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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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den Ruhm einbüßten und in denen sie die Deutschen den blutigen Lorbeer
theuer bezahlen ließen. -- Telegraphirte doch König Wilhelm damals in rit¬
terlicher Anerkennung des Gegners: "Unsere Truppen thaten Wunder der
Tapferkeit gegen einen gleich braven Feind, der jeden Schritt
vertheidigte und oft Offensivstöße unternahm, die jedesmal
zurückgeschlagen wurden." Aber dieser energische Aufschwung sank bald in
sich zusammen. Unerhört wird es immer bleiben, daß eine Armee von gegen
200,000 Mann, gestützt auf eine der stärksten Festungen der Welt, mit jedem
Vortheil des Terrains und der inneren Linien, es nicht vermochte, den ehernen
aber doch nur dünnen Ring zu sprengen, mit welchem sie eine nur wenig
stärkere Armee umschloß! Wie mußte endlich der Geist des Heeres erschlafft
sein, wenn am 10. October ein Kriegsrath, dem unter Bazaine's Vorsitz die
Marschälle Canrobert und Leboeuf, die Generale Frossard. de l'Admirault,
Decaön, Soleil, Lebrun und Coffinieres de Nordeck anwohnten, sich entschloß,
auf jede weitere Action zu verzichten, "weil die Verluste auf den Geist der
Armee zerstörenden Einfluß üben könnten." -- Wir wollen hier in keiner
Weise auf die Vermuthungen eingehen, welche man über die politischen Gründe
von Bazaine's Verhalten aufgestellt, weil die Acten über seinen "Verrath"
nicht spruchreif sind; aber widerwärtig ist das Schauspiel, welches er und die
Armee am Schluß der großen Katastrophe gab. In diesem Augenblicke furcht¬
baren Unglücks des Vaterlandes regnete es Beförderungen (selbst bis zum
Divisionsgeneral) und Orden der Ehrenlegion. Der Durst nach Epauletten
und Bändern, den das Kaiserreich groß gezogen, wuchs mit jedem Tage; das
Schicksal des Vaterlandes wurde vergessen, und die Armee von Metz zeigte das
traurige Schicksal des Ehrgeizes ohne Scham, der Bewerbungen ohne Würde.
-- Am 28. October wurden die meisten Beförderungen -- sig'n6 en Klane
-- und ganze Massen von Decorationen von Bazaine vertheilt.

Auf einem Stuhle sitzend, der auf einen Frachtwagen gestellt wa^, langte
der von Bazaine als tanto entthronte Kaiser Napoleon im Lager von Chalons
ein*), wo von Mac Mahon im Anschluß an die Trümmer seines bei Weißen¬
burg und Wörth geschlagenen Armee-Corps ein zweites Heer gebildet wurde.
Folgendes war sein Bestand:

I. Corps Ducrot (für Mac Mahon). Wegen der großen Verluste, die es er¬
litten, waren ihm neu zugewiesen: das 1. und 2. Marschregiment und 1 Ba¬
taillon Franctireurs de Paris.
V. Corps, de Failly.
VII. Corps. Felix Donay.
IIX. Corps. Lebrun, bei Chalons neu formirt, zum Theil aus Marinetruppen,


") Aussage im Proceß Trochu. März 1872.

den Ruhm einbüßten und in denen sie die Deutschen den blutigen Lorbeer
theuer bezahlen ließen. — Telegraphirte doch König Wilhelm damals in rit¬
terlicher Anerkennung des Gegners: „Unsere Truppen thaten Wunder der
Tapferkeit gegen einen gleich braven Feind, der jeden Schritt
vertheidigte und oft Offensivstöße unternahm, die jedesmal
zurückgeschlagen wurden." Aber dieser energische Aufschwung sank bald in
sich zusammen. Unerhört wird es immer bleiben, daß eine Armee von gegen
200,000 Mann, gestützt auf eine der stärksten Festungen der Welt, mit jedem
Vortheil des Terrains und der inneren Linien, es nicht vermochte, den ehernen
aber doch nur dünnen Ring zu sprengen, mit welchem sie eine nur wenig
stärkere Armee umschloß! Wie mußte endlich der Geist des Heeres erschlafft
sein, wenn am 10. October ein Kriegsrath, dem unter Bazaine's Vorsitz die
Marschälle Canrobert und Leboeuf, die Generale Frossard. de l'Admirault,
Decaön, Soleil, Lebrun und Coffinieres de Nordeck anwohnten, sich entschloß,
auf jede weitere Action zu verzichten, „weil die Verluste auf den Geist der
Armee zerstörenden Einfluß üben könnten." — Wir wollen hier in keiner
Weise auf die Vermuthungen eingehen, welche man über die politischen Gründe
von Bazaine's Verhalten aufgestellt, weil die Acten über seinen „Verrath"
nicht spruchreif sind; aber widerwärtig ist das Schauspiel, welches er und die
Armee am Schluß der großen Katastrophe gab. In diesem Augenblicke furcht¬
baren Unglücks des Vaterlandes regnete es Beförderungen (selbst bis zum
Divisionsgeneral) und Orden der Ehrenlegion. Der Durst nach Epauletten
und Bändern, den das Kaiserreich groß gezogen, wuchs mit jedem Tage; das
Schicksal des Vaterlandes wurde vergessen, und die Armee von Metz zeigte das
traurige Schicksal des Ehrgeizes ohne Scham, der Bewerbungen ohne Würde.
— Am 28. October wurden die meisten Beförderungen — sig'n6 en Klane
— und ganze Massen von Decorationen von Bazaine vertheilt.

Auf einem Stuhle sitzend, der auf einen Frachtwagen gestellt wa^, langte
der von Bazaine als tanto entthronte Kaiser Napoleon im Lager von Chalons
ein*), wo von Mac Mahon im Anschluß an die Trümmer seines bei Weißen¬
burg und Wörth geschlagenen Armee-Corps ein zweites Heer gebildet wurde.
Folgendes war sein Bestand:

I. Corps Ducrot (für Mac Mahon). Wegen der großen Verluste, die es er¬
litten, waren ihm neu zugewiesen: das 1. und 2. Marschregiment und 1 Ba¬
taillon Franctireurs de Paris.
V. Corps, de Failly.
VII. Corps. Felix Donay.
IIX. Corps. Lebrun, bei Chalons neu formirt, zum Theil aus Marinetruppen,


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[0189] den Ruhm einbüßten und in denen sie die Deutschen den blutigen Lorbeer theuer bezahlen ließen. — Telegraphirte doch König Wilhelm damals in rit¬ terlicher Anerkennung des Gegners: „Unsere Truppen thaten Wunder der Tapferkeit gegen einen gleich braven Feind, der jeden Schritt vertheidigte und oft Offensivstöße unternahm, die jedesmal zurückgeschlagen wurden." Aber dieser energische Aufschwung sank bald in sich zusammen. Unerhört wird es immer bleiben, daß eine Armee von gegen 200,000 Mann, gestützt auf eine der stärksten Festungen der Welt, mit jedem Vortheil des Terrains und der inneren Linien, es nicht vermochte, den ehernen aber doch nur dünnen Ring zu sprengen, mit welchem sie eine nur wenig stärkere Armee umschloß! Wie mußte endlich der Geist des Heeres erschlafft sein, wenn am 10. October ein Kriegsrath, dem unter Bazaine's Vorsitz die Marschälle Canrobert und Leboeuf, die Generale Frossard. de l'Admirault, Decaön, Soleil, Lebrun und Coffinieres de Nordeck anwohnten, sich entschloß, auf jede weitere Action zu verzichten, „weil die Verluste auf den Geist der Armee zerstörenden Einfluß üben könnten." — Wir wollen hier in keiner Weise auf die Vermuthungen eingehen, welche man über die politischen Gründe von Bazaine's Verhalten aufgestellt, weil die Acten über seinen „Verrath" nicht spruchreif sind; aber widerwärtig ist das Schauspiel, welches er und die Armee am Schluß der großen Katastrophe gab. In diesem Augenblicke furcht¬ baren Unglücks des Vaterlandes regnete es Beförderungen (selbst bis zum Divisionsgeneral) und Orden der Ehrenlegion. Der Durst nach Epauletten und Bändern, den das Kaiserreich groß gezogen, wuchs mit jedem Tage; das Schicksal des Vaterlandes wurde vergessen, und die Armee von Metz zeigte das traurige Schicksal des Ehrgeizes ohne Scham, der Bewerbungen ohne Würde. — Am 28. October wurden die meisten Beförderungen — sig'n6 en Klane — und ganze Massen von Decorationen von Bazaine vertheilt. Auf einem Stuhle sitzend, der auf einen Frachtwagen gestellt wa^, langte der von Bazaine als tanto entthronte Kaiser Napoleon im Lager von Chalons ein*), wo von Mac Mahon im Anschluß an die Trümmer seines bei Weißen¬ burg und Wörth geschlagenen Armee-Corps ein zweites Heer gebildet wurde. Folgendes war sein Bestand: I. Corps Ducrot (für Mac Mahon). Wegen der großen Verluste, die es er¬ litten, waren ihm neu zugewiesen: das 1. und 2. Marschregiment und 1 Ba¬ taillon Franctireurs de Paris. V. Corps, de Failly. VII. Corps. Felix Donay. IIX. Corps. Lebrun, bei Chalons neu formirt, zum Theil aus Marinetruppen, ") Aussage im Proceß Trochu. März 1872.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/189>, abgerufen am 22.07.2024.