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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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worren und zum Theil komisch. Er nennt es "Bara Dewel", d. i. der große
Gott. Bon ihm kommt "das göttliche Feuer", der Blitz und "der göttliche
Zorn", der Donner. "Der große Gott giebt Schnee und Regen, und seine
Lichter (die Sterne) brennen am Himmel." Stirbt dem Zigeuner ein Kind,
so hat es der große Gott "getroffen" und wird dafür unter den gräulichsten
Lästerungen verwünscht, was beiläufig auch bei andern Unglücksfällen ge¬
schieht. Daß der Zigeuner an eine persönliche Fortdauer nach dem Tode glaubt,
scheint zweifelhaft, obwohl die große Verehrung und Pietät, die er den Ver¬
storbenen widmet, die Frage bejahen lassen könnte. Sein höchster Schwur ist:
"Ap i Mulenda!" d. i. bei den Todten, und nie geht er am Grabe eines
Stammgenossen vorüber, ohne ein paar Tropfen Wein, Bier oder Brannt¬
wein als Libation darauf auszugießen. Gewiß ist, daß sie weit davon- ent¬
fernt sind, auf ein besseres Leben im christlichen Sinne zu hoffen. Aber wie
sie sich die Unsterblichkeit vorstellen, ist nicht zu sagen. Vielleicht ähnlich wie
die Indianer, die im Jenseits Heerden fetter Büffel zu jagen erwarten.
Wenigstens ließe sich etwas der Art nach der Erzählung der alten Frau bei
Liebich schließen, die oder deren Vorfahr im Traume gestorben zu sein glaubte
und sich nun in einem großen, schönen Garten befand, der von zahlreichen
fetten Igeln schwärmte.

Giebt der wandernde Zigeuner sich unter Christen immer für einen
Katholiken, (zigeunerisch, "Truschullengero", d. i. Kreuzmacher) aus --
Protestant (zigeunerisch "Pessoschereskero", d.i. Dickkopf) will er niemals sein,
-- so giebt er doch nicht das Geringste auf den Glaubensinhalt der Kirchen¬
lehre und macht höchstens die äußeren Gebräuche mit. Er weiß etwas vom
Fegefeuer, welches er "Deweleskeri Jack", das göttliche Feuer nennt, aber an
den Begriff der Seelenläuterung denkt er dabei nicht. Er bekreuzigt sich und
beugt das Knie vor Heiligenbildern, wohnt der Messe bei und hört scheinbar
andächtig die Predigt an, von der er nichts versteht. Bisweilen geht er auch
zum Abendmahl, oder "ißt", wie er sich ausdrückt, "das göttliche Blatt", die
Hostie, aber ohne'die leiseste Ahnung von der Bedeutung des Sacraments.
Seine Kinder läßt er regelmäßig taufen, jedoch nur um das übliche Pathen-
geschenk zu gewinnen, ja manche lassen die Ceremonie, um mehr damit zu
verdienen, an drei oder vier Orten wiederholen, wobei es ihnen ganz gleich
ist, ob der Pfarrer der katholischen oder der evangelischen Kirche angehört.
Niemals werden die Taufzeugen aus der eigenen Nation genommen, stets
müssen es Fremde sein. Confirmiren lassen die Zigeuner ihre Kinder nur
da, wo sie schon seit Jahren festen Wohnsitz und Eigenthum erworben haben.
Wenn sie nach der Eheschließung, die vor dem Hauptmann erfolgt, in der
Regel noch die kirchliche Trauung nachsuchen, so hat dies einzig den Zweck,
um der Frau einen Platz in der Reiselegitimation des Mannes zu ver-


worren und zum Theil komisch. Er nennt es „Bara Dewel", d. i. der große
Gott. Bon ihm kommt „das göttliche Feuer", der Blitz und „der göttliche
Zorn", der Donner. „Der große Gott giebt Schnee und Regen, und seine
Lichter (die Sterne) brennen am Himmel." Stirbt dem Zigeuner ein Kind,
so hat es der große Gott „getroffen" und wird dafür unter den gräulichsten
Lästerungen verwünscht, was beiläufig auch bei andern Unglücksfällen ge¬
schieht. Daß der Zigeuner an eine persönliche Fortdauer nach dem Tode glaubt,
scheint zweifelhaft, obwohl die große Verehrung und Pietät, die er den Ver¬
storbenen widmet, die Frage bejahen lassen könnte. Sein höchster Schwur ist:
„Ap i Mulenda!" d. i. bei den Todten, und nie geht er am Grabe eines
Stammgenossen vorüber, ohne ein paar Tropfen Wein, Bier oder Brannt¬
wein als Libation darauf auszugießen. Gewiß ist, daß sie weit davon- ent¬
fernt sind, auf ein besseres Leben im christlichen Sinne zu hoffen. Aber wie
sie sich die Unsterblichkeit vorstellen, ist nicht zu sagen. Vielleicht ähnlich wie
die Indianer, die im Jenseits Heerden fetter Büffel zu jagen erwarten.
Wenigstens ließe sich etwas der Art nach der Erzählung der alten Frau bei
Liebich schließen, die oder deren Vorfahr im Traume gestorben zu sein glaubte
und sich nun in einem großen, schönen Garten befand, der von zahlreichen
fetten Igeln schwärmte.

Giebt der wandernde Zigeuner sich unter Christen immer für einen
Katholiken, (zigeunerisch, „Truschullengero", d. i. Kreuzmacher) aus —
Protestant (zigeunerisch „Pessoschereskero", d.i. Dickkopf) will er niemals sein,
— so giebt er doch nicht das Geringste auf den Glaubensinhalt der Kirchen¬
lehre und macht höchstens die äußeren Gebräuche mit. Er weiß etwas vom
Fegefeuer, welches er „Deweleskeri Jack", das göttliche Feuer nennt, aber an
den Begriff der Seelenläuterung denkt er dabei nicht. Er bekreuzigt sich und
beugt das Knie vor Heiligenbildern, wohnt der Messe bei und hört scheinbar
andächtig die Predigt an, von der er nichts versteht. Bisweilen geht er auch
zum Abendmahl, oder „ißt", wie er sich ausdrückt, „das göttliche Blatt", die
Hostie, aber ohne'die leiseste Ahnung von der Bedeutung des Sacraments.
Seine Kinder läßt er regelmäßig taufen, jedoch nur um das übliche Pathen-
geschenk zu gewinnen, ja manche lassen die Ceremonie, um mehr damit zu
verdienen, an drei oder vier Orten wiederholen, wobei es ihnen ganz gleich
ist, ob der Pfarrer der katholischen oder der evangelischen Kirche angehört.
Niemals werden die Taufzeugen aus der eigenen Nation genommen, stets
müssen es Fremde sein. Confirmiren lassen die Zigeuner ihre Kinder nur
da, wo sie schon seit Jahren festen Wohnsitz und Eigenthum erworben haben.
Wenn sie nach der Eheschließung, die vor dem Hauptmann erfolgt, in der
Regel noch die kirchliche Trauung nachsuchen, so hat dies einzig den Zweck,
um der Frau einen Platz in der Reiselegitimation des Mannes zu ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/215>, abgerufen am 04.07.2024.