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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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gar, man streitet sich hier," und bestätigte laut und entschieden die Ansicht seiner
hohen Gemahlin. So schien bis zum Scheiden der Kaiserdeputation von Berlin
doch mindestens die letzte Entscheidung noch nicht gefaßt, noch nicht Alles verloren.

Aber um so peinlicher wirkte die königliche Antwort auf die Parteien, auf
die weiteren Vorgänge in der Paulskirche. Schon am 11. April setzte die Linke
den Antrag (Kierulf-Bogt) durch: "Die Reichsversammlung erklärt feierlich
vor der deutschen Nation, an der in zweiter Lesung beschlossenen und
verkündeten Reichsverfassung wie an dem Wahlgesetze unwandelbar festzuhalten."
Die Vorberathung der Maßregeln zur Durchführung dieses Beschlusses wurde
einem Ausschuß von 30 Mitgliedern überwiesen. Noch ehe dieser Dreißiger-
Ausschuß indessen am 23. April seinen Bericht erstattete, hatte Preußen die
Bundesregierungen in einer Note eingeladen, sich über die Verfassung vom
28. März zu verständigen. Damit war das Vereinbarungsprincip klar aus¬
gesprochen und die langverhaltene Renitenz Oesterreichs und der Mittelstaaten
hatte den Vorwand zu einer legitimen Kundgebung gefunden. Nur die klei¬
neren Staaten, unter Badens'Führung und Württembergs Beitritt, forderten
Preußen in einer Collectivnote auf, Kaiserwahl und Verfassung unbedingt
anzunehmen und nicht durch das Festhalten an dem Vereinbarungsprineip
das Vaterland zu gefährden. Bayern dagegen wies "Einheitsstaat" und
"Erbkaiserthum" aus das Entschiedenste von sich und Oesterreich rief seine Ab¬
geordneten zurück, da das Parlament durch die Kaiserwahl den Boden des
Rechtes und Gesetzes verlassen habe. Unter solchen Verhältnissen faßte die
Versammlung am 26. April den Beschluß, die Regierungen, welche die Ver¬
fassung noch nicht anerkannt hätten, dazu, wie zur Anerkennung des Reichs¬
oberhauptes und des Wahlgesetzes aufzufordern; auch sollten dieselben jetzt von
ihrem Rechte der Landtagsauflösung keinen Gebrauch machen. Die provisorische
Centralgewalt solle diese Beschlüsse zur Ausführung bringen. Bassermann,
Mathy, Briegleb und Watzdorf reisten zu diesem Zwecke als Reichscommissare
nach Berlin, München, Hannover und Dresden.

Inzwischen hatten die Kammern in Berlin, Hannover und Dresden die
Reichsverfassung angenommen. Hannover hatte die Annahme mit der Kam¬
merauflösung beantwortet. Preußen war am 27., Sachsen am 28. April
diesem Schritte gefolgt. An demselben Tage richtete Preußen eine Note nach
Frankfurt, in welcher es die Reichsverfassung und Kaiserwürde definitiv ab¬
lehnte. Damit war dem Wirken der Partei Simson^s im Parlament der
Boden entzogen. Sie war vor die Alternative gestellt, entweder auf ihre
Sitze zu verzichten, oder mit der Linken für bewaffnete Revolution einzustehen.
Noch einmal zwar ging Simson's Name Ende April bei der vierwöchentlichen
Präsidentenwahl fast einstimmig aus der Urne hervor; er führte sein Amt
weiter, bis er gegen Ende Mai unter schwerem körperlichem und seelischem


gar, man streitet sich hier," und bestätigte laut und entschieden die Ansicht seiner
hohen Gemahlin. So schien bis zum Scheiden der Kaiserdeputation von Berlin
doch mindestens die letzte Entscheidung noch nicht gefaßt, noch nicht Alles verloren.

Aber um so peinlicher wirkte die königliche Antwort auf die Parteien, auf
die weiteren Vorgänge in der Paulskirche. Schon am 11. April setzte die Linke
den Antrag (Kierulf-Bogt) durch: „Die Reichsversammlung erklärt feierlich
vor der deutschen Nation, an der in zweiter Lesung beschlossenen und
verkündeten Reichsverfassung wie an dem Wahlgesetze unwandelbar festzuhalten."
Die Vorberathung der Maßregeln zur Durchführung dieses Beschlusses wurde
einem Ausschuß von 30 Mitgliedern überwiesen. Noch ehe dieser Dreißiger-
Ausschuß indessen am 23. April seinen Bericht erstattete, hatte Preußen die
Bundesregierungen in einer Note eingeladen, sich über die Verfassung vom
28. März zu verständigen. Damit war das Vereinbarungsprincip klar aus¬
gesprochen und die langverhaltene Renitenz Oesterreichs und der Mittelstaaten
hatte den Vorwand zu einer legitimen Kundgebung gefunden. Nur die klei¬
neren Staaten, unter Badens'Führung und Württembergs Beitritt, forderten
Preußen in einer Collectivnote auf, Kaiserwahl und Verfassung unbedingt
anzunehmen und nicht durch das Festhalten an dem Vereinbarungsprineip
das Vaterland zu gefährden. Bayern dagegen wies „Einheitsstaat" und
„Erbkaiserthum" aus das Entschiedenste von sich und Oesterreich rief seine Ab¬
geordneten zurück, da das Parlament durch die Kaiserwahl den Boden des
Rechtes und Gesetzes verlassen habe. Unter solchen Verhältnissen faßte die
Versammlung am 26. April den Beschluß, die Regierungen, welche die Ver¬
fassung noch nicht anerkannt hätten, dazu, wie zur Anerkennung des Reichs¬
oberhauptes und des Wahlgesetzes aufzufordern; auch sollten dieselben jetzt von
ihrem Rechte der Landtagsauflösung keinen Gebrauch machen. Die provisorische
Centralgewalt solle diese Beschlüsse zur Ausführung bringen. Bassermann,
Mathy, Briegleb und Watzdorf reisten zu diesem Zwecke als Reichscommissare
nach Berlin, München, Hannover und Dresden.

Inzwischen hatten die Kammern in Berlin, Hannover und Dresden die
Reichsverfassung angenommen. Hannover hatte die Annahme mit der Kam¬
merauflösung beantwortet. Preußen war am 27., Sachsen am 28. April
diesem Schritte gefolgt. An demselben Tage richtete Preußen eine Note nach
Frankfurt, in welcher es die Reichsverfassung und Kaiserwürde definitiv ab¬
lehnte. Damit war dem Wirken der Partei Simson^s im Parlament der
Boden entzogen. Sie war vor die Alternative gestellt, entweder auf ihre
Sitze zu verzichten, oder mit der Linken für bewaffnete Revolution einzustehen.
Noch einmal zwar ging Simson's Name Ende April bei der vierwöchentlichen
Präsidentenwahl fast einstimmig aus der Urne hervor; er führte sein Amt
weiter, bis er gegen Ende Mai unter schwerem körperlichem und seelischem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/19>, abgerufen am 22.07.2024.