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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Die Pilger begeben sich nach Tarbes mit der Eisenbahn. Von dieser
Stadt müssen sie den Weg bis nach Lourdes, wo man vor der Wunderhöhle
jetzt eine kleine Kapelle errichtet hat, in Kutschen und aus Bauernwagen
zurücklegen, da es gegenwärtig dort keine Postbeförderung gibt. Eine solche
existirt nur im Sommer. Lourdes ist indeß von Tarbes nur 18 Kilometer
entfernt und der Weg dahin führt durch das anmuthige und wohlbebaute
Thal von Bigorre. Keine von den Oertlichkeiten, die der Wanderer passirt,
hat irgendwelche historische Bedeutung, als das zur Linken der Straße ge¬
legene Dorf Benac, wo sich im Mittelalter eine starke Burg befand, deren
Besitzer in den Kreuzzügen von sich reden machten und von der noch Reste
eines Streitthurmes zu sehen sind. Die Bevölkerung von Lourdes beträgt
ungefähr 4200 Seelen. Es ist ein stilles alterthümliches Oerrchen, wo die
Glocke den Leuten schon um 9 Uhr Abends zu Bett läutet. Es erfreut sich
eines Wochenblattes und im Schlosse gibt es einen Gouverneur, der die
größte Mühe hat, die Zeit todtzuschlagen. "II s'olmuie beg-uconri." Das
ist der Ort, von dem uns soeben der Telegraph berichtet:

"Merzig Tausend Pilger haben sich hier versammelt und wohnten- so¬
eben der Messe bei, welche der Bischof von Carcassone unter freiem Himmel
celebrirte. Nach der Ceremonie hielt der Monsignor von Tarbes einen po¬
litisch-religiösen Sermon. Die Wallfahrer nahmen diese Predigt mit dein
Rufe: "Es lebe Frankreich! Vivat der Papst!" auf. Um zwei Uhr gab es
eine große Procession, welche circa zweihundert Banner trug, die alle Länder
repräsentirten und die man schließlich in der Kirche niederlegte. Unter ihnen
befand sich auch die Fahne von Elsaß Lothringen. Alle Fahnen waren mit
Krepp verhüllt, um die Trauer anzudeuten, welche Frankreich über sein und
des heiligen Vaters Unglück empfindet. Während die Procession auf die
Kirche zuschritt, rief das Volk ohne Aufhören: "Vive in, I'i-loco! Vive le
?aps!''. Neunzehn Abgeordnete der Nationalversammlung betheiligten sich
an dem Aufzuge. Es waren die Herren Belcastel, Lagrange, Dumont,
Franclieu, Rodez, Chesnelong, Dufour (aus dem Departement Basse Pyre'-
nach), Boysse, Resseguier, Bonald, Debarreau, Desseigne, Feligonde und de
la Bruyere. Von Bischöfen waren zugegen die von Auch, von Carcassonne,
von Meute, von Lucon, von Tarbes und der von Indien. Nach Einweihung
der Fahnen hielt der Erzbischof von Auch eine Rede, in welcher er seinen
Zuhörern empfahl, sich ruhig zu verhalten und zu keiner Art von Kund¬
gebung hinreißen zu lassen. (Er wird gewußt haben, daß ihnen ein demon¬
stratives "Vivo Höiu'i VI.!",auf der Zunge saß.) Die Revolution habe ihre
Agenten hergesandt, um Unruhe und Verwirrung anzustiften. Auch von
anderer Seite hörte man Letzteres behaupten. Aber bis jetzt ist noch nichts
von solchen Agenten zu sehen gewesen."




Verantwortlicher Redacteur: 0r. Ha"S Blum.
Verlag von A. L. Herdig. -- Druck von Hüthel " Legler in Leipzig.

Die Pilger begeben sich nach Tarbes mit der Eisenbahn. Von dieser
Stadt müssen sie den Weg bis nach Lourdes, wo man vor der Wunderhöhle
jetzt eine kleine Kapelle errichtet hat, in Kutschen und aus Bauernwagen
zurücklegen, da es gegenwärtig dort keine Postbeförderung gibt. Eine solche
existirt nur im Sommer. Lourdes ist indeß von Tarbes nur 18 Kilometer
entfernt und der Weg dahin führt durch das anmuthige und wohlbebaute
Thal von Bigorre. Keine von den Oertlichkeiten, die der Wanderer passirt,
hat irgendwelche historische Bedeutung, als das zur Linken der Straße ge¬
legene Dorf Benac, wo sich im Mittelalter eine starke Burg befand, deren
Besitzer in den Kreuzzügen von sich reden machten und von der noch Reste
eines Streitthurmes zu sehen sind. Die Bevölkerung von Lourdes beträgt
ungefähr 4200 Seelen. Es ist ein stilles alterthümliches Oerrchen, wo die
Glocke den Leuten schon um 9 Uhr Abends zu Bett läutet. Es erfreut sich
eines Wochenblattes und im Schlosse gibt es einen Gouverneur, der die
größte Mühe hat, die Zeit todtzuschlagen. „II s'olmuie beg-uconri." Das
ist der Ort, von dem uns soeben der Telegraph berichtet:

„Merzig Tausend Pilger haben sich hier versammelt und wohnten- so¬
eben der Messe bei, welche der Bischof von Carcassone unter freiem Himmel
celebrirte. Nach der Ceremonie hielt der Monsignor von Tarbes einen po¬
litisch-religiösen Sermon. Die Wallfahrer nahmen diese Predigt mit dein
Rufe: „Es lebe Frankreich! Vivat der Papst!" auf. Um zwei Uhr gab es
eine große Procession, welche circa zweihundert Banner trug, die alle Länder
repräsentirten und die man schließlich in der Kirche niederlegte. Unter ihnen
befand sich auch die Fahne von Elsaß Lothringen. Alle Fahnen waren mit
Krepp verhüllt, um die Trauer anzudeuten, welche Frankreich über sein und
des heiligen Vaters Unglück empfindet. Während die Procession auf die
Kirche zuschritt, rief das Volk ohne Aufhören: „Vive in, I'i-loco! Vive le
?aps!''. Neunzehn Abgeordnete der Nationalversammlung betheiligten sich
an dem Aufzuge. Es waren die Herren Belcastel, Lagrange, Dumont,
Franclieu, Rodez, Chesnelong, Dufour (aus dem Departement Basse Pyre'-
nach), Boysse, Resseguier, Bonald, Debarreau, Desseigne, Feligonde und de
la Bruyere. Von Bischöfen waren zugegen die von Auch, von Carcassonne,
von Meute, von Lucon, von Tarbes und der von Indien. Nach Einweihung
der Fahnen hielt der Erzbischof von Auch eine Rede, in welcher er seinen
Zuhörern empfahl, sich ruhig zu verhalten und zu keiner Art von Kund¬
gebung hinreißen zu lassen. (Er wird gewußt haben, daß ihnen ein demon¬
stratives „Vivo Höiu'i VI.!",auf der Zunge saß.) Die Revolution habe ihre
Agenten hergesandt, um Unruhe und Verwirrung anzustiften. Auch von
anderer Seite hörte man Letzteres behaupten. Aber bis jetzt ist noch nichts
von solchen Agenten zu sehen gewesen."




Verantwortlicher Redacteur: 0r. Ha»S Blum.
Verlag von A. L. Herdig. — Druck von Hüthel » Legler in Leipzig.
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[0168] Die Pilger begeben sich nach Tarbes mit der Eisenbahn. Von dieser Stadt müssen sie den Weg bis nach Lourdes, wo man vor der Wunderhöhle jetzt eine kleine Kapelle errichtet hat, in Kutschen und aus Bauernwagen zurücklegen, da es gegenwärtig dort keine Postbeförderung gibt. Eine solche existirt nur im Sommer. Lourdes ist indeß von Tarbes nur 18 Kilometer entfernt und der Weg dahin führt durch das anmuthige und wohlbebaute Thal von Bigorre. Keine von den Oertlichkeiten, die der Wanderer passirt, hat irgendwelche historische Bedeutung, als das zur Linken der Straße ge¬ legene Dorf Benac, wo sich im Mittelalter eine starke Burg befand, deren Besitzer in den Kreuzzügen von sich reden machten und von der noch Reste eines Streitthurmes zu sehen sind. Die Bevölkerung von Lourdes beträgt ungefähr 4200 Seelen. Es ist ein stilles alterthümliches Oerrchen, wo die Glocke den Leuten schon um 9 Uhr Abends zu Bett läutet. Es erfreut sich eines Wochenblattes und im Schlosse gibt es einen Gouverneur, der die größte Mühe hat, die Zeit todtzuschlagen. „II s'olmuie beg-uconri." Das ist der Ort, von dem uns soeben der Telegraph berichtet: „Merzig Tausend Pilger haben sich hier versammelt und wohnten- so¬ eben der Messe bei, welche der Bischof von Carcassone unter freiem Himmel celebrirte. Nach der Ceremonie hielt der Monsignor von Tarbes einen po¬ litisch-religiösen Sermon. Die Wallfahrer nahmen diese Predigt mit dein Rufe: „Es lebe Frankreich! Vivat der Papst!" auf. Um zwei Uhr gab es eine große Procession, welche circa zweihundert Banner trug, die alle Länder repräsentirten und die man schließlich in der Kirche niederlegte. Unter ihnen befand sich auch die Fahne von Elsaß Lothringen. Alle Fahnen waren mit Krepp verhüllt, um die Trauer anzudeuten, welche Frankreich über sein und des heiligen Vaters Unglück empfindet. Während die Procession auf die Kirche zuschritt, rief das Volk ohne Aufhören: „Vive in, I'i-loco! Vive le ?aps!''. Neunzehn Abgeordnete der Nationalversammlung betheiligten sich an dem Aufzuge. Es waren die Herren Belcastel, Lagrange, Dumont, Franclieu, Rodez, Chesnelong, Dufour (aus dem Departement Basse Pyre'- nach), Boysse, Resseguier, Bonald, Debarreau, Desseigne, Feligonde und de la Bruyere. Von Bischöfen waren zugegen die von Auch, von Carcassonne, von Meute, von Lucon, von Tarbes und der von Indien. Nach Einweihung der Fahnen hielt der Erzbischof von Auch eine Rede, in welcher er seinen Zuhörern empfahl, sich ruhig zu verhalten und zu keiner Art von Kund¬ gebung hinreißen zu lassen. (Er wird gewußt haben, daß ihnen ein demon¬ stratives „Vivo Höiu'i VI.!",auf der Zunge saß.) Die Revolution habe ihre Agenten hergesandt, um Unruhe und Verwirrung anzustiften. Auch von anderer Seite hörte man Letzteres behaupten. Aber bis jetzt ist noch nichts von solchen Agenten zu sehen gewesen." Verantwortlicher Redacteur: 0r. Ha»S Blum. Verlag von A. L. Herdig. — Druck von Hüthel » Legler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/168>, abgerufen am 02.10.2024.