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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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zug mitgemacht und hielt ihnen eine Ansprache, in der es hieß: "Bewahrt
ewig in Eurem Gedächtnisse die Erinnerung an die Kämpfe unserer Borfahren,
wie derer, an denen Ihr selbst Theil genommen; denn die Geschichte der von
uns geführten Kriege ist die Geschichte des Fortschritts der Civilisation!" --
Die Heeresstärke am 1. Juli 1864 war nach den officiellen Rapporten des
Ministers die folgendes: Bei den Fahnen zur Stelle 379,220. disponible
Beurlaubte 234,329; Summa 713.549. Nach Abrechnung der Nonvaleurs
654,351. davon in erster Linie aufzustellen 893,329.

Am 13. August starb der Kriegsminister, Marschall Niet. Mit
ihm schien das Haupt der französischen Kriegspartei gefallen zu sein; sein
Tod wurde von vielen als Friedensbürgschaft aufgefaßt. An seiner Stelle
wurde General Leboeuf zum Kriegsminister ernannt. Leboeuf, welcher mehre
Feldzüge in Algerien und die Kriege in der Krim und Italien mitgemacht
hatte, war ein braver Soldat, ein vortrefflicher Artillerist, als solcher aber
recht eigentlich Specialist, und an das Werk Niet's, welches dieser unvollendet
hinterließ, trat er keineswegs mit dem Eifer und der Ueberzeugung heran,
mit welchem jener davon geschieden. Ueber das deutsche Heerwesen scheint er
völlig unklare Begriffe gehabt zu haben; das französische überschätzte er außer-
ordentlich. Er hatte die Armee in weit schlechterem Zustande als der, in
welchem er ihre Leitung übernahm, die Kriege in der Krim und in Italien
siegreich durchfechten sehn; so meinte er, werde.sie jetzt doch noch besser den
Kampf gegen Deutschland führen können.**) Leboeuf behielt sein Portefeuille
auch, als Ollivier am 2. Januar 1870 das neue "liberale" Cabinet be¬
gründete, und wurde Anfangs März zum Marschall ernannt.

Im gesetzgebenden Körper verlangte die Budgetcommission eine Herab¬
setzung des Contingents auf 90,000 Mann, ein Verlangen, das in der
Armee auf lebhaften Widerspruch stieß, weil es die Voraussetzungen, auf
welchen das Niet'sche Wehrwesen ruhte, schon im dritten Jahre seines Be¬
stehens in einem wesentlichen Punkte alterirte.

"Die ganze Stärke unserer "Kriegsmacht", schrieb ein hervorragendes Fachjournal***),
"besteht aus 9 jährlich votirten Contingenten. Was sich etwa noch außerhalb dieser
Contingente befindet, ist dienstfrei. Das Gesetz schreibt zwar vor, daß hieraus eine
mobile Nationalgarde gebildet werde; aber man weiß, was daraus geworden ist! . . .
Berücksichtigt man die Verluste und Abgänge aller Art. welche sich auf jene 9 Con-
tingente vertheilen, sowie den Bedarf der Marine, so ist bekanntlich eine Totalstärke





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5too. 1870. 'I'ourn-ü. 1871,
Rsvus miliwirs er!MHiü"s. 1870. Mai.

zug mitgemacht und hielt ihnen eine Ansprache, in der es hieß: „Bewahrt
ewig in Eurem Gedächtnisse die Erinnerung an die Kämpfe unserer Borfahren,
wie derer, an denen Ihr selbst Theil genommen; denn die Geschichte der von
uns geführten Kriege ist die Geschichte des Fortschritts der Civilisation!" —
Die Heeresstärke am 1. Juli 1864 war nach den officiellen Rapporten des
Ministers die folgendes: Bei den Fahnen zur Stelle 379,220. disponible
Beurlaubte 234,329; Summa 713.549. Nach Abrechnung der Nonvaleurs
654,351. davon in erster Linie aufzustellen 893,329.

Am 13. August starb der Kriegsminister, Marschall Niet. Mit
ihm schien das Haupt der französischen Kriegspartei gefallen zu sein; sein
Tod wurde von vielen als Friedensbürgschaft aufgefaßt. An seiner Stelle
wurde General Leboeuf zum Kriegsminister ernannt. Leboeuf, welcher mehre
Feldzüge in Algerien und die Kriege in der Krim und Italien mitgemacht
hatte, war ein braver Soldat, ein vortrefflicher Artillerist, als solcher aber
recht eigentlich Specialist, und an das Werk Niet's, welches dieser unvollendet
hinterließ, trat er keineswegs mit dem Eifer und der Ueberzeugung heran,
mit welchem jener davon geschieden. Ueber das deutsche Heerwesen scheint er
völlig unklare Begriffe gehabt zu haben; das französische überschätzte er außer-
ordentlich. Er hatte die Armee in weit schlechterem Zustande als der, in
welchem er ihre Leitung übernahm, die Kriege in der Krim und in Italien
siegreich durchfechten sehn; so meinte er, werde.sie jetzt doch noch besser den
Kampf gegen Deutschland führen können.**) Leboeuf behielt sein Portefeuille
auch, als Ollivier am 2. Januar 1870 das neue „liberale" Cabinet be¬
gründete, und wurde Anfangs März zum Marschall ernannt.

Im gesetzgebenden Körper verlangte die Budgetcommission eine Herab¬
setzung des Contingents auf 90,000 Mann, ein Verlangen, das in der
Armee auf lebhaften Widerspruch stieß, weil es die Voraussetzungen, auf
welchen das Niet'sche Wehrwesen ruhte, schon im dritten Jahre seines Be¬
stehens in einem wesentlichen Punkte alterirte.

„Die ganze Stärke unserer „Kriegsmacht", schrieb ein hervorragendes Fachjournal***),
„besteht aus 9 jährlich votirten Contingenten. Was sich etwa noch außerhalb dieser
Contingente befindet, ist dienstfrei. Das Gesetz schreibt zwar vor, daß hieraus eine
mobile Nationalgarde gebildet werde; aber man weiß, was daraus geworden ist! . . .
Berücksichtigt man die Verluste und Abgänge aller Art. welche sich auf jene 9 Con-
tingente vertheilen, sowie den Bedarf der Marine, so ist bekanntlich eine Totalstärke





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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/155>, abgerufen am 22.07.2024.