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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Gesichtspunkte erklären Vieles in den großartigen Ereignissen, mit denen der
Krieg begann: in den Schlachten von Weißendur g und Saarbrücken,
von Spichern und Wörth. Die entsetzliche Flucht, welcher sich die Armee
Mac Mahon's nach der letztgenannten Schlacht hingab, ist weltberüchtigt. Es
war um allen inneren Halt des Franzosen geschehen, sobald er bemerkte, daß
seine alten gewohnten Erb- und Hausmittel im Gefecht nicht die erwartete
Wirkung thaten. Und nun gewahrten die, oftmals durch Intriguen empor¬
gehobenen, ihren Soldaten stets fernstehenden Commandeurs mit Entsetzen,
daß auch auf die sonst besten Truppen nicht mehr zu zählen sei. Die Des¬
peration hierüber und die Verzweiflung über den Mangel an ergiebigen Nach¬
schüben bemächtigte sich aller leitenden Kreise, schuf bald Waghalsigkeit bis
zur Tollheit, bald Kleinmuth bis zum völligen Verzagen, erzeugte im ganzen
Räderwerke eine gründliche Verwirrung und riß schließlich gleich einer mächtig
angeschwollenen Lawine das ganze Gebäude der bestandenen Kriegsordnung
über den Haufen.*)

Jene schwankende Zuverlässigkeit der Franzosen zeigte sich ferner recht
deutlich in dem großen Drama von Metz. Anfangs schien es, als ob mit
dem Augenblick, wo Bazaine den Kaiser thatsächlich absetzte (d. h. mit dem
Tage, wo Napoleon versprach, keinerlei Einfluß mehr auf die Operationen
auszuüben und den Marschall Leboeuf aus seiner Stellung als Major-Ge¬
neral entließ) ein ganz neuer Geist in die französische Armee einziehen wolle.
Das Hauptquartier änderte seinen Character durchaus. Bisher hatten sich
Massen von Zuschauern bei demselben umhergetrieben, welche die militärische
Promenade nach Berlin mitmachen wollten, und namentlich war dem Heer
eine große Anzahl zweideutiger Weiber gefolgt, die Vieles dazu beitrugen,
den Ernst der Kriegführung nicht aufkommen zu lassen. Alles war eitel Ver¬
gnügen und Zerstreuung gewesen, und jene Schwäche der Franzosen: bei Un¬
ternehmungen aller Art den Erfolg und nicht auch die Mittel ins Auge zu
fassen, die zum Ziele führen, war durch leichtfertigen Chauvinismus bei Ge¬
neralen, Officieren und Soldaten wie bei dem Bürger zum Ausdruck gekom¬
men. Das ward nun alles anders. Noch im Laufe des 7. August fuhren
zwei Eisenbahnzüge, mit der Demimonde beladen, von Metz nach Paris zurück,
und auch sonst säuberte Bazaine die Stadt und das Hauptquartier von allen
unnützen Elementen und zeigte den Willen, mit eiserner Entschlossenheit auf¬
zutreten.**) -- In dieser zusammengenommenen Stimmung schlugen die Fran¬
zosen jene großen Schlachten vor Metz, in denen sie zwar den Sieg, nicht aber




-) Berge. Hyla. Wibiral- Reisebericht aus Frankreich 187". Aus einem Vortrage v. 31.
Mrz, 1871. (Organ des militärwissenschastlichen Vereins zu Wien. III. Band.)
") Bancalari: a, a. O.

Gesichtspunkte erklären Vieles in den großartigen Ereignissen, mit denen der
Krieg begann: in den Schlachten von Weißendur g und Saarbrücken,
von Spichern und Wörth. Die entsetzliche Flucht, welcher sich die Armee
Mac Mahon's nach der letztgenannten Schlacht hingab, ist weltberüchtigt. Es
war um allen inneren Halt des Franzosen geschehen, sobald er bemerkte, daß
seine alten gewohnten Erb- und Hausmittel im Gefecht nicht die erwartete
Wirkung thaten. Und nun gewahrten die, oftmals durch Intriguen empor¬
gehobenen, ihren Soldaten stets fernstehenden Commandeurs mit Entsetzen,
daß auch auf die sonst besten Truppen nicht mehr zu zählen sei. Die Des¬
peration hierüber und die Verzweiflung über den Mangel an ergiebigen Nach¬
schüben bemächtigte sich aller leitenden Kreise, schuf bald Waghalsigkeit bis
zur Tollheit, bald Kleinmuth bis zum völligen Verzagen, erzeugte im ganzen
Räderwerke eine gründliche Verwirrung und riß schließlich gleich einer mächtig
angeschwollenen Lawine das ganze Gebäude der bestandenen Kriegsordnung
über den Haufen.*)

Jene schwankende Zuverlässigkeit der Franzosen zeigte sich ferner recht
deutlich in dem großen Drama von Metz. Anfangs schien es, als ob mit
dem Augenblick, wo Bazaine den Kaiser thatsächlich absetzte (d. h. mit dem
Tage, wo Napoleon versprach, keinerlei Einfluß mehr auf die Operationen
auszuüben und den Marschall Leboeuf aus seiner Stellung als Major-Ge¬
neral entließ) ein ganz neuer Geist in die französische Armee einziehen wolle.
Das Hauptquartier änderte seinen Character durchaus. Bisher hatten sich
Massen von Zuschauern bei demselben umhergetrieben, welche die militärische
Promenade nach Berlin mitmachen wollten, und namentlich war dem Heer
eine große Anzahl zweideutiger Weiber gefolgt, die Vieles dazu beitrugen,
den Ernst der Kriegführung nicht aufkommen zu lassen. Alles war eitel Ver¬
gnügen und Zerstreuung gewesen, und jene Schwäche der Franzosen: bei Un¬
ternehmungen aller Art den Erfolg und nicht auch die Mittel ins Auge zu
fassen, die zum Ziele führen, war durch leichtfertigen Chauvinismus bei Ge¬
neralen, Officieren und Soldaten wie bei dem Bürger zum Ausdruck gekom¬
men. Das ward nun alles anders. Noch im Laufe des 7. August fuhren
zwei Eisenbahnzüge, mit der Demimonde beladen, von Metz nach Paris zurück,
und auch sonst säuberte Bazaine die Stadt und das Hauptquartier von allen
unnützen Elementen und zeigte den Willen, mit eiserner Entschlossenheit auf¬
zutreten.**) — In dieser zusammengenommenen Stimmung schlugen die Fran¬
zosen jene großen Schlachten vor Metz, in denen sie zwar den Sieg, nicht aber




-) Berge. Hyla. Wibiral- Reisebericht aus Frankreich 187». Aus einem Vortrage v. 31.
Mrz, 1871. (Organ des militärwissenschastlichen Vereins zu Wien. III. Band.)
") Bancalari: a, a. O.
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[0188] Gesichtspunkte erklären Vieles in den großartigen Ereignissen, mit denen der Krieg begann: in den Schlachten von Weißendur g und Saarbrücken, von Spichern und Wörth. Die entsetzliche Flucht, welcher sich die Armee Mac Mahon's nach der letztgenannten Schlacht hingab, ist weltberüchtigt. Es war um allen inneren Halt des Franzosen geschehen, sobald er bemerkte, daß seine alten gewohnten Erb- und Hausmittel im Gefecht nicht die erwartete Wirkung thaten. Und nun gewahrten die, oftmals durch Intriguen empor¬ gehobenen, ihren Soldaten stets fernstehenden Commandeurs mit Entsetzen, daß auch auf die sonst besten Truppen nicht mehr zu zählen sei. Die Des¬ peration hierüber und die Verzweiflung über den Mangel an ergiebigen Nach¬ schüben bemächtigte sich aller leitenden Kreise, schuf bald Waghalsigkeit bis zur Tollheit, bald Kleinmuth bis zum völligen Verzagen, erzeugte im ganzen Räderwerke eine gründliche Verwirrung und riß schließlich gleich einer mächtig angeschwollenen Lawine das ganze Gebäude der bestandenen Kriegsordnung über den Haufen.*) Jene schwankende Zuverlässigkeit der Franzosen zeigte sich ferner recht deutlich in dem großen Drama von Metz. Anfangs schien es, als ob mit dem Augenblick, wo Bazaine den Kaiser thatsächlich absetzte (d. h. mit dem Tage, wo Napoleon versprach, keinerlei Einfluß mehr auf die Operationen auszuüben und den Marschall Leboeuf aus seiner Stellung als Major-Ge¬ neral entließ) ein ganz neuer Geist in die französische Armee einziehen wolle. Das Hauptquartier änderte seinen Character durchaus. Bisher hatten sich Massen von Zuschauern bei demselben umhergetrieben, welche die militärische Promenade nach Berlin mitmachen wollten, und namentlich war dem Heer eine große Anzahl zweideutiger Weiber gefolgt, die Vieles dazu beitrugen, den Ernst der Kriegführung nicht aufkommen zu lassen. Alles war eitel Ver¬ gnügen und Zerstreuung gewesen, und jene Schwäche der Franzosen: bei Un¬ ternehmungen aller Art den Erfolg und nicht auch die Mittel ins Auge zu fassen, die zum Ziele führen, war durch leichtfertigen Chauvinismus bei Ge¬ neralen, Officieren und Soldaten wie bei dem Bürger zum Ausdruck gekom¬ men. Das ward nun alles anders. Noch im Laufe des 7. August fuhren zwei Eisenbahnzüge, mit der Demimonde beladen, von Metz nach Paris zurück, und auch sonst säuberte Bazaine die Stadt und das Hauptquartier von allen unnützen Elementen und zeigte den Willen, mit eiserner Entschlossenheit auf¬ zutreten.**) — In dieser zusammengenommenen Stimmung schlugen die Fran¬ zosen jene großen Schlachten vor Metz, in denen sie zwar den Sieg, nicht aber -) Berge. Hyla. Wibiral- Reisebericht aus Frankreich 187». Aus einem Vortrage v. 31. Mrz, 1871. (Organ des militärwissenschastlichen Vereins zu Wien. III. Band.) ") Bancalari: a, a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/188>, abgerufen am 22.07.2024.