
daß innerhalb des volkswirthschaftlichen Congresses ganz erhebliche Gegensätze
bestehen und daß dieselben regelmäßig im lebhaften Kampf der Geister auf
einander platzen. Der Congreß sprach sich nur über drei Gegenstände nahezu
einstimmig aus, nämlich über die Fragen der Zolltarifreform, der Binnen¬
schifffahrt und der Arbeiter-Hülff- und Invaliden-Cassen, während in der wich¬
tigen Banknoten- und Reichsbank-Frage die Freunde und Gegner der Reichs¬
bank und des Monopols sich gerade die Wage hielten und jeden Beschluß
ablehnten und in der Frage der Unentgeltlichkeit des Volksschulunterrichtes
nur eine kleine Majorität für Unentgeltlichkeit votirte. In der Eisenbahn¬
frage wurde auf jede Abstimmung verzichtet und die Fortsetzung der Berathung
auf den nächsten Congreß vertagt.

Wir beginnen mit der wichtigsten und ausführlichsten Verhandlung, welche
den diesjährigen Congreß beschäftigte.

Die dritte, beinahe einstimmig angenommene Resolution betraf nämlich
die Frage der Hülff- und Invaliden-Cassen, mit welcher sich der



') Indem wir diesen von hochachtbarer und durchaus sachverständiger Hand uns zugehenden
Congreßbericht unverändert abdrucken, müssen wir uns doch unser Urtheil über die Männer und
Leistungen des Eisenacher Congresses vorbehalten, bis mehr als die Einladung dazu vorliegt.
D. Red.
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[0025] „Manchesterschule" oder der politischen Phrasen des sogenannten „luisser Kurs et Is-isser passer" und auf eine noch interessantere Charakteristrung der soge¬ nannten „absoluten" Angehörigen der Manchesterschule in Eisenach gespannt sein, sobald die dort erscheinenden Katheder-Männer es nicht etwa vorziehen sollten, die Oeffentlichkeit auszuschließen. Die Professoren, denen auf ihrem Katheder Niemand widerspricht, sollten sich über jeden Widerspruch doppelt freuen und siehe da — sie beginnen ihr erstes öffentliches Auftreten zur Erörterung der socialen Frage mit dem Ausschluß einer ganzen Schule, die sie nach einer politischen Phrase als Anhänger des „absoluten luisser taire et laisssr passer" verurtheilen zu können glauben. Die Einseitigkeit, welche aus der Einladung zur Eisenacher Conferenz spricht, läßt dies ganze Unter¬ nehmen schon in der Anlage als verfehlt erscheinen, weil man die Geg¬ ner ausschließt, anstatt sie zu hören und zu widerlegen!*) Mit Recht machte der Präsident des Danziger Congresses, Dr. Braun, in seiner Eröffnungsrede darauf aufmerksam, daß der volkswirthschaftliche Congreß seine Mitglieder nicht auf ein Programm schwören lasse, daß er den gegnerischen Ansichten nicht den Mund verschließe, daß er fern von jeder zunftmäßigen Ausschließlichkeit und von jedem Conventikelwesen die wirthschaftlichen Probleme erörtere und daß die Freiheit des Meinungsaustausches mit vollster Oeffentlichkeit die Lebens¬ lust des Congresses und Vorbedingung jeder dauerhaften gesunden Leistung sei. — Die diesjährigen Congreßverhandlungen haben denn auch dargethan, daß innerhalb des volkswirthschaftlichen Congresses ganz erhebliche Gegensätze bestehen und daß dieselben regelmäßig im lebhaften Kampf der Geister auf einander platzen. Der Congreß sprach sich nur über drei Gegenstände nahezu einstimmig aus, nämlich über die Fragen der Zolltarifreform, der Binnen¬ schifffahrt und der Arbeiter-Hülff- und Invaliden-Cassen, während in der wich¬ tigen Banknoten- und Reichsbank-Frage die Freunde und Gegner der Reichs¬ bank und des Monopols sich gerade die Wage hielten und jeden Beschluß ablehnten und in der Frage der Unentgeltlichkeit des Volksschulunterrichtes nur eine kleine Majorität für Unentgeltlichkeit votirte. In der Eisenbahn¬ frage wurde auf jede Abstimmung verzichtet und die Fortsetzung der Berathung auf den nächsten Congreß vertagt. Wir beginnen mit der wichtigsten und ausführlichsten Verhandlung, welche den diesjährigen Congreß beschäftigte. Die dritte, beinahe einstimmig angenommene Resolution betraf nämlich die Frage der Hülff- und Invaliden-Cassen, mit welcher sich der ') Indem wir diesen von hochachtbarer und durchaus sachverständiger Hand uns zugehenden Congreßbericht unverändert abdrucken, müssen wir uns doch unser Urtheil über die Männer und Leistungen des Eisenacher Congresses vorbehalten, bis mehr als die Einladung dazu vorliegt. D. Red. Grenzboten IV. 1872. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/25>, abgerufen am 22.07.2024.