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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Schritte noch, welcher dem Vaterlande die Errungenschaften der großen Be¬
wegung sichern sollte, bei der Kaiserwahl, die Duldung von demokratischen
Compromißparagraphen in der Reichsverfassung, welche einem ehrliebenden
Fürsten die Annahme der revolutionären Krone von Haus aus unmöglich
machen mußten. Doch, wie wäre es möglich, in dem Raum dieser Blätter und
bei diesem Anlaß die Schuld an dem Niedergang der Hoffnungen des großen
Jahres gerecht abzuwägen. Gewiß, daß die Männer, denen Eduard Simson
sich zugesellte, überall das Beste und Größte erstrebten, was die bewegten
Tage erreichbar vor Augen stellten.

Als Redner und Parteimann hat Simson keine hervorragende Rolle im
Parlament gespielt. Um so wirkungsvoller dagegen war seine Stellung im
Bureau des Hauses, das ihn schon bei seiner ersten Constituirung zum Secre-
tair und im September an Soiron's Stelle zum Vicepräsidenten wählte. Und
noch bedeutsamer, obwohl den officiellen, stenographischen Verhandlungen ferne,
war der Einfluß seines Hauses auf seine Freunde. Denn Simson war einer
der wenigen Abgeordneten, welchen die eigenen Verhältnisse gestatteten, mit
Familie hier zu leben. Seine Salons gewährten den Parteigenossen die
beste Anregung und Erholung. In früher Jugend hatte er seine treffliche
Gattin heimgeführt, die nun in der improvisirten Reichshauptstadt den fami¬
lienlosen Vertretern deutscher Nation die Sorgen der großen Politik am häus¬
lichen Heerd zu verscheuchen suchte. Kaum eine der zahlreichen Parlaments¬
monographien jener Tage, die nicht mit Dank und Freude von den unter
Simson's Dach verlebten Stunden zu erzählen wüßte.

Aber auch in diese friedlichen Stunden drängten sich mehr und mehr der
Ernst und die Sorgen der politischen Arbeit. Denn schon im November, mit
Einsetzung des Ministeriums Manteuffel in Berlin, war die Stellung der
preußischen Partei der Nationalversammlung zu Preußen eine sehr schwierige
geworden. Der offene Conflict mit der eigenen Volksvertretung war in Berlin
ausgebrochen, und ferner wie je lagen dem rein feudalen Ministerium Sym¬
pathien mit der Verfassungsarbeit des Frankfurter Parlamentes. Und gerade
in letzter Hinsicht bedürfte die Partei dringender als jemals einer freundlichen
Zusage von Berlin, weil das Verhältniß der Nationalversammlung zu
Oesterreich täglich ein düstereres wurde, seitdem bereits Ende October der Aus¬
schluß des Donaustaates aus dem künftigen Reiche grundsätzlich entschieden
war. Unter diesen Verhältnissen sandte das Parlament Simson, Beckerath
und Hergenhahn nach Berlin, um der preußischen Regierung Beistand und
Vermittlung im Conflict mit der Volksvertretung anzubieten, und ein Ein-
verständniß über die deutsche Reichsverfassung anzubahnen. Die Sendung
war eine erfolglose. Hart und schroff wies man die im innern Conflict an¬
gebotene Hülse und Vermittelung zurück und beobachtete in Betreff der deut-


Grenzboten IV. 1872, ."

Schritte noch, welcher dem Vaterlande die Errungenschaften der großen Be¬
wegung sichern sollte, bei der Kaiserwahl, die Duldung von demokratischen
Compromißparagraphen in der Reichsverfassung, welche einem ehrliebenden
Fürsten die Annahme der revolutionären Krone von Haus aus unmöglich
machen mußten. Doch, wie wäre es möglich, in dem Raum dieser Blätter und
bei diesem Anlaß die Schuld an dem Niedergang der Hoffnungen des großen
Jahres gerecht abzuwägen. Gewiß, daß die Männer, denen Eduard Simson
sich zugesellte, überall das Beste und Größte erstrebten, was die bewegten
Tage erreichbar vor Augen stellten.

Als Redner und Parteimann hat Simson keine hervorragende Rolle im
Parlament gespielt. Um so wirkungsvoller dagegen war seine Stellung im
Bureau des Hauses, das ihn schon bei seiner ersten Constituirung zum Secre-
tair und im September an Soiron's Stelle zum Vicepräsidenten wählte. Und
noch bedeutsamer, obwohl den officiellen, stenographischen Verhandlungen ferne,
war der Einfluß seines Hauses auf seine Freunde. Denn Simson war einer
der wenigen Abgeordneten, welchen die eigenen Verhältnisse gestatteten, mit
Familie hier zu leben. Seine Salons gewährten den Parteigenossen die
beste Anregung und Erholung. In früher Jugend hatte er seine treffliche
Gattin heimgeführt, die nun in der improvisirten Reichshauptstadt den fami¬
lienlosen Vertretern deutscher Nation die Sorgen der großen Politik am häus¬
lichen Heerd zu verscheuchen suchte. Kaum eine der zahlreichen Parlaments¬
monographien jener Tage, die nicht mit Dank und Freude von den unter
Simson's Dach verlebten Stunden zu erzählen wüßte.

Aber auch in diese friedlichen Stunden drängten sich mehr und mehr der
Ernst und die Sorgen der politischen Arbeit. Denn schon im November, mit
Einsetzung des Ministeriums Manteuffel in Berlin, war die Stellung der
preußischen Partei der Nationalversammlung zu Preußen eine sehr schwierige
geworden. Der offene Conflict mit der eigenen Volksvertretung war in Berlin
ausgebrochen, und ferner wie je lagen dem rein feudalen Ministerium Sym¬
pathien mit der Verfassungsarbeit des Frankfurter Parlamentes. Und gerade
in letzter Hinsicht bedürfte die Partei dringender als jemals einer freundlichen
Zusage von Berlin, weil das Verhältniß der Nationalversammlung zu
Oesterreich täglich ein düstereres wurde, seitdem bereits Ende October der Aus¬
schluß des Donaustaates aus dem künftigen Reiche grundsätzlich entschieden
war. Unter diesen Verhältnissen sandte das Parlament Simson, Beckerath
und Hergenhahn nach Berlin, um der preußischen Regierung Beistand und
Vermittlung im Conflict mit der Volksvertretung anzubieten, und ein Ein-
verständniß über die deutsche Reichsverfassung anzubahnen. Die Sendung
war eine erfolglose. Hart und schroff wies man die im innern Conflict an¬
gebotene Hülse und Vermittelung zurück und beobachtete in Betreff der deut-


Grenzboten IV. 1872, .»
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[0017] Schritte noch, welcher dem Vaterlande die Errungenschaften der großen Be¬ wegung sichern sollte, bei der Kaiserwahl, die Duldung von demokratischen Compromißparagraphen in der Reichsverfassung, welche einem ehrliebenden Fürsten die Annahme der revolutionären Krone von Haus aus unmöglich machen mußten. Doch, wie wäre es möglich, in dem Raum dieser Blätter und bei diesem Anlaß die Schuld an dem Niedergang der Hoffnungen des großen Jahres gerecht abzuwägen. Gewiß, daß die Männer, denen Eduard Simson sich zugesellte, überall das Beste und Größte erstrebten, was die bewegten Tage erreichbar vor Augen stellten. Als Redner und Parteimann hat Simson keine hervorragende Rolle im Parlament gespielt. Um so wirkungsvoller dagegen war seine Stellung im Bureau des Hauses, das ihn schon bei seiner ersten Constituirung zum Secre- tair und im September an Soiron's Stelle zum Vicepräsidenten wählte. Und noch bedeutsamer, obwohl den officiellen, stenographischen Verhandlungen ferne, war der Einfluß seines Hauses auf seine Freunde. Denn Simson war einer der wenigen Abgeordneten, welchen die eigenen Verhältnisse gestatteten, mit Familie hier zu leben. Seine Salons gewährten den Parteigenossen die beste Anregung und Erholung. In früher Jugend hatte er seine treffliche Gattin heimgeführt, die nun in der improvisirten Reichshauptstadt den fami¬ lienlosen Vertretern deutscher Nation die Sorgen der großen Politik am häus¬ lichen Heerd zu verscheuchen suchte. Kaum eine der zahlreichen Parlaments¬ monographien jener Tage, die nicht mit Dank und Freude von den unter Simson's Dach verlebten Stunden zu erzählen wüßte. Aber auch in diese friedlichen Stunden drängten sich mehr und mehr der Ernst und die Sorgen der politischen Arbeit. Denn schon im November, mit Einsetzung des Ministeriums Manteuffel in Berlin, war die Stellung der preußischen Partei der Nationalversammlung zu Preußen eine sehr schwierige geworden. Der offene Conflict mit der eigenen Volksvertretung war in Berlin ausgebrochen, und ferner wie je lagen dem rein feudalen Ministerium Sym¬ pathien mit der Verfassungsarbeit des Frankfurter Parlamentes. Und gerade in letzter Hinsicht bedürfte die Partei dringender als jemals einer freundlichen Zusage von Berlin, weil das Verhältniß der Nationalversammlung zu Oesterreich täglich ein düstereres wurde, seitdem bereits Ende October der Aus¬ schluß des Donaustaates aus dem künftigen Reiche grundsätzlich entschieden war. Unter diesen Verhältnissen sandte das Parlament Simson, Beckerath und Hergenhahn nach Berlin, um der preußischen Regierung Beistand und Vermittlung im Conflict mit der Volksvertretung anzubieten, und ein Ein- verständniß über die deutsche Reichsverfassung anzubahnen. Die Sendung war eine erfolglose. Hart und schroff wies man die im innern Conflict an¬ gebotene Hülse und Vermittelung zurück und beobachtete in Betreff der deut- Grenzboten IV. 1872, .»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/17>, abgerufen am 25.07.2024.