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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Wie jede Halbheit fand das neue Militärgesetz Gegner bei allen
Parteien. -- Die ächten Bonapartisten, die natürlich Anhänger der
Exoneration gewesen, beklagten schmerzlich den Verlust der guten Unteroffiziere,
welche das Aufhören der Rengagements mit Prime nicht überdauern könnten,
und gaben zu erwägen, wie doch die öffentliche Sittlichkeit gar nicht gefördert
sei; denn jetzt könne jeder junge Taugenichts, welcher eine "gute" Nummer
gezogen, als Stellvertreter ein besseres Geschäft machen, als bisher mit allen
Prämien für lange Dienstzeit. -- Die Partei der Orleans ließ sich durch
den Mund des Herzogs von Aumale wie folgt vernehmen:

"Im Jahre 1841 hatte Frankreich eine gute Armee; die Reserve war unvoll¬
kommen, aber sie existirte, sie war greifbar; in dem Augenblick, wo man sie diseutirie,
war sie zu den Fahnen gerufen. Um ihr in Zukunft ein Rudiment von Instruction
z" sichern -- war es nothwendig, die militärischen Einrichtungen zu schwächen, ohne
das Land zu soulagiren? Das ist gerade das Gegentheil von dem, was die preußische
Regierung in den vier Jahren gethan, welche dem letzten Feldzuge vorausgingen: sie
hat ihre Linien-Armee auf Kosten der Landwehr verstärkt."*)

Die republikanische Partei, welche den Ideen Trochu's huldigte,
ließ sich bei einem Vergleiche der französischen und preußischen Streitkräfte
wie folgt vernehmen:


"Alle Welt verkündet hier die democratischen Grundsätze und nimmt sie eifrig in
Anspruch; aber gerade bei der Institution, welcher sie zumeist als Grundlage dienen
sollten, weist man sie zurück und klammert sich an ein System der Privilegien, an ein
veraltetes, antinationales (?) und demoralisirendes System. Hoffen wir, daß die Stunde
der allgemeinen persönlichen Dienstpflicht ohne Stellvertretung bald schlage!"**)

Solchen Stimmen gegenüber besserten sich die Anhänger des Niet'-
sehen Gesetzes, ihrerseits die Vorzüge desselben und namentlich die Vor¬
trefflichkeit der Reserve und der Mobilgarde in möglichst glänzendes Licht zu
stellen, wobei sie ebenfalls stets direct auf Preußen Bezug nahmen. Von be¬
sonderem Interesse ist in dieser Beziehung ein,IÄ3u>i utopigucz Kur in. uou-
VLlIo loi militaire von Senne-Jacques.***) Da heißt es unter Anderem
wie folgt:

Was die preußische Landwehr betrifft, so hat sich trotz ihrer kurz vorher durch¬
geführten Reform im Kriege 1866 doch gezeigt, daß man sie nicht vor den Feind
bringen dürfe. Mit Ausnahme des Treffens von Langensalza, wo sie sich den han-
noverschen Kürassierer gegenüber schwach genug gezeigt hat, ist sie zu nichts Anderem
verwendet worden, als um in den Straßen von Dresden und Prag zu bummeln.
Viel gewichtiger ist die Rolle unserer französischen Reserve! Emge-





") I^es Institution" militsires.
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) liovus inilitiürs kranx^iss.
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Wie jede Halbheit fand das neue Militärgesetz Gegner bei allen
Parteien. — Die ächten Bonapartisten, die natürlich Anhänger der
Exoneration gewesen, beklagten schmerzlich den Verlust der guten Unteroffiziere,
welche das Aufhören der Rengagements mit Prime nicht überdauern könnten,
und gaben zu erwägen, wie doch die öffentliche Sittlichkeit gar nicht gefördert
sei; denn jetzt könne jeder junge Taugenichts, welcher eine „gute" Nummer
gezogen, als Stellvertreter ein besseres Geschäft machen, als bisher mit allen
Prämien für lange Dienstzeit. — Die Partei der Orleans ließ sich durch
den Mund des Herzogs von Aumale wie folgt vernehmen:

„Im Jahre 1841 hatte Frankreich eine gute Armee; die Reserve war unvoll¬
kommen, aber sie existirte, sie war greifbar; in dem Augenblick, wo man sie diseutirie,
war sie zu den Fahnen gerufen. Um ihr in Zukunft ein Rudiment von Instruction
z» sichern — war es nothwendig, die militärischen Einrichtungen zu schwächen, ohne
das Land zu soulagiren? Das ist gerade das Gegentheil von dem, was die preußische
Regierung in den vier Jahren gethan, welche dem letzten Feldzuge vorausgingen: sie
hat ihre Linien-Armee auf Kosten der Landwehr verstärkt."*)

Die republikanische Partei, welche den Ideen Trochu's huldigte,
ließ sich bei einem Vergleiche der französischen und preußischen Streitkräfte
wie folgt vernehmen:


„Alle Welt verkündet hier die democratischen Grundsätze und nimmt sie eifrig in
Anspruch; aber gerade bei der Institution, welcher sie zumeist als Grundlage dienen
sollten, weist man sie zurück und klammert sich an ein System der Privilegien, an ein
veraltetes, antinationales (?) und demoralisirendes System. Hoffen wir, daß die Stunde
der allgemeinen persönlichen Dienstpflicht ohne Stellvertretung bald schlage!"**)

Solchen Stimmen gegenüber besserten sich die Anhänger des Niet'-
sehen Gesetzes, ihrerseits die Vorzüge desselben und namentlich die Vor¬
trefflichkeit der Reserve und der Mobilgarde in möglichst glänzendes Licht zu
stellen, wobei sie ebenfalls stets direct auf Preußen Bezug nahmen. Von be¬
sonderem Interesse ist in dieser Beziehung ein,IÄ3u>i utopigucz Kur in. uou-
VLlIo loi militaire von Senne-Jacques.***) Da heißt es unter Anderem
wie folgt:

Was die preußische Landwehr betrifft, so hat sich trotz ihrer kurz vorher durch¬
geführten Reform im Kriege 1866 doch gezeigt, daß man sie nicht vor den Feind
bringen dürfe. Mit Ausnahme des Treffens von Langensalza, wo sie sich den han-
noverschen Kürassierer gegenüber schwach genug gezeigt hat, ist sie zu nichts Anderem
verwendet worden, als um in den Straßen von Dresden und Prag zu bummeln.
Viel gewichtiger ist die Rolle unserer französischen Reserve! Emge-





") I^es Institution» militsires.
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[0151] Wie jede Halbheit fand das neue Militärgesetz Gegner bei allen Parteien. — Die ächten Bonapartisten, die natürlich Anhänger der Exoneration gewesen, beklagten schmerzlich den Verlust der guten Unteroffiziere, welche das Aufhören der Rengagements mit Prime nicht überdauern könnten, und gaben zu erwägen, wie doch die öffentliche Sittlichkeit gar nicht gefördert sei; denn jetzt könne jeder junge Taugenichts, welcher eine „gute" Nummer gezogen, als Stellvertreter ein besseres Geschäft machen, als bisher mit allen Prämien für lange Dienstzeit. — Die Partei der Orleans ließ sich durch den Mund des Herzogs von Aumale wie folgt vernehmen: „Im Jahre 1841 hatte Frankreich eine gute Armee; die Reserve war unvoll¬ kommen, aber sie existirte, sie war greifbar; in dem Augenblick, wo man sie diseutirie, war sie zu den Fahnen gerufen. Um ihr in Zukunft ein Rudiment von Instruction z» sichern — war es nothwendig, die militärischen Einrichtungen zu schwächen, ohne das Land zu soulagiren? Das ist gerade das Gegentheil von dem, was die preußische Regierung in den vier Jahren gethan, welche dem letzten Feldzuge vorausgingen: sie hat ihre Linien-Armee auf Kosten der Landwehr verstärkt."*) Die republikanische Partei, welche den Ideen Trochu's huldigte, ließ sich bei einem Vergleiche der französischen und preußischen Streitkräfte wie folgt vernehmen: „Alle Welt verkündet hier die democratischen Grundsätze und nimmt sie eifrig in Anspruch; aber gerade bei der Institution, welcher sie zumeist als Grundlage dienen sollten, weist man sie zurück und klammert sich an ein System der Privilegien, an ein veraltetes, antinationales (?) und demoralisirendes System. Hoffen wir, daß die Stunde der allgemeinen persönlichen Dienstpflicht ohne Stellvertretung bald schlage!"**) Solchen Stimmen gegenüber besserten sich die Anhänger des Niet'- sehen Gesetzes, ihrerseits die Vorzüge desselben und namentlich die Vor¬ trefflichkeit der Reserve und der Mobilgarde in möglichst glänzendes Licht zu stellen, wobei sie ebenfalls stets direct auf Preußen Bezug nahmen. Von be¬ sonderem Interesse ist in dieser Beziehung ein,IÄ3u>i utopigucz Kur in. uou- VLlIo loi militaire von Senne-Jacques.***) Da heißt es unter Anderem wie folgt: Was die preußische Landwehr betrifft, so hat sich trotz ihrer kurz vorher durch¬ geführten Reform im Kriege 1866 doch gezeigt, daß man sie nicht vor den Feind bringen dürfe. Mit Ausnahme des Treffens von Langensalza, wo sie sich den han- noverschen Kürassierer gegenüber schwach genug gezeigt hat, ist sie zu nichts Anderem verwendet worden, als um in den Straßen von Dresden und Prag zu bummeln. Viel gewichtiger ist die Rolle unserer französischen Reserve! Emge- ") I^es Institution» militsires. " ) liovus inilitiürs kranx^iss. "*) LpLLtÄtLur militairv.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/151>, abgerufen am 22.07.2024.