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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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wilden Leidenschaften hingab, die sonst der starke Arm des Gesetzes ge-
zügelt hatte.*)

Die Sprache der Regierung zielte vorzugsweise auf Beschwichtigung der
furchtbar erregten Leidenschaften hin, welche ihr selbst so gefährlich zu werden
drohten.

In Paris wurde ein Vertheidig ungscomitee ernannt, als dessen
Mitglieder Marschall Vaillant. Admiral Nigault de Genouilly, Baron I. David,
Bautenminister, sowie die Generale de Chaband la Tour, Guiod, d'Autemarre
d'Erville und Soumain fungirten und welchem der von den Wogen der Po¬
pularität mächtig emporgehobene General Trochu prcisidirte, der zum
Gouverneur von Paris ernannt worden war.

Palikao, den man in Paris gewohnt war, "den schlechtesten Kerl in
Frankreich" nennen zu hören, scheint nun ein Jntriguennetz angesponnen zu
haben. Er und sein Ministerium nahmen eine höchst befremdende Haltung
gegen den Kaiser an. Ohne seine Ermächtigung, ja ohne ihn auch nur davon
zu benachrichtigen, berief es die Kammern und schien es in seinen Erlassen
ängstlich zu vermeiden, auch nur den.Namen Napoleon's zu nennen. Palikao's
nächster Zweck war, den Kaiser von Paris fern zu halten, um selbst die höchste
Macht in Händen zu behalten. In einer, bereits oben citirten, wenn nicht
von Napoleon III. geschriebenen, so doch offenbar inspirirter Broschüre**) ist dies
deutlich erkennbar gemacht. Da heißt es: "Als der Kaiser im Lager von
Chalons anlangte, wurde in einem Kriegsrathe beschlossen, daß die daselbst
gesammelten Truppen unter dem Befehle des Marschalls Mac Mahon die
Richtung nach der Hauptstadt nähmen und daß der Kaiser nach Paris zurück¬
kehre, wie es ihm seine Pflicht vorschrieb. Als dieser Entschluß der Regierung
in Paris bekannt wurde, erregte er deren heftigste Opposition. Paris, sagte
man, sei in vollkommenem Vertheidigungszustande; die Armee von Chalons
müsse dazu verwendet werden, Metz zu entsetzen; die Rückkehr des Kaisers
würde von der öffentlichen Meinung sehr schlecht beurtheilt werden. .. . Der
Kaiser trat dem nicht entgegen; er sah wohl, daß sein Handeln durchaus in
den Hintergrund gedrängt werde; aber er war nicht mehr weder Chef der
Regierung noch der Armee, und so entschloß er sich, für seine Person dem
Heere zu folgen, obgleich er wohl fühlte, daß, wenn Erfolge errungen wür¬
den, man diese und zwar mit Recht den Feldherrn zuschreiben würde, wäh¬
rend man bei Unglücksfällen alle Verantwortlichkeit auf sein Haupt häufen




-) Um den Ausschreitungen des Frcischarlerweseus in Frankreich entgegenzutreten, wurde
am 28. August aus dem Hauptquartier Clermont Sr. Majestät des Königs die bekannte Procla-
mation publicirt.
") I.g8 "g,iisös gui out awsnv la Kapitulation <le Lvck-rü a. a. O.
Grenzboten IV. 1872. 24

wilden Leidenschaften hingab, die sonst der starke Arm des Gesetzes ge-
zügelt hatte.*)

Die Sprache der Regierung zielte vorzugsweise auf Beschwichtigung der
furchtbar erregten Leidenschaften hin, welche ihr selbst so gefährlich zu werden
drohten.

In Paris wurde ein Vertheidig ungscomitee ernannt, als dessen
Mitglieder Marschall Vaillant. Admiral Nigault de Genouilly, Baron I. David,
Bautenminister, sowie die Generale de Chaband la Tour, Guiod, d'Autemarre
d'Erville und Soumain fungirten und welchem der von den Wogen der Po¬
pularität mächtig emporgehobene General Trochu prcisidirte, der zum
Gouverneur von Paris ernannt worden war.

Palikao, den man in Paris gewohnt war, „den schlechtesten Kerl in
Frankreich" nennen zu hören, scheint nun ein Jntriguennetz angesponnen zu
haben. Er und sein Ministerium nahmen eine höchst befremdende Haltung
gegen den Kaiser an. Ohne seine Ermächtigung, ja ohne ihn auch nur davon
zu benachrichtigen, berief es die Kammern und schien es in seinen Erlassen
ängstlich zu vermeiden, auch nur den.Namen Napoleon's zu nennen. Palikao's
nächster Zweck war, den Kaiser von Paris fern zu halten, um selbst die höchste
Macht in Händen zu behalten. In einer, bereits oben citirten, wenn nicht
von Napoleon III. geschriebenen, so doch offenbar inspirirter Broschüre**) ist dies
deutlich erkennbar gemacht. Da heißt es: „Als der Kaiser im Lager von
Chalons anlangte, wurde in einem Kriegsrathe beschlossen, daß die daselbst
gesammelten Truppen unter dem Befehle des Marschalls Mac Mahon die
Richtung nach der Hauptstadt nähmen und daß der Kaiser nach Paris zurück¬
kehre, wie es ihm seine Pflicht vorschrieb. Als dieser Entschluß der Regierung
in Paris bekannt wurde, erregte er deren heftigste Opposition. Paris, sagte
man, sei in vollkommenem Vertheidigungszustande; die Armee von Chalons
müsse dazu verwendet werden, Metz zu entsetzen; die Rückkehr des Kaisers
würde von der öffentlichen Meinung sehr schlecht beurtheilt werden. .. . Der
Kaiser trat dem nicht entgegen; er sah wohl, daß sein Handeln durchaus in
den Hintergrund gedrängt werde; aber er war nicht mehr weder Chef der
Regierung noch der Armee, und so entschloß er sich, für seine Person dem
Heere zu folgen, obgleich er wohl fühlte, daß, wenn Erfolge errungen wür¬
den, man diese und zwar mit Recht den Feldherrn zuschreiben würde, wäh¬
rend man bei Unglücksfällen alle Verantwortlichkeit auf sein Haupt häufen




-) Um den Ausschreitungen des Frcischarlerweseus in Frankreich entgegenzutreten, wurde
am 28. August aus dem Hauptquartier Clermont Sr. Majestät des Königs die bekannte Procla-
mation publicirt.
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[0193] wilden Leidenschaften hingab, die sonst der starke Arm des Gesetzes ge- zügelt hatte.*) Die Sprache der Regierung zielte vorzugsweise auf Beschwichtigung der furchtbar erregten Leidenschaften hin, welche ihr selbst so gefährlich zu werden drohten. In Paris wurde ein Vertheidig ungscomitee ernannt, als dessen Mitglieder Marschall Vaillant. Admiral Nigault de Genouilly, Baron I. David, Bautenminister, sowie die Generale de Chaband la Tour, Guiod, d'Autemarre d'Erville und Soumain fungirten und welchem der von den Wogen der Po¬ pularität mächtig emporgehobene General Trochu prcisidirte, der zum Gouverneur von Paris ernannt worden war. Palikao, den man in Paris gewohnt war, „den schlechtesten Kerl in Frankreich" nennen zu hören, scheint nun ein Jntriguennetz angesponnen zu haben. Er und sein Ministerium nahmen eine höchst befremdende Haltung gegen den Kaiser an. Ohne seine Ermächtigung, ja ohne ihn auch nur davon zu benachrichtigen, berief es die Kammern und schien es in seinen Erlassen ängstlich zu vermeiden, auch nur den.Namen Napoleon's zu nennen. Palikao's nächster Zweck war, den Kaiser von Paris fern zu halten, um selbst die höchste Macht in Händen zu behalten. In einer, bereits oben citirten, wenn nicht von Napoleon III. geschriebenen, so doch offenbar inspirirter Broschüre**) ist dies deutlich erkennbar gemacht. Da heißt es: „Als der Kaiser im Lager von Chalons anlangte, wurde in einem Kriegsrathe beschlossen, daß die daselbst gesammelten Truppen unter dem Befehle des Marschalls Mac Mahon die Richtung nach der Hauptstadt nähmen und daß der Kaiser nach Paris zurück¬ kehre, wie es ihm seine Pflicht vorschrieb. Als dieser Entschluß der Regierung in Paris bekannt wurde, erregte er deren heftigste Opposition. Paris, sagte man, sei in vollkommenem Vertheidigungszustande; die Armee von Chalons müsse dazu verwendet werden, Metz zu entsetzen; die Rückkehr des Kaisers würde von der öffentlichen Meinung sehr schlecht beurtheilt werden. .. . Der Kaiser trat dem nicht entgegen; er sah wohl, daß sein Handeln durchaus in den Hintergrund gedrängt werde; aber er war nicht mehr weder Chef der Regierung noch der Armee, und so entschloß er sich, für seine Person dem Heere zu folgen, obgleich er wohl fühlte, daß, wenn Erfolge errungen wür¬ den, man diese und zwar mit Recht den Feldherrn zuschreiben würde, wäh¬ rend man bei Unglücksfällen alle Verantwortlichkeit auf sein Haupt häufen -) Um den Ausschreitungen des Frcischarlerweseus in Frankreich entgegenzutreten, wurde am 28. August aus dem Hauptquartier Clermont Sr. Majestät des Königs die bekannte Procla- mation publicirt. ") I.g8 «g,iisös gui out awsnv la Kapitulation <le Lvck-rü a. a. O. Grenzboten IV. 1872. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/193>, abgerufen am 22.07.2024.