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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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und Aufbewahrungs-Weise der Kriegsmaterialien im Frieden in jeder Be¬
ziehung unpractisch und mangelhaft war. Trotz wiederholter Befehle des
Kaisers befanden sich die Lagerutenfllien nicht bei den Truppentheilen, sondern
meist zu Paris und Versailles. Die Fahrzeuge der Truppen waren fast
sämmtlich an zwei Orten, in Vernon und Satory, aufgestapelt und lagen
nicht einmal auf den Rädern, so daß ihre Zusammensetzung großen Aufent¬
halt verursachte. Die Gewehre waren ebenfalls bei den Regimentern nicht
zur Stelle, die Kriegschargirung nicht ausreichend.*) Der Kaiser selbst sagt:
"Kleidung, Ausrüstung, Lazarethgeräthschaften, Munition,
Werkzeuge werden in Frankreich, anstatt daß sie in den Magazinen des be¬
treffenden Corps sein sollten, aus den Central-Magazinen und gewöhnlich aus
Paris genommen, um in die Depots der verschiedenen Waffengattungen ge¬
schickt zu werden. -- Die Artillerie- und Trainpferde sind zwar von
den Bauern entnommen oder direct, wie in Preußen, gekauft; aber wenn sie
erst einmal in die Remontirungsdepots gebracht sind, kommt es bei dem
Mangel einer in Friedenszeiten gut vorbereiteten, richtigen Bertheilung der
Mannschaften und Pferde sehr oft vor, daß in manchen Depots Massen von
Pferden und keine Reiter sind, in andern viel Reiter und keine Pferde. --
Wenn man sich nun klar macht, wieviel Proviant jeder Art für eine Ar¬
mee von 400,000 Kämpfern mit mehr als 100,000 Pferden und beinahe
1S,000 Wagen erforderlich ist; dann wird man verstehen, was für eine Riesen¬
arbeit eine Verwaltung zu überwinden hat, wenn in Friedenszeiten nichts
geschehen ist. was diese Arbeit erleichtern könnte." -- "Die Kriegsadministra¬
tion in Frankreich gleicht einer vortrefflichen Maschine, deren Theile mit Kunst
gearbeitet, aber alle einzeln in den Werkstätten aufbewahrt werden. Wenn
man sie in Bewegung bringen soll, ist die Arbeit lang und schwierig, denn
man muß alle Räder zusammensuchen und miteinander verbinden, mit einem
Wort die Maschine vollständig wieder zusammensetzen, von der einfachsten
Schraube bis zu dem complizirtesten Theile. In Deutschland hingegen ist die
Maschine zusammengesetzt: damit sie in Gang kommt, braucht sie blos ein
Bischen Wasser, Kohlen und Feuer."**)

Soviel von der Mobilmachung. -- Fassen wir nun die Armee selbst
ins Auge. Hat sie den Krieg gewollt? Nicht mehr als ganz Frankreich.
Ohne Frage ist sie niemals unter Napoleon III. so kriegsunlustig gewesen, als
grade 1870. Keine Spur von der glühenden Kampfsucht, welche die Reihen
des Heeres vor dem Krimkriege beseelte; nicht einmal ein Abglanz des flackern-




') oomtii l?s I" VIisMIs 0. a. O.
") Napoleon's Hi. Memone von Wilhelmshöhe.

und Aufbewahrungs-Weise der Kriegsmaterialien im Frieden in jeder Be¬
ziehung unpractisch und mangelhaft war. Trotz wiederholter Befehle des
Kaisers befanden sich die Lagerutenfllien nicht bei den Truppentheilen, sondern
meist zu Paris und Versailles. Die Fahrzeuge der Truppen waren fast
sämmtlich an zwei Orten, in Vernon und Satory, aufgestapelt und lagen
nicht einmal auf den Rädern, so daß ihre Zusammensetzung großen Aufent¬
halt verursachte. Die Gewehre waren ebenfalls bei den Regimentern nicht
zur Stelle, die Kriegschargirung nicht ausreichend.*) Der Kaiser selbst sagt:
„Kleidung, Ausrüstung, Lazarethgeräthschaften, Munition,
Werkzeuge werden in Frankreich, anstatt daß sie in den Magazinen des be¬
treffenden Corps sein sollten, aus den Central-Magazinen und gewöhnlich aus
Paris genommen, um in die Depots der verschiedenen Waffengattungen ge¬
schickt zu werden. — Die Artillerie- und Trainpferde sind zwar von
den Bauern entnommen oder direct, wie in Preußen, gekauft; aber wenn sie
erst einmal in die Remontirungsdepots gebracht sind, kommt es bei dem
Mangel einer in Friedenszeiten gut vorbereiteten, richtigen Bertheilung der
Mannschaften und Pferde sehr oft vor, daß in manchen Depots Massen von
Pferden und keine Reiter sind, in andern viel Reiter und keine Pferde. —
Wenn man sich nun klar macht, wieviel Proviant jeder Art für eine Ar¬
mee von 400,000 Kämpfern mit mehr als 100,000 Pferden und beinahe
1S,000 Wagen erforderlich ist; dann wird man verstehen, was für eine Riesen¬
arbeit eine Verwaltung zu überwinden hat, wenn in Friedenszeiten nichts
geschehen ist. was diese Arbeit erleichtern könnte." — „Die Kriegsadministra¬
tion in Frankreich gleicht einer vortrefflichen Maschine, deren Theile mit Kunst
gearbeitet, aber alle einzeln in den Werkstätten aufbewahrt werden. Wenn
man sie in Bewegung bringen soll, ist die Arbeit lang und schwierig, denn
man muß alle Räder zusammensuchen und miteinander verbinden, mit einem
Wort die Maschine vollständig wieder zusammensetzen, von der einfachsten
Schraube bis zu dem complizirtesten Theile. In Deutschland hingegen ist die
Maschine zusammengesetzt: damit sie in Gang kommt, braucht sie blos ein
Bischen Wasser, Kohlen und Feuer."**)

Soviel von der Mobilmachung. — Fassen wir nun die Armee selbst
ins Auge. Hat sie den Krieg gewollt? Nicht mehr als ganz Frankreich.
Ohne Frage ist sie niemals unter Napoleon III. so kriegsunlustig gewesen, als
grade 1870. Keine Spur von der glühenden Kampfsucht, welche die Reihen
des Heeres vor dem Krimkriege beseelte; nicht einmal ein Abglanz des flackern-




') oomtii l?s I» VIisMIs 0. a. O.
") Napoleon's Hi. Memone von Wilhelmshöhe.
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[0179] und Aufbewahrungs-Weise der Kriegsmaterialien im Frieden in jeder Be¬ ziehung unpractisch und mangelhaft war. Trotz wiederholter Befehle des Kaisers befanden sich die Lagerutenfllien nicht bei den Truppentheilen, sondern meist zu Paris und Versailles. Die Fahrzeuge der Truppen waren fast sämmtlich an zwei Orten, in Vernon und Satory, aufgestapelt und lagen nicht einmal auf den Rädern, so daß ihre Zusammensetzung großen Aufent¬ halt verursachte. Die Gewehre waren ebenfalls bei den Regimentern nicht zur Stelle, die Kriegschargirung nicht ausreichend.*) Der Kaiser selbst sagt: „Kleidung, Ausrüstung, Lazarethgeräthschaften, Munition, Werkzeuge werden in Frankreich, anstatt daß sie in den Magazinen des be¬ treffenden Corps sein sollten, aus den Central-Magazinen und gewöhnlich aus Paris genommen, um in die Depots der verschiedenen Waffengattungen ge¬ schickt zu werden. — Die Artillerie- und Trainpferde sind zwar von den Bauern entnommen oder direct, wie in Preußen, gekauft; aber wenn sie erst einmal in die Remontirungsdepots gebracht sind, kommt es bei dem Mangel einer in Friedenszeiten gut vorbereiteten, richtigen Bertheilung der Mannschaften und Pferde sehr oft vor, daß in manchen Depots Massen von Pferden und keine Reiter sind, in andern viel Reiter und keine Pferde. — Wenn man sich nun klar macht, wieviel Proviant jeder Art für eine Ar¬ mee von 400,000 Kämpfern mit mehr als 100,000 Pferden und beinahe 1S,000 Wagen erforderlich ist; dann wird man verstehen, was für eine Riesen¬ arbeit eine Verwaltung zu überwinden hat, wenn in Friedenszeiten nichts geschehen ist. was diese Arbeit erleichtern könnte." — „Die Kriegsadministra¬ tion in Frankreich gleicht einer vortrefflichen Maschine, deren Theile mit Kunst gearbeitet, aber alle einzeln in den Werkstätten aufbewahrt werden. Wenn man sie in Bewegung bringen soll, ist die Arbeit lang und schwierig, denn man muß alle Räder zusammensuchen und miteinander verbinden, mit einem Wort die Maschine vollständig wieder zusammensetzen, von der einfachsten Schraube bis zu dem complizirtesten Theile. In Deutschland hingegen ist die Maschine zusammengesetzt: damit sie in Gang kommt, braucht sie blos ein Bischen Wasser, Kohlen und Feuer."**) Soviel von der Mobilmachung. — Fassen wir nun die Armee selbst ins Auge. Hat sie den Krieg gewollt? Nicht mehr als ganz Frankreich. Ohne Frage ist sie niemals unter Napoleon III. so kriegsunlustig gewesen, als grade 1870. Keine Spur von der glühenden Kampfsucht, welche die Reihen des Heeres vor dem Krimkriege beseelte; nicht einmal ein Abglanz des flackern- ') oomtii l?s I» VIisMIs 0. a. O. ") Napoleon's Hi. Memone von Wilhelmshöhe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/179>, abgerufen am 22.07.2024.