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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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mais für das Königreich Preußen! Wir verfolgen Simson's academische
und amtliche Laufbahn hier gleich zu Ende, um im Folgenden "seine
öffentliche Thätigkeit ungestört darstellen zu können. Seine Berufscarriere
ist um so kürzer zu fassen, als seine academische Wirksamkeit, welche mit
Abschluß seiner eigentlichen Studien von Haus aus bestimmt war, sein
hauptsächlicher Lebensberuf zu werden, doch mehr und mehr vor seiner amt¬
lichen richterlichen Thätigkeit in den Hintergrund getreten ist. Wesentlich
seiner akademischen Lehrthätigkeit -- wenn auch nicht minder seinen richter¬
lichen Functionen zu Liebe -- trat er 1847 eine längere Reise nach England
an, um die dortigen Geschworenen und Friedensgerichte gründlich kennen zu
lernen. Und dann hat er noch einmal nach dem Scheitern des Verfassungs¬
werkes des Frankfurter und Erfurter Parlamentes und dem Hereinbrechen
der schlimmsten Reaction in Preußen, im Jahre 1852, die directe Berührung
mit der academischen Jugend als Lehrer der Hochschule zu Königsberg freu¬
dig und ernst gesucht, bis das Jahr 1860 durch seine Versetzung an das Apel-
lationsgericht zu Frankfurt an der Oder seinen academischen Vorlesungen dau¬
ernd ein Ende bereitete.

Daß Simson allmählig seine richterliche Stellung als seinen Hauptberuf zu
betrachten gewöhnt wurde, war wol weniger Sache freier Wahl, als der Macht
der öffentlichen Verhältnisse; am wenigsten etwa die Folge einer Verminderung
wissenschaftlicher Strenge gegen sich selbst oder verringerten Forschungseifers.
Im Gegentheil, keine Zeit wohl hat gerade der practischen Anwendung mo¬
derner Rechtswissenschaft so sehr bedurft, und ihr soviel zu danken, als die
vierziger und fünfziger Jahre in Preußen. Aber man wird begreifen, daß
das hohe Gefühl von Verantwortlichkeit und Selbststrenge, welches Simson
bei allen seinen öffentlichen Functionen ausgezeichnet hat, ihm auf die Dauer
immer dringender die Frage vorführen mußte, ob er bei der monatelangen
Abwesenheit vom Sitze der alma, nadei- zu Königsberg in Folge seiner zahl¬
reichen politischen Pflichten auch seinen Hörern ein nützlicher Lehrer, seinen
Collegen ein in wissenschaftlicher Weiterbildung ebenmäßig fortschreitender
College sein könne. Und diese Frage hat seine Bescheidenheit verneint. So
entsagte er denn, als er als Vicepräsident des Apellationsgerichtes nach Frank¬
furt a. O. versetzt wurde, seinem academischen Wirken gänzlich. Am 30. Ja¬
nuar 1869 ward er zum ersten Präsidenten dieses Gerichtshofes ernannt und
steht noch heute in dieser Stellung.

Von dem Augenblicke an, wo sich Simson den öffentlichen Angele¬
genheiten zuwandte, hat seine politische Laufbahn die Erfolge und die
Schnelligkeit seiner Carriere als Beamter noch überflügelt. Wie sehr viele
der Männer, welche das Jahr 1848 scheinbar plötzlich berühmt machte, hatte
Simson bis dahin nur auf dem bescheidenen Schauplatz seiner Vaterstadt, in


mais für das Königreich Preußen! Wir verfolgen Simson's academische
und amtliche Laufbahn hier gleich zu Ende, um im Folgenden "seine
öffentliche Thätigkeit ungestört darstellen zu können. Seine Berufscarriere
ist um so kürzer zu fassen, als seine academische Wirksamkeit, welche mit
Abschluß seiner eigentlichen Studien von Haus aus bestimmt war, sein
hauptsächlicher Lebensberuf zu werden, doch mehr und mehr vor seiner amt¬
lichen richterlichen Thätigkeit in den Hintergrund getreten ist. Wesentlich
seiner akademischen Lehrthätigkeit — wenn auch nicht minder seinen richter¬
lichen Functionen zu Liebe — trat er 1847 eine längere Reise nach England
an, um die dortigen Geschworenen und Friedensgerichte gründlich kennen zu
lernen. Und dann hat er noch einmal nach dem Scheitern des Verfassungs¬
werkes des Frankfurter und Erfurter Parlamentes und dem Hereinbrechen
der schlimmsten Reaction in Preußen, im Jahre 1852, die directe Berührung
mit der academischen Jugend als Lehrer der Hochschule zu Königsberg freu¬
dig und ernst gesucht, bis das Jahr 1860 durch seine Versetzung an das Apel-
lationsgericht zu Frankfurt an der Oder seinen academischen Vorlesungen dau¬
ernd ein Ende bereitete.

Daß Simson allmählig seine richterliche Stellung als seinen Hauptberuf zu
betrachten gewöhnt wurde, war wol weniger Sache freier Wahl, als der Macht
der öffentlichen Verhältnisse; am wenigsten etwa die Folge einer Verminderung
wissenschaftlicher Strenge gegen sich selbst oder verringerten Forschungseifers.
Im Gegentheil, keine Zeit wohl hat gerade der practischen Anwendung mo¬
derner Rechtswissenschaft so sehr bedurft, und ihr soviel zu danken, als die
vierziger und fünfziger Jahre in Preußen. Aber man wird begreifen, daß
das hohe Gefühl von Verantwortlichkeit und Selbststrenge, welches Simson
bei allen seinen öffentlichen Functionen ausgezeichnet hat, ihm auf die Dauer
immer dringender die Frage vorführen mußte, ob er bei der monatelangen
Abwesenheit vom Sitze der alma, nadei- zu Königsberg in Folge seiner zahl¬
reichen politischen Pflichten auch seinen Hörern ein nützlicher Lehrer, seinen
Collegen ein in wissenschaftlicher Weiterbildung ebenmäßig fortschreitender
College sein könne. Und diese Frage hat seine Bescheidenheit verneint. So
entsagte er denn, als er als Vicepräsident des Apellationsgerichtes nach Frank¬
furt a. O. versetzt wurde, seinem academischen Wirken gänzlich. Am 30. Ja¬
nuar 1869 ward er zum ersten Präsidenten dieses Gerichtshofes ernannt und
steht noch heute in dieser Stellung.

Von dem Augenblicke an, wo sich Simson den öffentlichen Angele¬
genheiten zuwandte, hat seine politische Laufbahn die Erfolge und die
Schnelligkeit seiner Carriere als Beamter noch überflügelt. Wie sehr viele
der Männer, welche das Jahr 1848 scheinbar plötzlich berühmt machte, hatte
Simson bis dahin nur auf dem bescheidenen Schauplatz seiner Vaterstadt, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/15>, abgerufen am 04.07.2024.