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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Land in der Welt, das ein solches Unglück leichter zu ertragen vermöchte und
schneller und kräftiger den Massenkrieg organisiren könnte, als grade Frankreich.

Am 1.6. September ließ sich eine Delegation der Regierung zu
Tours nieder. Sie bestand aus den Herren Cremieux, Glais-Bizvin
und Fourichon und übernahm die Aufgabe, die verschiedenen Dienstzweige
in Betrieb zu erhalten und womöglich hinter der Loire eine Hilfsarmee zu or¬
ganisiren. Das war ein ungeheures Unternehmen; denn es bestand keine
Truppe mehr; es gab in den Depots nur Männer, freilich in großer Zahl,
aber ohne irgend einen Anfang von Organisation; in ganz Frankreich zählte
man in jenem Augenblick nur^6 Geschütze, welche bereit waren, ins Feld zu
rücken; den andern fehlten Bespannung und Bedienung, vielen sogar die
Laffetten. Mit Unrecht haben die Anhänger Gambetta's der ersten Regierung in
Tours Unthätigkeit vorgeworfen. Sie that, was sie konnte. Sie ließ Truppen
aus Afrika kommen und schuf den Kern der Loire-Armee, nämlich das
XV. Corps zu Bourges unter den Befehlen des Generals de la Mvtte-
rouge. Seine Organisation wurde trotz der großen Schwierigkeiten, welche
namentlich die Beschaffung von Offizieren machte, anfangs October zum Ab¬
schluß gebracht. Es war etwa 30,000 Mann stark und sollte Orleans halten.
In den Vogesen sammelte sich gleichzeitig unter General Cambriels ein
Corps, welches die dortigen Engpässe vertheidigen und dem Volkskriege zum
.Anhalte dienen sollte. Im Westen arbeitete man unter Leitung des Generals
Fiereck an der Bildung von Bataillonen mobiler Nationalgarde. Alle diese
Versuche hatten indessen keinen besonderen Erfolg. Die Deutschen, welche ein
augenscheinliches Interesse hatten, keine neuen Streitkräfte sich bilden zu lassen^
führten ihre Schläge überall dahin, wo dieselben Festigkeit gewannen. Zahl¬
reiche Fehlschläge in Einzelheiten folgten aufeinander und die Arbeit der Or¬
ganisation litt darunter beträchtlich. Bald entstanden Verwickelungen im
Schooße der oberen Verwaltung; der Admiral Fourichon legte das Porte¬
feuille des Krieges nieder, so daß es mehrere Tage ohne wirklichen Inhaber
blieb/) In den Feldlagern 'und Casernen gab es hin und her laufende Sol¬
daten, aber nirgends solide, krieggeübte Truppen. Von Begeisterung oder
gar einem geregelten rationellen Verfahren war nirgends die Rede, und das
Auseinanderfallen des Volksheeres wäre offenbar im October erfolgt, wenn
nicht plötzlich wie ein vsux ex mkoliivg, der Mann mit der eisernen Faust
erschienen wäre, dessen die Franzosen immer benöthigt waren, wenn sie Et¬
was leisten sollten.**)




") ob. <Zo I?rs?oiueti 1^ Zusrvv on I>rovinvs ponäant lo siöxo as ?Aris. 1870/71.
?ii-!s. N. I^ox 1871.
Reisebericht des Hauptmanns Wibiral aus der zweiten Hälfte des Krieges.

Land in der Welt, das ein solches Unglück leichter zu ertragen vermöchte und
schneller und kräftiger den Massenkrieg organisiren könnte, als grade Frankreich.

Am 1.6. September ließ sich eine Delegation der Regierung zu
Tours nieder. Sie bestand aus den Herren Cremieux, Glais-Bizvin
und Fourichon und übernahm die Aufgabe, die verschiedenen Dienstzweige
in Betrieb zu erhalten und womöglich hinter der Loire eine Hilfsarmee zu or¬
ganisiren. Das war ein ungeheures Unternehmen; denn es bestand keine
Truppe mehr; es gab in den Depots nur Männer, freilich in großer Zahl,
aber ohne irgend einen Anfang von Organisation; in ganz Frankreich zählte
man in jenem Augenblick nur^6 Geschütze, welche bereit waren, ins Feld zu
rücken; den andern fehlten Bespannung und Bedienung, vielen sogar die
Laffetten. Mit Unrecht haben die Anhänger Gambetta's der ersten Regierung in
Tours Unthätigkeit vorgeworfen. Sie that, was sie konnte. Sie ließ Truppen
aus Afrika kommen und schuf den Kern der Loire-Armee, nämlich das
XV. Corps zu Bourges unter den Befehlen des Generals de la Mvtte-
rouge. Seine Organisation wurde trotz der großen Schwierigkeiten, welche
namentlich die Beschaffung von Offizieren machte, anfangs October zum Ab¬
schluß gebracht. Es war etwa 30,000 Mann stark und sollte Orleans halten.
In den Vogesen sammelte sich gleichzeitig unter General Cambriels ein
Corps, welches die dortigen Engpässe vertheidigen und dem Volkskriege zum
.Anhalte dienen sollte. Im Westen arbeitete man unter Leitung des Generals
Fiereck an der Bildung von Bataillonen mobiler Nationalgarde. Alle diese
Versuche hatten indessen keinen besonderen Erfolg. Die Deutschen, welche ein
augenscheinliches Interesse hatten, keine neuen Streitkräfte sich bilden zu lassen^
führten ihre Schläge überall dahin, wo dieselben Festigkeit gewannen. Zahl¬
reiche Fehlschläge in Einzelheiten folgten aufeinander und die Arbeit der Or¬
ganisation litt darunter beträchtlich. Bald entstanden Verwickelungen im
Schooße der oberen Verwaltung; der Admiral Fourichon legte das Porte¬
feuille des Krieges nieder, so daß es mehrere Tage ohne wirklichen Inhaber
blieb/) In den Feldlagern 'und Casernen gab es hin und her laufende Sol¬
daten, aber nirgends solide, krieggeübte Truppen. Von Begeisterung oder
gar einem geregelten rationellen Verfahren war nirgends die Rede, und das
Auseinanderfallen des Volksheeres wäre offenbar im October erfolgt, wenn
nicht plötzlich wie ein vsux ex mkoliivg, der Mann mit der eisernen Faust
erschienen wäre, dessen die Franzosen immer benöthigt waren, wenn sie Et¬
was leisten sollten.**)




") ob. <Zo I?rs?oiueti 1^ Zusrvv on I>rovinvs ponäant lo siöxo as ?Aris. 1870/71.
?ii-!s. N. I^ox 1871.
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[0227] Land in der Welt, das ein solches Unglück leichter zu ertragen vermöchte und schneller und kräftiger den Massenkrieg organisiren könnte, als grade Frankreich. Am 1.6. September ließ sich eine Delegation der Regierung zu Tours nieder. Sie bestand aus den Herren Cremieux, Glais-Bizvin und Fourichon und übernahm die Aufgabe, die verschiedenen Dienstzweige in Betrieb zu erhalten und womöglich hinter der Loire eine Hilfsarmee zu or¬ ganisiren. Das war ein ungeheures Unternehmen; denn es bestand keine Truppe mehr; es gab in den Depots nur Männer, freilich in großer Zahl, aber ohne irgend einen Anfang von Organisation; in ganz Frankreich zählte man in jenem Augenblick nur^6 Geschütze, welche bereit waren, ins Feld zu rücken; den andern fehlten Bespannung und Bedienung, vielen sogar die Laffetten. Mit Unrecht haben die Anhänger Gambetta's der ersten Regierung in Tours Unthätigkeit vorgeworfen. Sie that, was sie konnte. Sie ließ Truppen aus Afrika kommen und schuf den Kern der Loire-Armee, nämlich das XV. Corps zu Bourges unter den Befehlen des Generals de la Mvtte- rouge. Seine Organisation wurde trotz der großen Schwierigkeiten, welche namentlich die Beschaffung von Offizieren machte, anfangs October zum Ab¬ schluß gebracht. Es war etwa 30,000 Mann stark und sollte Orleans halten. In den Vogesen sammelte sich gleichzeitig unter General Cambriels ein Corps, welches die dortigen Engpässe vertheidigen und dem Volkskriege zum .Anhalte dienen sollte. Im Westen arbeitete man unter Leitung des Generals Fiereck an der Bildung von Bataillonen mobiler Nationalgarde. Alle diese Versuche hatten indessen keinen besonderen Erfolg. Die Deutschen, welche ein augenscheinliches Interesse hatten, keine neuen Streitkräfte sich bilden zu lassen^ führten ihre Schläge überall dahin, wo dieselben Festigkeit gewannen. Zahl¬ reiche Fehlschläge in Einzelheiten folgten aufeinander und die Arbeit der Or¬ ganisation litt darunter beträchtlich. Bald entstanden Verwickelungen im Schooße der oberen Verwaltung; der Admiral Fourichon legte das Porte¬ feuille des Krieges nieder, so daß es mehrere Tage ohne wirklichen Inhaber blieb/) In den Feldlagern 'und Casernen gab es hin und her laufende Sol¬ daten, aber nirgends solide, krieggeübte Truppen. Von Begeisterung oder gar einem geregelten rationellen Verfahren war nirgends die Rede, und das Auseinanderfallen des Volksheeres wäre offenbar im October erfolgt, wenn nicht plötzlich wie ein vsux ex mkoliivg, der Mann mit der eisernen Faust erschienen wäre, dessen die Franzosen immer benöthigt waren, wenn sie Et¬ was leisten sollten.**) ") ob. <Zo I?rs?oiueti 1^ Zusrvv on I>rovinvs ponäant lo siöxo as ?Aris. 1870/71. ?ii-!s. N. I^ox 1871. Reisebericht des Hauptmanns Wibiral aus der zweiten Hälfte des Krieges.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/227>, abgerufen am 22.07.2024.