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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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fchung und Betrug hinauskommen. Der nochweit verbreitete Aberglaube und die
Leichtgläubigkeit des Landvolks unterstützt sie dabei in einem Grade, den Mancher
nicht für möglich halten wird. Fast überall herrscht unter den Bauern noch
die Meinung, daß man Häuser durch Zaubersprüche gegen Brand sichere,
und daß man bereits ausgebrochene Feuersbrünste durch solche geheimnißvolle
Formeln beschwören könne, und dieser Glaube wird von den Zigeunern bestens
benutzt. Bekannt ist ferner, daß ihre Weiber überall auf ihren Durchzügen
das Wahrsagerhandwerk betreiben. Gewöhnlich lesen sie dann den Leuten
ihre Zukunft aus den Linien der Hand, seltener aus der Karte, bisweilen
auch aus dem in der Tasse zurückgebliebenen Kaffeesatz. Desgleichen treiben
sie Traumdeuterei. Endlich suchen sie auch durch die Behauptung, Mittel
gegen allerlei Krankheiten zu besitzen, Geld zu verdienen, wie das von fahren¬
den Leuten zu allen Zeiten geschehen ist. Sie wollen durch Amulete jede
Krankheit fernhalten und durch Besprechung, "Verthun" oder "Versöhnen",
wie der Volksausdruck für solche Manipulationen lautet, Fieber, Kopfweh,
Gliederreißen u. tgi. bannen können. Vorzüglich aber bieten sie sich den
Bauern als Viehärzte an. Sie mögen in dieser Hinsicht einige altbewährte
Mittel durch Ueberlieferung kennen. Aber in der Regel ist ihr Treiben da¬
bei Schwindel, und nicht selten wird den betreffenden Thieren die Krankheits¬
ursache erst heimlich von ihnen beigebracht, um bei der angeblichen Heilung
ebenso heimlich entfernt zu werden. Wenn sie z. B. dem Rindvieh das Maul
mit Fett bestreichen, so wird es nicht fressen, und wenn sie dann, als Heil¬
künstler angenommen, unter allerhand Hokuspokus das Fett entfernen, so wird
die Freßlust sich sofort und in einem um so höheren Grade wieder einstellen,
je länger das Thier, von Ekel abgehalten, der Krippe oder Weide entsagt hat.

Im Allgemeinen gilt der Satz, daß der Zigeuner nur solche Gewerbe
betreibt, welche sich mit seinem Wandertriebe vertragen und keine große und
dauernde Körperanstrengung erfordern. Geige, Horn und Flöte kann er
überall mit sich führen, eine kleine Schmiede läßt sich an jedem Zaun oder
Baum improvisiren, und das Handwerkszeug des Seiltänzers liefert ihm, so¬
weit er's nicht in seinem Wagen hat, bereitwilligst das Städtchen oder Dorf,
in dem er seine Kunst zu produciren vorhat.




Frankreich und die allgemeine Wehrpflicht
von
Max Jähns.
XIV.

VenMkmoe! und V6ed6auee! Das waren die Rufe, unter denen sich der
Sturz des Kaisertums und die Aufrichtung des (Zsuvornsment as la V6-


Grenzboten IV. 1872. 27

fchung und Betrug hinauskommen. Der nochweit verbreitete Aberglaube und die
Leichtgläubigkeit des Landvolks unterstützt sie dabei in einem Grade, den Mancher
nicht für möglich halten wird. Fast überall herrscht unter den Bauern noch
die Meinung, daß man Häuser durch Zaubersprüche gegen Brand sichere,
und daß man bereits ausgebrochene Feuersbrünste durch solche geheimnißvolle
Formeln beschwören könne, und dieser Glaube wird von den Zigeunern bestens
benutzt. Bekannt ist ferner, daß ihre Weiber überall auf ihren Durchzügen
das Wahrsagerhandwerk betreiben. Gewöhnlich lesen sie dann den Leuten
ihre Zukunft aus den Linien der Hand, seltener aus der Karte, bisweilen
auch aus dem in der Tasse zurückgebliebenen Kaffeesatz. Desgleichen treiben
sie Traumdeuterei. Endlich suchen sie auch durch die Behauptung, Mittel
gegen allerlei Krankheiten zu besitzen, Geld zu verdienen, wie das von fahren¬
den Leuten zu allen Zeiten geschehen ist. Sie wollen durch Amulete jede
Krankheit fernhalten und durch Besprechung, „Verthun" oder „Versöhnen",
wie der Volksausdruck für solche Manipulationen lautet, Fieber, Kopfweh,
Gliederreißen u. tgi. bannen können. Vorzüglich aber bieten sie sich den
Bauern als Viehärzte an. Sie mögen in dieser Hinsicht einige altbewährte
Mittel durch Ueberlieferung kennen. Aber in der Regel ist ihr Treiben da¬
bei Schwindel, und nicht selten wird den betreffenden Thieren die Krankheits¬
ursache erst heimlich von ihnen beigebracht, um bei der angeblichen Heilung
ebenso heimlich entfernt zu werden. Wenn sie z. B. dem Rindvieh das Maul
mit Fett bestreichen, so wird es nicht fressen, und wenn sie dann, als Heil¬
künstler angenommen, unter allerhand Hokuspokus das Fett entfernen, so wird
die Freßlust sich sofort und in einem um so höheren Grade wieder einstellen,
je länger das Thier, von Ekel abgehalten, der Krippe oder Weide entsagt hat.

Im Allgemeinen gilt der Satz, daß der Zigeuner nur solche Gewerbe
betreibt, welche sich mit seinem Wandertriebe vertragen und keine große und
dauernde Körperanstrengung erfordern. Geige, Horn und Flöte kann er
überall mit sich führen, eine kleine Schmiede läßt sich an jedem Zaun oder
Baum improvisiren, und das Handwerkszeug des Seiltänzers liefert ihm, so¬
weit er's nicht in seinem Wagen hat, bereitwilligst das Städtchen oder Dorf,
in dem er seine Kunst zu produciren vorhat.




Frankreich und die allgemeine Wehrpflicht
von
Max Jähns.
XIV.

VenMkmoe! und V6ed6auee! Das waren die Rufe, unter denen sich der
Sturz des Kaisertums und die Aufrichtung des (Zsuvornsment as la V6-


Grenzboten IV. 1872. 27
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[0217] fchung und Betrug hinauskommen. Der nochweit verbreitete Aberglaube und die Leichtgläubigkeit des Landvolks unterstützt sie dabei in einem Grade, den Mancher nicht für möglich halten wird. Fast überall herrscht unter den Bauern noch die Meinung, daß man Häuser durch Zaubersprüche gegen Brand sichere, und daß man bereits ausgebrochene Feuersbrünste durch solche geheimnißvolle Formeln beschwören könne, und dieser Glaube wird von den Zigeunern bestens benutzt. Bekannt ist ferner, daß ihre Weiber überall auf ihren Durchzügen das Wahrsagerhandwerk betreiben. Gewöhnlich lesen sie dann den Leuten ihre Zukunft aus den Linien der Hand, seltener aus der Karte, bisweilen auch aus dem in der Tasse zurückgebliebenen Kaffeesatz. Desgleichen treiben sie Traumdeuterei. Endlich suchen sie auch durch die Behauptung, Mittel gegen allerlei Krankheiten zu besitzen, Geld zu verdienen, wie das von fahren¬ den Leuten zu allen Zeiten geschehen ist. Sie wollen durch Amulete jede Krankheit fernhalten und durch Besprechung, „Verthun" oder „Versöhnen", wie der Volksausdruck für solche Manipulationen lautet, Fieber, Kopfweh, Gliederreißen u. tgi. bannen können. Vorzüglich aber bieten sie sich den Bauern als Viehärzte an. Sie mögen in dieser Hinsicht einige altbewährte Mittel durch Ueberlieferung kennen. Aber in der Regel ist ihr Treiben da¬ bei Schwindel, und nicht selten wird den betreffenden Thieren die Krankheits¬ ursache erst heimlich von ihnen beigebracht, um bei der angeblichen Heilung ebenso heimlich entfernt zu werden. Wenn sie z. B. dem Rindvieh das Maul mit Fett bestreichen, so wird es nicht fressen, und wenn sie dann, als Heil¬ künstler angenommen, unter allerhand Hokuspokus das Fett entfernen, so wird die Freßlust sich sofort und in einem um so höheren Grade wieder einstellen, je länger das Thier, von Ekel abgehalten, der Krippe oder Weide entsagt hat. Im Allgemeinen gilt der Satz, daß der Zigeuner nur solche Gewerbe betreibt, welche sich mit seinem Wandertriebe vertragen und keine große und dauernde Körperanstrengung erfordern. Geige, Horn und Flöte kann er überall mit sich führen, eine kleine Schmiede läßt sich an jedem Zaun oder Baum improvisiren, und das Handwerkszeug des Seiltänzers liefert ihm, so¬ weit er's nicht in seinem Wagen hat, bereitwilligst das Städtchen oder Dorf, in dem er seine Kunst zu produciren vorhat. Frankreich und die allgemeine Wehrpflicht von Max Jähns. XIV. VenMkmoe! und V6ed6auee! Das waren die Rufe, unter denen sich der Sturz des Kaisertums und die Aufrichtung des (Zsuvornsment as la V6- Grenzboten IV. 1872. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/217>, abgerufen am 04.07.2024.