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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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er dieselbe "gewagt" habe, und man konnte bei solcher Gelegenheit wol spotten
hören: Die Bataillonschefs hätten deshalb eine so große Vorliebe für die
Elitecompagnien gehabt, weil deren Vorhandensein ihnen jedes Besinnen er¬
spart habe, wo sich der rechte und wo sich der linke Flügel des Bataillons
befinde.

Das Kriegsbudget für das Jahr 1869 wurde (und zwar nur für
das Landheer), ausschließlich aller außerordentlichen Ausgaben, auf 380 Mil¬
lionen Francs d. i. 101 ^/z Millionen Thaler berechnet, während das Kriegs-
budget des Norddeutschen Bundes sich nur auf 66 Millionen Thaler belief.
Garnier-Pages berechnete, daß Frankreich für Armee und Marine mehr aus¬
gebe, als ganz Norddeutschland und Oesterreich zusammen. Es war das un-
läugbar eine sehr bedeutende Last, und am 20. März 1869 ergriff die Opposi¬
tion bei Vorlage des Contingentsgesetzes die Gelegenheit, sich lebhaft über
diesen Druck zu beschweren und die Herabsetzung der Rekrutenzahl von 100
auf 80 Tausend zu verlangen. Es gelang Niet indessen, dies Amendement zu be¬
seitigen und die 100,000 Mann wurden bewilligt. Auch die großen Militär-
commandos, durch deren Aufhebung der Deputirte Picard etwa eine Million
zu sparen dachte, erklärte der Minister für ein nothwendiges Glied der Armee-
Organisation. Nur durch sie sei es möglich, schnell mobil zu machen. "Krieg
oder Frieden", so rief er in der Sitzung vom 12. April, "das macht mir ganz
und gar nichts aus! In acht bis neun Tagen können wir 600,000 Mann
marschfertig haben!"

An demselben Tage schrieb der Kaiser an Nouher, er wünsche, daß zur
Verherrlichung des 100 jährigen Geburtstages Napoleon's I.. der auf den
15. August 1869 fiel, von diesem Datum an jeder der alten Soldaten der
Republik und des Kaiserreichs eine Jahrespension von 250 Francs erhalte.
"Diese hundert Jahre", hieß es in jenem Briefe, "haben viele Ruinen gehäuft;
aufrecht geblieben ist aber die große Gestalt Napoleon's; sie ist es, die uns
noch heut leitet und beschützt und die mich aus nichts zu dem gemacht hat,
was ich bin." -- Das letzte ist unzweifelhaft wahr; das andere nur in dem
Sinne, daß allerdings Frankreich und zumal die Armee an der "Legende" Na¬
poleon's noch immer litt, wie das ein kleiner Kreis von Franzosen auch ein¬
sah, und wie es namentlich Trochu so energisch ausgesprochen hat.

In jeder Weise bestrebte man sich, den kriegerischen Neigungen des Volkes
zu schmeicheln und ihm durch militairische Schauspiele zu imponiren. In dieser
Absicht befahl Niet allen Garntsonscommandanten, Sonntagsparaden abzu¬
halten, was bisher nicht üblich gewesen, da "es gut sei, daß die in der Woche
beschäftigten Bevölkerungen von Zeit zu Zeit die Truppen in Waffen sähen". --
Im Lager von Chalons ließ der Kaiser am 24. Juni, dem Jahrestage von
Solferinv, diejenigen Soldaten zusammentreten, welche den italienischen Feld-


er dieselbe „gewagt" habe, und man konnte bei solcher Gelegenheit wol spotten
hören: Die Bataillonschefs hätten deshalb eine so große Vorliebe für die
Elitecompagnien gehabt, weil deren Vorhandensein ihnen jedes Besinnen er¬
spart habe, wo sich der rechte und wo sich der linke Flügel des Bataillons
befinde.

Das Kriegsbudget für das Jahr 1869 wurde (und zwar nur für
das Landheer), ausschließlich aller außerordentlichen Ausgaben, auf 380 Mil¬
lionen Francs d. i. 101 ^/z Millionen Thaler berechnet, während das Kriegs-
budget des Norddeutschen Bundes sich nur auf 66 Millionen Thaler belief.
Garnier-Pages berechnete, daß Frankreich für Armee und Marine mehr aus¬
gebe, als ganz Norddeutschland und Oesterreich zusammen. Es war das un-
läugbar eine sehr bedeutende Last, und am 20. März 1869 ergriff die Opposi¬
tion bei Vorlage des Contingentsgesetzes die Gelegenheit, sich lebhaft über
diesen Druck zu beschweren und die Herabsetzung der Rekrutenzahl von 100
auf 80 Tausend zu verlangen. Es gelang Niet indessen, dies Amendement zu be¬
seitigen und die 100,000 Mann wurden bewilligt. Auch die großen Militär-
commandos, durch deren Aufhebung der Deputirte Picard etwa eine Million
zu sparen dachte, erklärte der Minister für ein nothwendiges Glied der Armee-
Organisation. Nur durch sie sei es möglich, schnell mobil zu machen. „Krieg
oder Frieden", so rief er in der Sitzung vom 12. April, „das macht mir ganz
und gar nichts aus! In acht bis neun Tagen können wir 600,000 Mann
marschfertig haben!"

An demselben Tage schrieb der Kaiser an Nouher, er wünsche, daß zur
Verherrlichung des 100 jährigen Geburtstages Napoleon's I.. der auf den
15. August 1869 fiel, von diesem Datum an jeder der alten Soldaten der
Republik und des Kaiserreichs eine Jahrespension von 250 Francs erhalte.
„Diese hundert Jahre", hieß es in jenem Briefe, „haben viele Ruinen gehäuft;
aufrecht geblieben ist aber die große Gestalt Napoleon's; sie ist es, die uns
noch heut leitet und beschützt und die mich aus nichts zu dem gemacht hat,
was ich bin." — Das letzte ist unzweifelhaft wahr; das andere nur in dem
Sinne, daß allerdings Frankreich und zumal die Armee an der „Legende" Na¬
poleon's noch immer litt, wie das ein kleiner Kreis von Franzosen auch ein¬
sah, und wie es namentlich Trochu so energisch ausgesprochen hat.

In jeder Weise bestrebte man sich, den kriegerischen Neigungen des Volkes
zu schmeicheln und ihm durch militairische Schauspiele zu imponiren. In dieser
Absicht befahl Niet allen Garntsonscommandanten, Sonntagsparaden abzu¬
halten, was bisher nicht üblich gewesen, da „es gut sei, daß die in der Woche
beschäftigten Bevölkerungen von Zeit zu Zeit die Truppen in Waffen sähen". —
Im Lager von Chalons ließ der Kaiser am 24. Juni, dem Jahrestage von
Solferinv, diejenigen Soldaten zusammentreten, welche den italienischen Feld-


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[0154] er dieselbe „gewagt" habe, und man konnte bei solcher Gelegenheit wol spotten hören: Die Bataillonschefs hätten deshalb eine so große Vorliebe für die Elitecompagnien gehabt, weil deren Vorhandensein ihnen jedes Besinnen er¬ spart habe, wo sich der rechte und wo sich der linke Flügel des Bataillons befinde. Das Kriegsbudget für das Jahr 1869 wurde (und zwar nur für das Landheer), ausschließlich aller außerordentlichen Ausgaben, auf 380 Mil¬ lionen Francs d. i. 101 ^/z Millionen Thaler berechnet, während das Kriegs- budget des Norddeutschen Bundes sich nur auf 66 Millionen Thaler belief. Garnier-Pages berechnete, daß Frankreich für Armee und Marine mehr aus¬ gebe, als ganz Norddeutschland und Oesterreich zusammen. Es war das un- läugbar eine sehr bedeutende Last, und am 20. März 1869 ergriff die Opposi¬ tion bei Vorlage des Contingentsgesetzes die Gelegenheit, sich lebhaft über diesen Druck zu beschweren und die Herabsetzung der Rekrutenzahl von 100 auf 80 Tausend zu verlangen. Es gelang Niet indessen, dies Amendement zu be¬ seitigen und die 100,000 Mann wurden bewilligt. Auch die großen Militär- commandos, durch deren Aufhebung der Deputirte Picard etwa eine Million zu sparen dachte, erklärte der Minister für ein nothwendiges Glied der Armee- Organisation. Nur durch sie sei es möglich, schnell mobil zu machen. „Krieg oder Frieden", so rief er in der Sitzung vom 12. April, „das macht mir ganz und gar nichts aus! In acht bis neun Tagen können wir 600,000 Mann marschfertig haben!" An demselben Tage schrieb der Kaiser an Nouher, er wünsche, daß zur Verherrlichung des 100 jährigen Geburtstages Napoleon's I.. der auf den 15. August 1869 fiel, von diesem Datum an jeder der alten Soldaten der Republik und des Kaiserreichs eine Jahrespension von 250 Francs erhalte. „Diese hundert Jahre", hieß es in jenem Briefe, „haben viele Ruinen gehäuft; aufrecht geblieben ist aber die große Gestalt Napoleon's; sie ist es, die uns noch heut leitet und beschützt und die mich aus nichts zu dem gemacht hat, was ich bin." — Das letzte ist unzweifelhaft wahr; das andere nur in dem Sinne, daß allerdings Frankreich und zumal die Armee an der „Legende" Na¬ poleon's noch immer litt, wie das ein kleiner Kreis von Franzosen auch ein¬ sah, und wie es namentlich Trochu so energisch ausgesprochen hat. In jeder Weise bestrebte man sich, den kriegerischen Neigungen des Volkes zu schmeicheln und ihm durch militairische Schauspiele zu imponiren. In dieser Absicht befahl Niet allen Garntsonscommandanten, Sonntagsparaden abzu¬ halten, was bisher nicht üblich gewesen, da „es gut sei, daß die in der Woche beschäftigten Bevölkerungen von Zeit zu Zeit die Truppen in Waffen sähen". — Im Lager von Chalons ließ der Kaiser am 24. Juni, dem Jahrestage von Solferinv, diejenigen Soldaten zusammentreten, welche den italienischen Feld-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/154>, abgerufen am 25.08.2024.