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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Hinterthüren gesorgt, welche Dienstunlustigen das Entschlüpfen sehr leicht
machten. So ist zwischen Familiengliedern der Tausch bis einschließlich des
6. Grades der Verwandtschaft gestattet; eine Menge von Beamten find
<zö ipso befreit; 10 Procent der Familienernährer dürfen durch die Behörden
befreit werden u. s. w.*) -- Dabei ist der Dienst nichts weniger als drückend.
Nur Is Mal im Jahre darf geübt werden, jedesmal nur einen Tag lang.
Niemand darf gezwungen werden, auch nur eine Nacht außerhalb seines Hauses
zuzubringen, Niemand braucht zur Uebung zu kommen, der ferner als eine
Tagesfahrt vom Sammelplatze wohnt, und befreit von der Uebung sind alle
die, welche nachweisen können, daß sie bereits eine genügende Fertigkeit in
der Handhabung von Waffen haben. -- Ein Nachtrag zu dem Gesetze ge¬
stattet unter gewissen Bedingungen die Bildung von Franctireurcompagnien
neben den Mobilgarden. -- Man sieht, wie durchaus einer laxen Praxis die
Wege geöffnet wurden; und sie sind in der That ohne Zaudern massenhaft
betreten worden.

Denn die Hoffnung des Marschalls Niet, die Einrichtung der Mobilgarde
werde vom Volke mit Begeisterung aufgenommen werden, zeigte sich als ein
großer Irrthum. Daß dem Gesetze über die Mobilgarde rückwirkende
Kraft beigelegt und die in den Jahren 1864 bis 66 dienstpflichtig gewor¬
denen, aber nicht in das Heer eingestellten Mannschaften jetzt in die Stamm¬
rollen der Mobilgarde notirt werden sollten, erregte allgemeine Entrüstung,
und weit entfernt, sich zu diesen Einzeichnungen "zu drängen" (wie manche
Zeitungen verkündet hatten), fanden sogar an manchen Orten bei Einschrei¬
bung der Mobilgardisten höchst bedenkliche Unruhen statt. So zu Nantes
(12. März), Toulouse, Neuilly, Bordeaux, Dijon, Grenoble. Das Volk
rottete sich zusammen, durchzog, die Marseillaise singend, die Straßen, rief:
"Vivs la ReMdli^uL! L. das les nobiles! ^ das ILmpsreur!'' verwun¬
dete die einschreitenden Gensdarmen und konnte nur durch Aufbieten militä¬
rischer Kräfte zur Ruhe gebracht werden. Solche Erscheinungen stimmten
schlecht zu den officiellen Berichten des Moniteur und kennzeichneten besser
als alle democratischen Redensarten den militärischen Sinn der Franzosen
und ihren Beruf für die allgemeine Wehrpflicht.

Fast gleichzeitig begegnete auch die Contingentvorlage, welche am
4. März zur Berathung kam, im gesetzgebenden Körper lebhafter Opposition.
Der Forderung der Regierung- 100,000 Mann zu bewilligen, stellte Picard
den Antrag entgegen, nur 80,000 zu gewähren; er drang indessen nicht durch,
und der Gesetzentwurf wurde am 9. März mit 230 gegen 12 Stimmen an¬
genommen.



*) Die Ernennung der Offiziere blieb dem Kaiser, die der Unteroffiziere dem Kriegsmini¬
sterium vorbehalten.

Hinterthüren gesorgt, welche Dienstunlustigen das Entschlüpfen sehr leicht
machten. So ist zwischen Familiengliedern der Tausch bis einschließlich des
6. Grades der Verwandtschaft gestattet; eine Menge von Beamten find
<zö ipso befreit; 10 Procent der Familienernährer dürfen durch die Behörden
befreit werden u. s. w.*) — Dabei ist der Dienst nichts weniger als drückend.
Nur Is Mal im Jahre darf geübt werden, jedesmal nur einen Tag lang.
Niemand darf gezwungen werden, auch nur eine Nacht außerhalb seines Hauses
zuzubringen, Niemand braucht zur Uebung zu kommen, der ferner als eine
Tagesfahrt vom Sammelplatze wohnt, und befreit von der Uebung sind alle
die, welche nachweisen können, daß sie bereits eine genügende Fertigkeit in
der Handhabung von Waffen haben. — Ein Nachtrag zu dem Gesetze ge¬
stattet unter gewissen Bedingungen die Bildung von Franctireurcompagnien
neben den Mobilgarden. — Man sieht, wie durchaus einer laxen Praxis die
Wege geöffnet wurden; und sie sind in der That ohne Zaudern massenhaft
betreten worden.

Denn die Hoffnung des Marschalls Niet, die Einrichtung der Mobilgarde
werde vom Volke mit Begeisterung aufgenommen werden, zeigte sich als ein
großer Irrthum. Daß dem Gesetze über die Mobilgarde rückwirkende
Kraft beigelegt und die in den Jahren 1864 bis 66 dienstpflichtig gewor¬
denen, aber nicht in das Heer eingestellten Mannschaften jetzt in die Stamm¬
rollen der Mobilgarde notirt werden sollten, erregte allgemeine Entrüstung,
und weit entfernt, sich zu diesen Einzeichnungen „zu drängen" (wie manche
Zeitungen verkündet hatten), fanden sogar an manchen Orten bei Einschrei¬
bung der Mobilgardisten höchst bedenkliche Unruhen statt. So zu Nantes
(12. März), Toulouse, Neuilly, Bordeaux, Dijon, Grenoble. Das Volk
rottete sich zusammen, durchzog, die Marseillaise singend, die Straßen, rief:
„Vivs la ReMdli^uL! L. das les nobiles! ^ das ILmpsreur!'' verwun¬
dete die einschreitenden Gensdarmen und konnte nur durch Aufbieten militä¬
rischer Kräfte zur Ruhe gebracht werden. Solche Erscheinungen stimmten
schlecht zu den officiellen Berichten des Moniteur und kennzeichneten besser
als alle democratischen Redensarten den militärischen Sinn der Franzosen
und ihren Beruf für die allgemeine Wehrpflicht.

Fast gleichzeitig begegnete auch die Contingentvorlage, welche am
4. März zur Berathung kam, im gesetzgebenden Körper lebhafter Opposition.
Der Forderung der Regierung- 100,000 Mann zu bewilligen, stellte Picard
den Antrag entgegen, nur 80,000 zu gewähren; er drang indessen nicht durch,
und der Gesetzentwurf wurde am 9. März mit 230 gegen 12 Stimmen an¬
genommen.



*) Die Ernennung der Offiziere blieb dem Kaiser, die der Unteroffiziere dem Kriegsmini¬
sterium vorbehalten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/150>, abgerufen am 22.07.2024.