Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ist mir bei jeder Gelegenheit eine widrige Erscheinung entgegengetreten; wo
ich auch mit Soldaten Gespräche anknüpfte, überall mußte ich den Ausdruck
des Entschlusses hören, diesen oder jenen General zu hängen oder zu erschießen.
Das waren natürlich leere Worte; aber von Sinn für Autorität zeugten
sie nicht."

Wie sehr man sich übrigens selbst im Einzelnen bei der Stellen-
besetzung vom Zufall leiten ließ, beweist der Umstand, daß man an die
Spitze der Mitrailleusenbatterien nicht diejenigen Capitains stellte, welche 1869
bei den Uebungen in Meudon die Bedienung gelernt, sondern solche, die sie
niemals gesehen hatten.*)

Der Aufenthalt in den Lagern und die Kriegführung in Algerien hatten
die Officiere, statt sie abzuhärten, an viele Bequemlichkeiten gewöhnt,
die mit den Bedingungen großer europäischer Kriege völlig unvereinbar sind.
Jeder von ihnen beanspruchte ein geräumiges Zelt, eine Feldequipage mit
Vorrathssachen, ein mit dem Namen xoxote belegtes Material und eine
Reserve von Lebensmitteln und alles dies soll ihm fast auf dem Fuße folgen.**)

Diese Neigung zur Lagergemächlichkeit überbürdete aber auch jeden ein¬
zelnen Soldaten namentlich durch die Theile ihrer Wirtes ä'abri dergestalt,
daß er nur mit Mühe den Bewegungen auf dem Schlachtfelde zu folgen ver¬
mochte, daher sah man in allen neueren Kriegen Frankreichs, daß stets, wenn
von den Truppen eine entscheidende Action zu fordern war, ihnen eine größere
Beweglichkeit dadurch zu geben versucht wurde, daß man sie ihr Gepäck ab¬
legen ließ. Im Laufe des Krieges von 1870 war Gelegenheit, die zahllosen
Jnconvenienzen einer solchen Maßregel aus das Empfindlichste kennen zu
lernen. Gingen doch z. B. nach der Schlacht am 18. Aug. die Tornister
zweier ganzer Armee-Corps, der Corps Canrobert und L'Admirault, vollständig
verloren, und beim VII. Corps warf ein einziges Infanterie-Regiment auf
einem heißen Marsche noch viele Meilen vom Feinde (französischem Bericht
zufolge) 800 Tornister und 700 Gewehre fort. Haufenweis lagen die Sol¬
daten in den Chausseegraben und riefen den sie aufmunternden Officieren
Flegeleien zu.

Die Neigung zur Lagerbequemlichkeit offenbart sich auch in der unge¬
meinen Wichtigkeit, mit der der französische Soldat die Bereitung seines
Mittagsessens behandelt. Seine Friandise nöthigt ihn zu so vielen Aus¬
flügen in ^die umliegenden Gärten und Ortschaften, daß es nicht Wunder
nehmen darf, die deutschen Geschosse so oft. bei Weißenburg, Wörth, Mars-
la-Tour, Mouzon u. f. w. in die Kochtöpfe schlagen zu sehn und eine Be-




") I.S "vents us I" LliapöNc? a. a. O.
") V. v'", ostivivr ü'ötivt wHor: Mstoire als I-" "uerro als 1870. Paris t871.
Grenzboten IV. 187A. 23

ist mir bei jeder Gelegenheit eine widrige Erscheinung entgegengetreten; wo
ich auch mit Soldaten Gespräche anknüpfte, überall mußte ich den Ausdruck
des Entschlusses hören, diesen oder jenen General zu hängen oder zu erschießen.
Das waren natürlich leere Worte; aber von Sinn für Autorität zeugten
sie nicht."

Wie sehr man sich übrigens selbst im Einzelnen bei der Stellen-
besetzung vom Zufall leiten ließ, beweist der Umstand, daß man an die
Spitze der Mitrailleusenbatterien nicht diejenigen Capitains stellte, welche 1869
bei den Uebungen in Meudon die Bedienung gelernt, sondern solche, die sie
niemals gesehen hatten.*)

Der Aufenthalt in den Lagern und die Kriegführung in Algerien hatten
die Officiere, statt sie abzuhärten, an viele Bequemlichkeiten gewöhnt,
die mit den Bedingungen großer europäischer Kriege völlig unvereinbar sind.
Jeder von ihnen beanspruchte ein geräumiges Zelt, eine Feldequipage mit
Vorrathssachen, ein mit dem Namen xoxote belegtes Material und eine
Reserve von Lebensmitteln und alles dies soll ihm fast auf dem Fuße folgen.**)

Diese Neigung zur Lagergemächlichkeit überbürdete aber auch jeden ein¬
zelnen Soldaten namentlich durch die Theile ihrer Wirtes ä'abri dergestalt,
daß er nur mit Mühe den Bewegungen auf dem Schlachtfelde zu folgen ver¬
mochte, daher sah man in allen neueren Kriegen Frankreichs, daß stets, wenn
von den Truppen eine entscheidende Action zu fordern war, ihnen eine größere
Beweglichkeit dadurch zu geben versucht wurde, daß man sie ihr Gepäck ab¬
legen ließ. Im Laufe des Krieges von 1870 war Gelegenheit, die zahllosen
Jnconvenienzen einer solchen Maßregel aus das Empfindlichste kennen zu
lernen. Gingen doch z. B. nach der Schlacht am 18. Aug. die Tornister
zweier ganzer Armee-Corps, der Corps Canrobert und L'Admirault, vollständig
verloren, und beim VII. Corps warf ein einziges Infanterie-Regiment auf
einem heißen Marsche noch viele Meilen vom Feinde (französischem Bericht
zufolge) 800 Tornister und 700 Gewehre fort. Haufenweis lagen die Sol¬
daten in den Chausseegraben und riefen den sie aufmunternden Officieren
Flegeleien zu.

Die Neigung zur Lagerbequemlichkeit offenbart sich auch in der unge¬
meinen Wichtigkeit, mit der der französische Soldat die Bereitung seines
Mittagsessens behandelt. Seine Friandise nöthigt ihn zu so vielen Aus¬
flügen in ^die umliegenden Gärten und Ortschaften, daß es nicht Wunder
nehmen darf, die deutschen Geschosse so oft. bei Weißenburg, Wörth, Mars-
la-Tour, Mouzon u. f. w. in die Kochtöpfe schlagen zu sehn und eine Be-




") I.S «vents us I» LliapöNc? a. a. O.
") V. v'", ostivivr ü'ötivt wHor: Mstoire als I-» «uerro als 1870. Paris t871.
Grenzboten IV. 187A. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128639"/>
            <p xml:id="ID_534" prev="#ID_533"> ist mir bei jeder Gelegenheit eine widrige Erscheinung entgegengetreten; wo<lb/>
ich auch mit Soldaten Gespräche anknüpfte, überall mußte ich den Ausdruck<lb/>
des Entschlusses hören, diesen oder jenen General zu hängen oder zu erschießen.<lb/>
Das waren natürlich leere Worte; aber von Sinn für Autorität zeugten<lb/>
sie nicht."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_535"> Wie sehr man sich übrigens selbst im Einzelnen bei der Stellen-<lb/>
besetzung vom Zufall leiten ließ, beweist der Umstand, daß man an die<lb/>
Spitze der Mitrailleusenbatterien nicht diejenigen Capitains stellte, welche 1869<lb/>
bei den Uebungen in Meudon die Bedienung gelernt, sondern solche, die sie<lb/>
niemals gesehen hatten.*)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_536"> Der Aufenthalt in den Lagern und die Kriegführung in Algerien hatten<lb/>
die Officiere, statt sie abzuhärten, an viele Bequemlichkeiten gewöhnt,<lb/>
die mit den Bedingungen großer europäischer Kriege völlig unvereinbar sind.<lb/>
Jeder von ihnen beanspruchte ein geräumiges Zelt, eine Feldequipage mit<lb/>
Vorrathssachen, ein mit dem Namen xoxote belegtes Material und eine<lb/>
Reserve von Lebensmitteln und alles dies soll ihm fast auf dem Fuße folgen.**)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_537"> Diese Neigung zur Lagergemächlichkeit überbürdete aber auch jeden ein¬<lb/>
zelnen Soldaten namentlich durch die Theile ihrer Wirtes ä'abri dergestalt,<lb/>
daß er nur mit Mühe den Bewegungen auf dem Schlachtfelde zu folgen ver¬<lb/>
mochte, daher sah man in allen neueren Kriegen Frankreichs, daß stets, wenn<lb/>
von den Truppen eine entscheidende Action zu fordern war, ihnen eine größere<lb/>
Beweglichkeit dadurch zu geben versucht wurde, daß man sie ihr Gepäck ab¬<lb/>
legen ließ. Im Laufe des Krieges von 1870 war Gelegenheit, die zahllosen<lb/>
Jnconvenienzen einer solchen Maßregel aus das Empfindlichste kennen zu<lb/>
lernen. Gingen doch z. B. nach der Schlacht am 18. Aug. die Tornister<lb/>
zweier ganzer Armee-Corps, der Corps Canrobert und L'Admirault, vollständig<lb/>
verloren, und beim VII. Corps warf ein einziges Infanterie-Regiment auf<lb/>
einem heißen Marsche noch viele Meilen vom Feinde (französischem Bericht<lb/>
zufolge) 800 Tornister und 700 Gewehre fort. Haufenweis lagen die Sol¬<lb/>
daten in den Chausseegraben und riefen den sie aufmunternden Officieren<lb/>
Flegeleien zu.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_538" next="#ID_539"> Die Neigung zur Lagerbequemlichkeit offenbart sich auch in der unge¬<lb/>
meinen Wichtigkeit, mit der der französische Soldat die Bereitung seines<lb/>
Mittagsessens behandelt. Seine Friandise nöthigt ihn zu so vielen Aus¬<lb/>
flügen in ^die umliegenden Gärten und Ortschaften, daß es nicht Wunder<lb/>
nehmen darf, die deutschen Geschosse so oft. bei Weißenburg, Wörth, Mars-<lb/>
la-Tour, Mouzon u. f. w. in die Kochtöpfe schlagen zu sehn und eine Be-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_104" place="foot"> ") I.S «vents us I» LliapöNc? a. a. O.</note><lb/>
            <note xml:id="FID_105" place="foot"> ") V. v'", ostivivr ü'ötivt wHor: Mstoire als I-» «uerro als 1870. Paris t871.</note><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 187A. 23</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0185] ist mir bei jeder Gelegenheit eine widrige Erscheinung entgegengetreten; wo ich auch mit Soldaten Gespräche anknüpfte, überall mußte ich den Ausdruck des Entschlusses hören, diesen oder jenen General zu hängen oder zu erschießen. Das waren natürlich leere Worte; aber von Sinn für Autorität zeugten sie nicht." Wie sehr man sich übrigens selbst im Einzelnen bei der Stellen- besetzung vom Zufall leiten ließ, beweist der Umstand, daß man an die Spitze der Mitrailleusenbatterien nicht diejenigen Capitains stellte, welche 1869 bei den Uebungen in Meudon die Bedienung gelernt, sondern solche, die sie niemals gesehen hatten.*) Der Aufenthalt in den Lagern und die Kriegführung in Algerien hatten die Officiere, statt sie abzuhärten, an viele Bequemlichkeiten gewöhnt, die mit den Bedingungen großer europäischer Kriege völlig unvereinbar sind. Jeder von ihnen beanspruchte ein geräumiges Zelt, eine Feldequipage mit Vorrathssachen, ein mit dem Namen xoxote belegtes Material und eine Reserve von Lebensmitteln und alles dies soll ihm fast auf dem Fuße folgen.**) Diese Neigung zur Lagergemächlichkeit überbürdete aber auch jeden ein¬ zelnen Soldaten namentlich durch die Theile ihrer Wirtes ä'abri dergestalt, daß er nur mit Mühe den Bewegungen auf dem Schlachtfelde zu folgen ver¬ mochte, daher sah man in allen neueren Kriegen Frankreichs, daß stets, wenn von den Truppen eine entscheidende Action zu fordern war, ihnen eine größere Beweglichkeit dadurch zu geben versucht wurde, daß man sie ihr Gepäck ab¬ legen ließ. Im Laufe des Krieges von 1870 war Gelegenheit, die zahllosen Jnconvenienzen einer solchen Maßregel aus das Empfindlichste kennen zu lernen. Gingen doch z. B. nach der Schlacht am 18. Aug. die Tornister zweier ganzer Armee-Corps, der Corps Canrobert und L'Admirault, vollständig verloren, und beim VII. Corps warf ein einziges Infanterie-Regiment auf einem heißen Marsche noch viele Meilen vom Feinde (französischem Bericht zufolge) 800 Tornister und 700 Gewehre fort. Haufenweis lagen die Sol¬ daten in den Chausseegraben und riefen den sie aufmunternden Officieren Flegeleien zu. Die Neigung zur Lagerbequemlichkeit offenbart sich auch in der unge¬ meinen Wichtigkeit, mit der der französische Soldat die Bereitung seines Mittagsessens behandelt. Seine Friandise nöthigt ihn zu so vielen Aus¬ flügen in ^die umliegenden Gärten und Ortschaften, daß es nicht Wunder nehmen darf, die deutschen Geschosse so oft. bei Weißenburg, Wörth, Mars- la-Tour, Mouzon u. f. w. in die Kochtöpfe schlagen zu sehn und eine Be- ") I.S «vents us I» LliapöNc? a. a. O. ") V. v'", ostivivr ü'ötivt wHor: Mstoire als I-» «uerro als 1870. Paris t871. Grenzboten IV. 187A. 23

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/185
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/185>, abgerufen am 22.07.2024.