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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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die Verbindung der süddeutschen Armeen mit den norddeutschen zu verhindern, so war
die preußische Armee um 200,000 Mann schwächer, und so das Mißverhältniß in der
Zahl der streitbaren vermindert. Wenn Oesterreich und Italien gemeinschaftliche
Sache mit Frankreich machten, so stellte sich die Ueberlegenheit der Zahl zu dessen
Gunsten heraus."


" "Dieser Plan hatte nur dann eine Möglichkeit des Erfolges, wenn der Feind an
Geschwindigkeit überflügelt wurde. Zu diesem Zwecke mußte man in wenigen Tagen
auf bestimmten Puncten nicht allein die gegebene Anzahl Soldaten versammeln, sondern
auch das nothwendige Kriegsmaterial, wie Wagen, Train, Artillericparks, Pontons,
Kanonenschaluppen, um den Uebergang über den Rhein zu schützen, endlich die unab¬
lässige Verproviantirung mit Schiffszwieback, um eine zahlreiche Armee zu ernähren,
welche vereint marschirt. Der Kaiser schmeichelte sich, dieses Resultat erreichen zu
können, und das war sein Irrthum, da alle Welt (!) in der Illusion lebte, daß eine
Concentration von so viel Menschen, Pferden und Kriegsmaterial durch die Eisenbahnen
mit der nothwendigen Ordnung und Präcision geschehen könne, ohne daß Alles schon
lange im Voraus von einer vorsorgenden Verwaltung regulirt worden sei."

Dieser Irrthum im Verein mit den Fehlern der militärischen Organisa¬
tion Frankreichs vereitelte den Plan des Kaisers. "Als er am 28. Juli zu
Metz anlangte, begann er zu fürchten, daß unüberwindliche Hindernisse alle
seine Entwürfe im Keim ersticken würden." --

Napoleon III. hat sich über die Art der französischen Mobil¬
machung gegenüber der preußischen in seinen Studien von Wilhelmshöhe*)
so bezeichnend und genau unterrichtet ausgesprochen, daß man nicht begreifen
kann, warum er die so klar erkannten Uebelstände nicht beseitigt hat. Er
sagt: "Wenn die Mobilmachung angeordnet wird, gehen, wie dies nicht an¬
ders sein kann, die allgemeinen Anordnungen von Paris aus, aber mit
allen speciellen Anordnungen ist das ebenso der Fall. -- Der
Kriegsminister schickt den 89 Commandeuren der Ersatzdepots den Befehl, die
beurlaubten und Reserve-Mannschaften einzuberufen. Diese Commandeure in
jedem Departement, die die Listen aller Dienstpflichtigen haben, schicken nun
den 36,000 Maires die Namen der einzuberufenden Individuen und befehlen
ihnen, diese in ganz Frankreich zerstreuten Leute zu bestimmtem Termin in
die Depots zu sammeln." Von 100 Infanterie-Regimentern befanden sich
bei Ausbruch des Krieges nur 35 in derselben Garnison mit ihrem Depot.
So stand z. B. das 87. Regiment zu Lyon, während sein Depot in Se. Malo
lag; das 98. Regiment garnisonirte zu Dünkirchen hatte aber sein Depot zu
Lyon.") -- Da nun jedes Bataillon von seinen 8 Compagnien 2 zur For-




') Bemerkungen über die Armee-Organisation des norddeutschen Bundes. Wilhelmshöhe.
Jan. 1871.
") Der deutsch-französische Krieg 1870/71. Redigirt von der kriegsgeschichtlichen Ab.
Heilung des Großen Generalstabs.
Grenzboten IV. 1872. 22

die Verbindung der süddeutschen Armeen mit den norddeutschen zu verhindern, so war
die preußische Armee um 200,000 Mann schwächer, und so das Mißverhältniß in der
Zahl der streitbaren vermindert. Wenn Oesterreich und Italien gemeinschaftliche
Sache mit Frankreich machten, so stellte sich die Ueberlegenheit der Zahl zu dessen
Gunsten heraus."


» „Dieser Plan hatte nur dann eine Möglichkeit des Erfolges, wenn der Feind an
Geschwindigkeit überflügelt wurde. Zu diesem Zwecke mußte man in wenigen Tagen
auf bestimmten Puncten nicht allein die gegebene Anzahl Soldaten versammeln, sondern
auch das nothwendige Kriegsmaterial, wie Wagen, Train, Artillericparks, Pontons,
Kanonenschaluppen, um den Uebergang über den Rhein zu schützen, endlich die unab¬
lässige Verproviantirung mit Schiffszwieback, um eine zahlreiche Armee zu ernähren,
welche vereint marschirt. Der Kaiser schmeichelte sich, dieses Resultat erreichen zu
können, und das war sein Irrthum, da alle Welt (!) in der Illusion lebte, daß eine
Concentration von so viel Menschen, Pferden und Kriegsmaterial durch die Eisenbahnen
mit der nothwendigen Ordnung und Präcision geschehen könne, ohne daß Alles schon
lange im Voraus von einer vorsorgenden Verwaltung regulirt worden sei."

Dieser Irrthum im Verein mit den Fehlern der militärischen Organisa¬
tion Frankreichs vereitelte den Plan des Kaisers. „Als er am 28. Juli zu
Metz anlangte, begann er zu fürchten, daß unüberwindliche Hindernisse alle
seine Entwürfe im Keim ersticken würden." —

Napoleon III. hat sich über die Art der französischen Mobil¬
machung gegenüber der preußischen in seinen Studien von Wilhelmshöhe*)
so bezeichnend und genau unterrichtet ausgesprochen, daß man nicht begreifen
kann, warum er die so klar erkannten Uebelstände nicht beseitigt hat. Er
sagt: „Wenn die Mobilmachung angeordnet wird, gehen, wie dies nicht an¬
ders sein kann, die allgemeinen Anordnungen von Paris aus, aber mit
allen speciellen Anordnungen ist das ebenso der Fall. — Der
Kriegsminister schickt den 89 Commandeuren der Ersatzdepots den Befehl, die
beurlaubten und Reserve-Mannschaften einzuberufen. Diese Commandeure in
jedem Departement, die die Listen aller Dienstpflichtigen haben, schicken nun
den 36,000 Maires die Namen der einzuberufenden Individuen und befehlen
ihnen, diese in ganz Frankreich zerstreuten Leute zu bestimmtem Termin in
die Depots zu sammeln." Von 100 Infanterie-Regimentern befanden sich
bei Ausbruch des Krieges nur 35 in derselben Garnison mit ihrem Depot.
So stand z. B. das 87. Regiment zu Lyon, während sein Depot in Se. Malo
lag; das 98. Regiment garnisonirte zu Dünkirchen hatte aber sein Depot zu
Lyon.") — Da nun jedes Bataillon von seinen 8 Compagnien 2 zur For-




') Bemerkungen über die Armee-Organisation des norddeutschen Bundes. Wilhelmshöhe.
Jan. 1871.
") Der deutsch-französische Krieg 1870/71. Redigirt von der kriegsgeschichtlichen Ab.
Heilung des Großen Generalstabs.
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[0177] die Verbindung der süddeutschen Armeen mit den norddeutschen zu verhindern, so war die preußische Armee um 200,000 Mann schwächer, und so das Mißverhältniß in der Zahl der streitbaren vermindert. Wenn Oesterreich und Italien gemeinschaftliche Sache mit Frankreich machten, so stellte sich die Ueberlegenheit der Zahl zu dessen Gunsten heraus." » „Dieser Plan hatte nur dann eine Möglichkeit des Erfolges, wenn der Feind an Geschwindigkeit überflügelt wurde. Zu diesem Zwecke mußte man in wenigen Tagen auf bestimmten Puncten nicht allein die gegebene Anzahl Soldaten versammeln, sondern auch das nothwendige Kriegsmaterial, wie Wagen, Train, Artillericparks, Pontons, Kanonenschaluppen, um den Uebergang über den Rhein zu schützen, endlich die unab¬ lässige Verproviantirung mit Schiffszwieback, um eine zahlreiche Armee zu ernähren, welche vereint marschirt. Der Kaiser schmeichelte sich, dieses Resultat erreichen zu können, und das war sein Irrthum, da alle Welt (!) in der Illusion lebte, daß eine Concentration von so viel Menschen, Pferden und Kriegsmaterial durch die Eisenbahnen mit der nothwendigen Ordnung und Präcision geschehen könne, ohne daß Alles schon lange im Voraus von einer vorsorgenden Verwaltung regulirt worden sei." Dieser Irrthum im Verein mit den Fehlern der militärischen Organisa¬ tion Frankreichs vereitelte den Plan des Kaisers. „Als er am 28. Juli zu Metz anlangte, begann er zu fürchten, daß unüberwindliche Hindernisse alle seine Entwürfe im Keim ersticken würden." — Napoleon III. hat sich über die Art der französischen Mobil¬ machung gegenüber der preußischen in seinen Studien von Wilhelmshöhe*) so bezeichnend und genau unterrichtet ausgesprochen, daß man nicht begreifen kann, warum er die so klar erkannten Uebelstände nicht beseitigt hat. Er sagt: „Wenn die Mobilmachung angeordnet wird, gehen, wie dies nicht an¬ ders sein kann, die allgemeinen Anordnungen von Paris aus, aber mit allen speciellen Anordnungen ist das ebenso der Fall. — Der Kriegsminister schickt den 89 Commandeuren der Ersatzdepots den Befehl, die beurlaubten und Reserve-Mannschaften einzuberufen. Diese Commandeure in jedem Departement, die die Listen aller Dienstpflichtigen haben, schicken nun den 36,000 Maires die Namen der einzuberufenden Individuen und befehlen ihnen, diese in ganz Frankreich zerstreuten Leute zu bestimmtem Termin in die Depots zu sammeln." Von 100 Infanterie-Regimentern befanden sich bei Ausbruch des Krieges nur 35 in derselben Garnison mit ihrem Depot. So stand z. B. das 87. Regiment zu Lyon, während sein Depot in Se. Malo lag; das 98. Regiment garnisonirte zu Dünkirchen hatte aber sein Depot zu Lyon.") — Da nun jedes Bataillon von seinen 8 Compagnien 2 zur For- ') Bemerkungen über die Armee-Organisation des norddeutschen Bundes. Wilhelmshöhe. Jan. 1871. ") Der deutsch-französische Krieg 1870/71. Redigirt von der kriegsgeschichtlichen Ab. Heilung des Großen Generalstabs. Grenzboten IV. 1872. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/177>, abgerufen am 22.07.2024.