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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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gehen in der socialen Frage abhängig machen werde. Nach einigen Andeu¬
tungen schien es sogar, als solle jedes in Eisenach gesprochene Wort direct
an die preußische Regierung telegraphirt werden. So hat denn auch
die officiöse "Provinzial-Correspondenz" unmittelbar nach dem Schluß
der Verhandlungen nicht versäumt, der Conferenz ihr solennes Belobigungs¬
attest auszustellen und daran die bedeutsame Mittheilung zu knüpfen: "Die
tiefgehende Wichtigkeit der verhandelten Fragen und der mit denselben zu¬
sammenhängenden Pflichten des Staates wird von der Regieru-ng des deut¬
schen Reiches so entschieden anerkannt, daß dieselbe im Begriff steht, sich über
die dabei in Betracht kommenden Gesichtspunkte und Aufgaben zunächst mit
der österreichisch-ungarischen Negierung ins Einvernehmen zu setzen. Die
zu diesem Zweck schon früher verabredeten gemeinsamen Berathungen werden
in wenigen Wochen stattfinden."

Die am 6. und 7. October in Eisenach versammelt gewesenen Männer
sind durch diese Vorgänge in eine Lage versetzt worden, welche dem endlichen
richtigen Verständniß der socialen Frage nur förderlich sein kann. Sie haben
die öffentliche Aufmerksamkeit viel lebhafter als andere ähnliche Versamm¬
lungen auf sich gezogen und das Publicum wird nunmehr hoffentlich auch
ihre Grundanschauungen und Heilreeepte etwas schärfer prüfen.

Bis zu den Tagen von Eisenach lag die "neue Richtung in der socialen
Frage", welche die Gegner mit dem Namen "Katheder-Socialismus" getauft
haben, vor der Welt noch in Zweideutigkeit und Phrasenverhüllung da,
welche ihren Gipfelpunkt in dem "sittlichen Pathos" fand, das alle Eingela¬
denen mitbringen sollten, die außerdem noch "das absolute laisssr kairo
Ig-isser passer" nicht für richtig halten durften. Außerdem war das Pub¬
likum mehrfach daran erinnert worden, daß die neue Richtung "einen acade-
mischen Ausgangspunkt habe" und daß sie sich in Gegensatz gegen "den volks-
wirthschaftlichen Congreß" und die darin vertretenen "Doktrinäre des Kapitals"
stellen werde. Ein 10 Tage vor dem Congreß in der "Augsburger Allge¬
meinen Zeitung" erschienener "Orientirungsartikel", welcher sich in der Lage
erklärte, "die wünschenswerthe Erläuterung zu der fraglichen Einladung zu
geben", vindicirte der socialen Conferenz schon im Voraus die Rolle eines
Vermittlers zwischen zwei Extremen, nämlich zwischen denjenigen, welche in
seltsamer Vermessenheit sich den Namen der deutschen Volkswirthe beigelegt
haben und zwischen "den Internationalen". "Die einen sind bornirt con-
servativ und die andern fanatisch revolutionär"; die einen sind "Doctrinäre
des Kapitals", die andern "Doctrinäre der Arbeit", die einen sind "Opti¬
misten" und die andern "Pessimisten". Dazwischen sollte man sich nun in
Eisenach "aus den Standpunkt unbefangener Erkenntniß der socialen That¬
sachen stellen" oder "auf den Standpunkt der Reform statt auf den Stand-


gehen in der socialen Frage abhängig machen werde. Nach einigen Andeu¬
tungen schien es sogar, als solle jedes in Eisenach gesprochene Wort direct
an die preußische Regierung telegraphirt werden. So hat denn auch
die officiöse „Provinzial-Correspondenz" unmittelbar nach dem Schluß
der Verhandlungen nicht versäumt, der Conferenz ihr solennes Belobigungs¬
attest auszustellen und daran die bedeutsame Mittheilung zu knüpfen: „Die
tiefgehende Wichtigkeit der verhandelten Fragen und der mit denselben zu¬
sammenhängenden Pflichten des Staates wird von der Regieru-ng des deut¬
schen Reiches so entschieden anerkannt, daß dieselbe im Begriff steht, sich über
die dabei in Betracht kommenden Gesichtspunkte und Aufgaben zunächst mit
der österreichisch-ungarischen Negierung ins Einvernehmen zu setzen. Die
zu diesem Zweck schon früher verabredeten gemeinsamen Berathungen werden
in wenigen Wochen stattfinden."

Die am 6. und 7. October in Eisenach versammelt gewesenen Männer
sind durch diese Vorgänge in eine Lage versetzt worden, welche dem endlichen
richtigen Verständniß der socialen Frage nur förderlich sein kann. Sie haben
die öffentliche Aufmerksamkeit viel lebhafter als andere ähnliche Versamm¬
lungen auf sich gezogen und das Publicum wird nunmehr hoffentlich auch
ihre Grundanschauungen und Heilreeepte etwas schärfer prüfen.

Bis zu den Tagen von Eisenach lag die „neue Richtung in der socialen
Frage", welche die Gegner mit dem Namen „Katheder-Socialismus" getauft
haben, vor der Welt noch in Zweideutigkeit und Phrasenverhüllung da,
welche ihren Gipfelpunkt in dem „sittlichen Pathos" fand, das alle Eingela¬
denen mitbringen sollten, die außerdem noch „das absolute laisssr kairo
Ig-isser passer" nicht für richtig halten durften. Außerdem war das Pub¬
likum mehrfach daran erinnert worden, daß die neue Richtung „einen acade-
mischen Ausgangspunkt habe" und daß sie sich in Gegensatz gegen „den volks-
wirthschaftlichen Congreß" und die darin vertretenen „Doktrinäre des Kapitals"
stellen werde. Ein 10 Tage vor dem Congreß in der „Augsburger Allge¬
meinen Zeitung" erschienener „Orientirungsartikel", welcher sich in der Lage
erklärte, „die wünschenswerthe Erläuterung zu der fraglichen Einladung zu
geben", vindicirte der socialen Conferenz schon im Voraus die Rolle eines
Vermittlers zwischen zwei Extremen, nämlich zwischen denjenigen, welche in
seltsamer Vermessenheit sich den Namen der deutschen Volkswirthe beigelegt
haben und zwischen „den Internationalen". „Die einen sind bornirt con-
servativ und die andern fanatisch revolutionär"; die einen sind „Doctrinäre
des Kapitals", die andern „Doctrinäre der Arbeit", die einen sind „Opti¬
misten" und die andern „Pessimisten". Dazwischen sollte man sich nun in
Eisenach „aus den Standpunkt unbefangener Erkenntniß der socialen That¬
sachen stellen" oder „auf den Standpunkt der Reform statt auf den Stand-


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[0159] gehen in der socialen Frage abhängig machen werde. Nach einigen Andeu¬ tungen schien es sogar, als solle jedes in Eisenach gesprochene Wort direct an die preußische Regierung telegraphirt werden. So hat denn auch die officiöse „Provinzial-Correspondenz" unmittelbar nach dem Schluß der Verhandlungen nicht versäumt, der Conferenz ihr solennes Belobigungs¬ attest auszustellen und daran die bedeutsame Mittheilung zu knüpfen: „Die tiefgehende Wichtigkeit der verhandelten Fragen und der mit denselben zu¬ sammenhängenden Pflichten des Staates wird von der Regieru-ng des deut¬ schen Reiches so entschieden anerkannt, daß dieselbe im Begriff steht, sich über die dabei in Betracht kommenden Gesichtspunkte und Aufgaben zunächst mit der österreichisch-ungarischen Negierung ins Einvernehmen zu setzen. Die zu diesem Zweck schon früher verabredeten gemeinsamen Berathungen werden in wenigen Wochen stattfinden." Die am 6. und 7. October in Eisenach versammelt gewesenen Männer sind durch diese Vorgänge in eine Lage versetzt worden, welche dem endlichen richtigen Verständniß der socialen Frage nur förderlich sein kann. Sie haben die öffentliche Aufmerksamkeit viel lebhafter als andere ähnliche Versamm¬ lungen auf sich gezogen und das Publicum wird nunmehr hoffentlich auch ihre Grundanschauungen und Heilreeepte etwas schärfer prüfen. Bis zu den Tagen von Eisenach lag die „neue Richtung in der socialen Frage", welche die Gegner mit dem Namen „Katheder-Socialismus" getauft haben, vor der Welt noch in Zweideutigkeit und Phrasenverhüllung da, welche ihren Gipfelpunkt in dem „sittlichen Pathos" fand, das alle Eingela¬ denen mitbringen sollten, die außerdem noch „das absolute laisssr kairo Ig-isser passer" nicht für richtig halten durften. Außerdem war das Pub¬ likum mehrfach daran erinnert worden, daß die neue Richtung „einen acade- mischen Ausgangspunkt habe" und daß sie sich in Gegensatz gegen „den volks- wirthschaftlichen Congreß" und die darin vertretenen „Doktrinäre des Kapitals" stellen werde. Ein 10 Tage vor dem Congreß in der „Augsburger Allge¬ meinen Zeitung" erschienener „Orientirungsartikel", welcher sich in der Lage erklärte, „die wünschenswerthe Erläuterung zu der fraglichen Einladung zu geben", vindicirte der socialen Conferenz schon im Voraus die Rolle eines Vermittlers zwischen zwei Extremen, nämlich zwischen denjenigen, welche in seltsamer Vermessenheit sich den Namen der deutschen Volkswirthe beigelegt haben und zwischen „den Internationalen". „Die einen sind bornirt con- servativ und die andern fanatisch revolutionär"; die einen sind „Doctrinäre des Kapitals", die andern „Doctrinäre der Arbeit", die einen sind „Opti¬ misten" und die andern „Pessimisten". Dazwischen sollte man sich nun in Eisenach „aus den Standpunkt unbefangener Erkenntniß der socialen That¬ sachen stellen" oder „auf den Standpunkt der Reform statt auf den Stand-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/159>, abgerufen am 03.07.2024.