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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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an den Grundsätzen, die er sich gebildet, verbunden mit großherzigen Wohl¬
wollen selbst gegen die, welche von demselben am weitesten abweichen, und
infolge dessen mit dem steten Bestreben, denselben Gerechtigkeit widerfahren
zu lassen. Solche Eigenschaften reichen allerdings nicht aus, einen großen
Staatsmann zu machen, aber sie zeigen uns in ihrer Gesammtheit das Bild
eines ehrenwerthen Menschen, eines guten Nachbars und eines schätzens-
werthen Staatsbürgers.

Greeley ist aufgestellt worden als Borkämpfer für die Reform des Civil¬
dienstes in der Union. Sein unglücklicher Brief über diesen Gegenstand, ver¬
bunden mit seinem Schweigen Angesichts der schändlichen Practiker des Tam-
many-Reichs, hat den Eindruck hervorgerufen, daß es ihm mit dieser Sache
nicht Ernst sei. Aber diejenigen, welche sich seiner kurzen Wirksamkeit im
Congreß und seines entrüsteten und erfolgreichen Ankämpfens gegen die Mi߬
bräuche des "Meilengeldes" oder der Reisespesen-Erstattung und der Lieferung
von Büchern, welche die werthvollsten Einnahmen der Bundesgesetzgeber bil¬
deten, erinnern -- ein Ankämpfen, welches in seiner Schrift kurz und wahr¬
heitsgemäß erwähnt ist -- werden Greeley kaum im Verdacht haben, daß er
geneigt sein könnte, faule Ränke zu dulden und Begehrlichkeiten durch die
Finger zu sehen, die er, pflichtmäßig zurückzuweisen hätte.

Seine socialistischen Versuche serner flößen wenig Vertrauen in sein Ur¬
theil ein; aber sein offenes Geständniß, daß sie fehl geschlagen und aus wel¬
chen Ursachen, sowie seine entschiedene Zurückweisung des Communismus
zeigen, daß er nicht nur fähig, sondern auch Willens ist, von den Lectionen
practischer Erfahrung Nutzen zu ziehen. Sein Verhalten gegen den secessio-
nistischen Süden gefiel im Norden nur Wenigen und ist der einzige Punkt auf
seiner politischen Laufbahn, über den er in apologetischer Weise sich äußert,
wie wenn er das Bedürfniß fühlte, sich zu vertheidigen. Aber wir Unpartei¬
ischen müssen zugeben, daß derjenige, welcher zu verschiedenen Malen dem
Norden die Trennung vom Süden angerathen hatte, zugestehen müsse, daß
der Süden zur Secession berechtigt sei. Und wir sind der Ansicht, daß der
artige und maßvolle Ton, in dem er von den Besiegten spricht, seine Ver¬
theidigung der jetzt unpopulären Lehre, daß, wenn ein Aufstand die Dimen¬
sionen eines Bürgerkriegs angenommen hat, die daran betheiligt Gewesenen
nicht hinterher als Verbrecher behandelt werden können, und sein Eintreten
für baldige Entlassung des Secessionisten - Präsidenten Jefferson Davis ihm
mehr Ehre machen als die grimmigste Declamation gegen die Sclavenhalter
und Hochverräther, die er hätte abschießen können.

Wohl am meisten geeignet, Greeley's Ruf als Politiker zu schädigen,
sind gewisse volkswirtschaftliche Partien seines Buches. Namentlich die
Engländer werden seine Ansichten über die Zollgesetzgebung Amerikas für


an den Grundsätzen, die er sich gebildet, verbunden mit großherzigen Wohl¬
wollen selbst gegen die, welche von demselben am weitesten abweichen, und
infolge dessen mit dem steten Bestreben, denselben Gerechtigkeit widerfahren
zu lassen. Solche Eigenschaften reichen allerdings nicht aus, einen großen
Staatsmann zu machen, aber sie zeigen uns in ihrer Gesammtheit das Bild
eines ehrenwerthen Menschen, eines guten Nachbars und eines schätzens-
werthen Staatsbürgers.

Greeley ist aufgestellt worden als Borkämpfer für die Reform des Civil¬
dienstes in der Union. Sein unglücklicher Brief über diesen Gegenstand, ver¬
bunden mit seinem Schweigen Angesichts der schändlichen Practiker des Tam-
many-Reichs, hat den Eindruck hervorgerufen, daß es ihm mit dieser Sache
nicht Ernst sei. Aber diejenigen, welche sich seiner kurzen Wirksamkeit im
Congreß und seines entrüsteten und erfolgreichen Ankämpfens gegen die Mi߬
bräuche des „Meilengeldes" oder der Reisespesen-Erstattung und der Lieferung
von Büchern, welche die werthvollsten Einnahmen der Bundesgesetzgeber bil¬
deten, erinnern — ein Ankämpfen, welches in seiner Schrift kurz und wahr¬
heitsgemäß erwähnt ist — werden Greeley kaum im Verdacht haben, daß er
geneigt sein könnte, faule Ränke zu dulden und Begehrlichkeiten durch die
Finger zu sehen, die er, pflichtmäßig zurückzuweisen hätte.

Seine socialistischen Versuche serner flößen wenig Vertrauen in sein Ur¬
theil ein; aber sein offenes Geständniß, daß sie fehl geschlagen und aus wel¬
chen Ursachen, sowie seine entschiedene Zurückweisung des Communismus
zeigen, daß er nicht nur fähig, sondern auch Willens ist, von den Lectionen
practischer Erfahrung Nutzen zu ziehen. Sein Verhalten gegen den secessio-
nistischen Süden gefiel im Norden nur Wenigen und ist der einzige Punkt auf
seiner politischen Laufbahn, über den er in apologetischer Weise sich äußert,
wie wenn er das Bedürfniß fühlte, sich zu vertheidigen. Aber wir Unpartei¬
ischen müssen zugeben, daß derjenige, welcher zu verschiedenen Malen dem
Norden die Trennung vom Süden angerathen hatte, zugestehen müsse, daß
der Süden zur Secession berechtigt sei. Und wir sind der Ansicht, daß der
artige und maßvolle Ton, in dem er von den Besiegten spricht, seine Ver¬
theidigung der jetzt unpopulären Lehre, daß, wenn ein Aufstand die Dimen¬
sionen eines Bürgerkriegs angenommen hat, die daran betheiligt Gewesenen
nicht hinterher als Verbrecher behandelt werden können, und sein Eintreten
für baldige Entlassung des Secessionisten - Präsidenten Jefferson Davis ihm
mehr Ehre machen als die grimmigste Declamation gegen die Sclavenhalter
und Hochverräther, die er hätte abschießen können.

Wohl am meisten geeignet, Greeley's Ruf als Politiker zu schädigen,
sind gewisse volkswirtschaftliche Partien seines Buches. Namentlich die
Engländer werden seine Ansichten über die Zollgesetzgebung Amerikas für


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[0174] an den Grundsätzen, die er sich gebildet, verbunden mit großherzigen Wohl¬ wollen selbst gegen die, welche von demselben am weitesten abweichen, und infolge dessen mit dem steten Bestreben, denselben Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Solche Eigenschaften reichen allerdings nicht aus, einen großen Staatsmann zu machen, aber sie zeigen uns in ihrer Gesammtheit das Bild eines ehrenwerthen Menschen, eines guten Nachbars und eines schätzens- werthen Staatsbürgers. Greeley ist aufgestellt worden als Borkämpfer für die Reform des Civil¬ dienstes in der Union. Sein unglücklicher Brief über diesen Gegenstand, ver¬ bunden mit seinem Schweigen Angesichts der schändlichen Practiker des Tam- many-Reichs, hat den Eindruck hervorgerufen, daß es ihm mit dieser Sache nicht Ernst sei. Aber diejenigen, welche sich seiner kurzen Wirksamkeit im Congreß und seines entrüsteten und erfolgreichen Ankämpfens gegen die Mi߬ bräuche des „Meilengeldes" oder der Reisespesen-Erstattung und der Lieferung von Büchern, welche die werthvollsten Einnahmen der Bundesgesetzgeber bil¬ deten, erinnern — ein Ankämpfen, welches in seiner Schrift kurz und wahr¬ heitsgemäß erwähnt ist — werden Greeley kaum im Verdacht haben, daß er geneigt sein könnte, faule Ränke zu dulden und Begehrlichkeiten durch die Finger zu sehen, die er, pflichtmäßig zurückzuweisen hätte. Seine socialistischen Versuche serner flößen wenig Vertrauen in sein Ur¬ theil ein; aber sein offenes Geständniß, daß sie fehl geschlagen und aus wel¬ chen Ursachen, sowie seine entschiedene Zurückweisung des Communismus zeigen, daß er nicht nur fähig, sondern auch Willens ist, von den Lectionen practischer Erfahrung Nutzen zu ziehen. Sein Verhalten gegen den secessio- nistischen Süden gefiel im Norden nur Wenigen und ist der einzige Punkt auf seiner politischen Laufbahn, über den er in apologetischer Weise sich äußert, wie wenn er das Bedürfniß fühlte, sich zu vertheidigen. Aber wir Unpartei¬ ischen müssen zugeben, daß derjenige, welcher zu verschiedenen Malen dem Norden die Trennung vom Süden angerathen hatte, zugestehen müsse, daß der Süden zur Secession berechtigt sei. Und wir sind der Ansicht, daß der artige und maßvolle Ton, in dem er von den Besiegten spricht, seine Ver¬ theidigung der jetzt unpopulären Lehre, daß, wenn ein Aufstand die Dimen¬ sionen eines Bürgerkriegs angenommen hat, die daran betheiligt Gewesenen nicht hinterher als Verbrecher behandelt werden können, und sein Eintreten für baldige Entlassung des Secessionisten - Präsidenten Jefferson Davis ihm mehr Ehre machen als die grimmigste Declamation gegen die Sclavenhalter und Hochverräther, die er hätte abschießen können. Wohl am meisten geeignet, Greeley's Ruf als Politiker zu schädigen, sind gewisse volkswirtschaftliche Partien seines Buches. Namentlich die Engländer werden seine Ansichten über die Zollgesetzgebung Amerikas für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/174>, abgerufen am 22.07.2024.