Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

scheinen. Im Allgemeinen ordnet er seinen Stoff nach der Zeitfolge, aber er
steht nicht einen Augenblick an, dieselbe zu unterbrechen, wenn es ihm für
die Einheit des Gegenstandes passend scheint.

So haben wir hier seinen eigenen Bericht von dem Hauptgang und
Haupttor seines Lebens, von jeder einzelnen der politischen und gesellschaft¬
lichen Bewegungen, an denen er betheiligt gewesen ist, von einigen der be¬
deutsamsten Auftritte, bei denen er auf der Staatsbühne mitwirkte, und das
alles ist mit einer Fülle von Einzelheiten ausgestattet, welche in einer eigent¬
lichen Autobiographie unmöglich gewesen wäre, welche uns aber die wahre
Geschichte seines Geistes, seinen Character und seine eigenthümlichen Mei¬
nungen weit eindringlicher und klarer vor Augen stellt, als solch eine Selbst¬
biographie im Stande wäre.

Man sagt, daß die Dirigenten der Parteien in den Vereinigten Staaten
gewohnt seien, ihre Präsidentschafts-Candidaten mit einer Wache zu um¬
geben, um sie vor der Berührung mit unwillkommenen und zudringlichen
Beobachtern und AusHorchern zu bewahren und sie selbst an unvorsichtigem
Gebrauch von Feder und Papier zu hindern. Dieser Brauch, der den Zweck
hat, den von der Partei Nominirten vor Schädigung seiner und ihrer Aus¬
sichten abzuhalten, besteht wirklich. Er hängt mit dem Grundsatz zusam¬
men, nach dem man meist solche Candidaten heraussucht, deren Vergangenheit
nicht hinreichend markirt und nicht genügend im Gedächtniß der Leute ist,
um gegen irgend eine Fraktion oder irgend ein Interesse des Volkes zu ver¬
stoßen.

Diese Regel ist in Greeley's Fall ganz augenfällig unbeachtet geblieben.
Wenige Leute werden sich in Amerika finden lassen, die so viele unvorsichtige
Dinge gesagt und gethan, so oft und so stark der öffentlichen Meinung An¬
stoß gegeben haben, als der Herausgeber der "Tribune". Und einem Horace
Greeley Schweigen aufzuerlegen, würde selbst über die Macht der amerikani¬
schen Parteidisciplin hinausgehen. Wenn er trotz des vor uns liegenden
Buches und dessen, was es in die Erinnerung zurückruft, als ein brauchbarer
Candidat mit guten Aussichten gilt, so muß jene Disciplin entweder viel
stärker wirken, als die, welche sie in den Händen haben, jemals zu glauben
pflegten, oder eine bedeutende Persönlichkeit und gewisse volkstümliche Eigen¬
thümlichkeiten müssen hinreichen, alle die üblichen und landläufigen Einwürfe
gegen einen allzu notorischen öffentlichen Character aufzuwiegen. Denn nie
kümmerte sich jemand weniger darum, ob er Feinde verletzte oder Freunde
compromittirte und erschreckte, als der Gegenstand dieser Betrachtung.

Dieser Zug absoluter Unbekümmertheit um die Folgen seines Thuns in
Betreff der öffentlichen Meinung geht auch durch sein Buch. Er gesteht
offen, daß er ein Socialist, wenn auch kein Communist ist. Wir erfahren,


scheinen. Im Allgemeinen ordnet er seinen Stoff nach der Zeitfolge, aber er
steht nicht einen Augenblick an, dieselbe zu unterbrechen, wenn es ihm für
die Einheit des Gegenstandes passend scheint.

So haben wir hier seinen eigenen Bericht von dem Hauptgang und
Haupttor seines Lebens, von jeder einzelnen der politischen und gesellschaft¬
lichen Bewegungen, an denen er betheiligt gewesen ist, von einigen der be¬
deutsamsten Auftritte, bei denen er auf der Staatsbühne mitwirkte, und das
alles ist mit einer Fülle von Einzelheiten ausgestattet, welche in einer eigent¬
lichen Autobiographie unmöglich gewesen wäre, welche uns aber die wahre
Geschichte seines Geistes, seinen Character und seine eigenthümlichen Mei¬
nungen weit eindringlicher und klarer vor Augen stellt, als solch eine Selbst¬
biographie im Stande wäre.

Man sagt, daß die Dirigenten der Parteien in den Vereinigten Staaten
gewohnt seien, ihre Präsidentschafts-Candidaten mit einer Wache zu um¬
geben, um sie vor der Berührung mit unwillkommenen und zudringlichen
Beobachtern und AusHorchern zu bewahren und sie selbst an unvorsichtigem
Gebrauch von Feder und Papier zu hindern. Dieser Brauch, der den Zweck
hat, den von der Partei Nominirten vor Schädigung seiner und ihrer Aus¬
sichten abzuhalten, besteht wirklich. Er hängt mit dem Grundsatz zusam¬
men, nach dem man meist solche Candidaten heraussucht, deren Vergangenheit
nicht hinreichend markirt und nicht genügend im Gedächtniß der Leute ist,
um gegen irgend eine Fraktion oder irgend ein Interesse des Volkes zu ver¬
stoßen.

Diese Regel ist in Greeley's Fall ganz augenfällig unbeachtet geblieben.
Wenige Leute werden sich in Amerika finden lassen, die so viele unvorsichtige
Dinge gesagt und gethan, so oft und so stark der öffentlichen Meinung An¬
stoß gegeben haben, als der Herausgeber der „Tribune". Und einem Horace
Greeley Schweigen aufzuerlegen, würde selbst über die Macht der amerikani¬
schen Parteidisciplin hinausgehen. Wenn er trotz des vor uns liegenden
Buches und dessen, was es in die Erinnerung zurückruft, als ein brauchbarer
Candidat mit guten Aussichten gilt, so muß jene Disciplin entweder viel
stärker wirken, als die, welche sie in den Händen haben, jemals zu glauben
pflegten, oder eine bedeutende Persönlichkeit und gewisse volkstümliche Eigen¬
thümlichkeiten müssen hinreichen, alle die üblichen und landläufigen Einwürfe
gegen einen allzu notorischen öffentlichen Character aufzuwiegen. Denn nie
kümmerte sich jemand weniger darum, ob er Feinde verletzte oder Freunde
compromittirte und erschreckte, als der Gegenstand dieser Betrachtung.

Dieser Zug absoluter Unbekümmertheit um die Folgen seines Thuns in
Betreff der öffentlichen Meinung geht auch durch sein Buch. Er gesteht
offen, daß er ein Socialist, wenn auch kein Communist ist. Wir erfahren,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128625"/>
          <p xml:id="ID_487" prev="#ID_486"> scheinen. Im Allgemeinen ordnet er seinen Stoff nach der Zeitfolge, aber er<lb/>
steht nicht einen Augenblick an, dieselbe zu unterbrechen, wenn es ihm für<lb/>
die Einheit des Gegenstandes passend scheint.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_488"> So haben wir hier seinen eigenen Bericht von dem Hauptgang und<lb/>
Haupttor seines Lebens, von jeder einzelnen der politischen und gesellschaft¬<lb/>
lichen Bewegungen, an denen er betheiligt gewesen ist, von einigen der be¬<lb/>
deutsamsten Auftritte, bei denen er auf der Staatsbühne mitwirkte, und das<lb/>
alles ist mit einer Fülle von Einzelheiten ausgestattet, welche in einer eigent¬<lb/>
lichen Autobiographie unmöglich gewesen wäre, welche uns aber die wahre<lb/>
Geschichte seines Geistes, seinen Character und seine eigenthümlichen Mei¬<lb/>
nungen weit eindringlicher und klarer vor Augen stellt, als solch eine Selbst¬<lb/>
biographie im Stande wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_489"> Man sagt, daß die Dirigenten der Parteien in den Vereinigten Staaten<lb/>
gewohnt seien, ihre Präsidentschafts-Candidaten mit einer Wache zu um¬<lb/>
geben, um sie vor der Berührung mit unwillkommenen und zudringlichen<lb/>
Beobachtern und AusHorchern zu bewahren und sie selbst an unvorsichtigem<lb/>
Gebrauch von Feder und Papier zu hindern. Dieser Brauch, der den Zweck<lb/>
hat, den von der Partei Nominirten vor Schädigung seiner und ihrer Aus¬<lb/>
sichten abzuhalten, besteht wirklich. Er hängt mit dem Grundsatz zusam¬<lb/>
men, nach dem man meist solche Candidaten heraussucht, deren Vergangenheit<lb/>
nicht hinreichend markirt und nicht genügend im Gedächtniß der Leute ist,<lb/>
um gegen irgend eine Fraktion oder irgend ein Interesse des Volkes zu ver¬<lb/>
stoßen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_490"> Diese Regel ist in Greeley's Fall ganz augenfällig unbeachtet geblieben.<lb/>
Wenige Leute werden sich in Amerika finden lassen, die so viele unvorsichtige<lb/>
Dinge gesagt und gethan, so oft und so stark der öffentlichen Meinung An¬<lb/>
stoß gegeben haben, als der Herausgeber der &#x201E;Tribune". Und einem Horace<lb/>
Greeley Schweigen aufzuerlegen, würde selbst über die Macht der amerikani¬<lb/>
schen Parteidisciplin hinausgehen. Wenn er trotz des vor uns liegenden<lb/>
Buches und dessen, was es in die Erinnerung zurückruft, als ein brauchbarer<lb/>
Candidat mit guten Aussichten gilt, so muß jene Disciplin entweder viel<lb/>
stärker wirken, als die, welche sie in den Händen haben, jemals zu glauben<lb/>
pflegten, oder eine bedeutende Persönlichkeit und gewisse volkstümliche Eigen¬<lb/>
thümlichkeiten müssen hinreichen, alle die üblichen und landläufigen Einwürfe<lb/>
gegen einen allzu notorischen öffentlichen Character aufzuwiegen. Denn nie<lb/>
kümmerte sich jemand weniger darum, ob er Feinde verletzte oder Freunde<lb/>
compromittirte und erschreckte, als der Gegenstand dieser Betrachtung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_491" next="#ID_492"> Dieser Zug absoluter Unbekümmertheit um die Folgen seines Thuns in<lb/>
Betreff der öffentlichen Meinung geht auch durch sein Buch. Er gesteht<lb/>
offen, daß er ein Socialist, wenn auch kein Communist ist.  Wir erfahren,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0171] scheinen. Im Allgemeinen ordnet er seinen Stoff nach der Zeitfolge, aber er steht nicht einen Augenblick an, dieselbe zu unterbrechen, wenn es ihm für die Einheit des Gegenstandes passend scheint. So haben wir hier seinen eigenen Bericht von dem Hauptgang und Haupttor seines Lebens, von jeder einzelnen der politischen und gesellschaft¬ lichen Bewegungen, an denen er betheiligt gewesen ist, von einigen der be¬ deutsamsten Auftritte, bei denen er auf der Staatsbühne mitwirkte, und das alles ist mit einer Fülle von Einzelheiten ausgestattet, welche in einer eigent¬ lichen Autobiographie unmöglich gewesen wäre, welche uns aber die wahre Geschichte seines Geistes, seinen Character und seine eigenthümlichen Mei¬ nungen weit eindringlicher und klarer vor Augen stellt, als solch eine Selbst¬ biographie im Stande wäre. Man sagt, daß die Dirigenten der Parteien in den Vereinigten Staaten gewohnt seien, ihre Präsidentschafts-Candidaten mit einer Wache zu um¬ geben, um sie vor der Berührung mit unwillkommenen und zudringlichen Beobachtern und AusHorchern zu bewahren und sie selbst an unvorsichtigem Gebrauch von Feder und Papier zu hindern. Dieser Brauch, der den Zweck hat, den von der Partei Nominirten vor Schädigung seiner und ihrer Aus¬ sichten abzuhalten, besteht wirklich. Er hängt mit dem Grundsatz zusam¬ men, nach dem man meist solche Candidaten heraussucht, deren Vergangenheit nicht hinreichend markirt und nicht genügend im Gedächtniß der Leute ist, um gegen irgend eine Fraktion oder irgend ein Interesse des Volkes zu ver¬ stoßen. Diese Regel ist in Greeley's Fall ganz augenfällig unbeachtet geblieben. Wenige Leute werden sich in Amerika finden lassen, die so viele unvorsichtige Dinge gesagt und gethan, so oft und so stark der öffentlichen Meinung An¬ stoß gegeben haben, als der Herausgeber der „Tribune". Und einem Horace Greeley Schweigen aufzuerlegen, würde selbst über die Macht der amerikani¬ schen Parteidisciplin hinausgehen. Wenn er trotz des vor uns liegenden Buches und dessen, was es in die Erinnerung zurückruft, als ein brauchbarer Candidat mit guten Aussichten gilt, so muß jene Disciplin entweder viel stärker wirken, als die, welche sie in den Händen haben, jemals zu glauben pflegten, oder eine bedeutende Persönlichkeit und gewisse volkstümliche Eigen¬ thümlichkeiten müssen hinreichen, alle die üblichen und landläufigen Einwürfe gegen einen allzu notorischen öffentlichen Character aufzuwiegen. Denn nie kümmerte sich jemand weniger darum, ob er Feinde verletzte oder Freunde compromittirte und erschreckte, als der Gegenstand dieser Betrachtung. Dieser Zug absoluter Unbekümmertheit um die Folgen seines Thuns in Betreff der öffentlichen Meinung geht auch durch sein Buch. Er gesteht offen, daß er ein Socialist, wenn auch kein Communist ist. Wir erfahren,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/171
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/171>, abgerufen am 22.07.2024.