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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Kinder zu Soldaten genommen werden^ könnten, ein j Ende machen!"^) --
Einstimmig hoben die Bittschriften hervor, daß Frankreich keine Angriffs-,
sondern nur Vertheidigungskriege zu führen habe; es werde aber von keiner
Seite bedroht, folglich bedürfe es keiner Heeresreform.

Groß und tiefgehend war die Agitation namentlich auch in der Lite¬
ratur.") Seur wenige der bedeutendsten Schriften können wir aus der außer¬
ordentlichen Menge Herausheben. -- Direct für den Regierungsentwürf trat
M. Paixhans auf, der, obgleich Mitglied des Staatsrathes, in höchst ober¬
flächlicher Weise für den Gedanken schwärmt, daß Frankreich die Extreme des
englischen Söldnerwesens und der preußischen allgemeinen Wehrpflicht durch
die neue Heeresverfassung vereinigen solle. Er begeistert sich gleichermaßen
für die Eroneration, die Prämien und die Berufssoldaten wie für die flüchtig
ausgebildeten Krümper, zu deren Gunsten er auf die Volontairs von 92, die
It!v6k <ZU die Guerillas von 1810 und die preußische Armee von 1813
verweist, offenbar "hre Kenntniß von all diesen Dingen. Gegenüber dem
Regierungsentwurf wünscht er übrigens Herabsetzung der activen Dienstzeit
von ä auf 3 Jahr und provincielle Recrutirung. -- Weit entfernt, von den
Preußen etwas lernen zu wollen, ist General Eh an garnier, der ebenfalls
zu dieser Zeit in die Schranken der Publizistik hinabstieg. Er verwirft sowohl
die Eroneration als das Krümperwesen und findet in cousequenter Durch¬
führung des Gesetzes von 1832 das Heil. -- Derselben Meinung ist natür¬
lich auch der Herzog von Aumale, dessen interessante, bei dieser Gelegenheit
erschienene Schrift wir so oft citirt haben. Das bedeutendste und gewaltig
durchschlagende Wort sprach aber der General Tro es u mit seinem berühmten
Buche: "I/unuvv t'ran<M8e en 1867". Dieser Cyclus von Monographien,
welcher ungeheures Aufsehn machte, saßt sowohl die kantischen und psychologi¬
schen, als die organisatorischen Seiten des französischen Heerwesens ins Auge
und unterzieht sie einer ebenso wahrheitsbegierigen als scharfen Kritik. Sein
Urtheil über das Exonerations- und Dotationsgesetz von 1855 haben wir
bereits angeführt. Da er überzeugt ist, daß man das bessere preußische
System nicht durchsetzen werde, verlangt er unter Verminderung der Zahl
der Berufssoldaten eine möglichste Erschöpfung des Jahrescontingentes,
üjährige Dienstzeit bei der Fahne, 3jährige bei der Reserve. Indeß nicht die
Anschwellung der Massen scheint ihm die Hauptsache zu sein, sondern eine
gute Reserve, tüchtige und zahlreiche Cadres, welche dieselbe aufnehmen können,
vollkommene Bereitstellung guten und reichlichen Kriegsmaterials und sorg-




') Ghillany: Europäische Chronik. UI. Band. Leipzig 18V7.
") Eine Zusammenstellung des Hauptinhalts dieser Literatur gibt das Werk von F. Tr en cu-
preus: "Die französische Armee und ihre Reform." Berlin. 18V7.
Grenzvoten IV. 1872. 18

Kinder zu Soldaten genommen werden^ könnten, ein j Ende machen!"^) —
Einstimmig hoben die Bittschriften hervor, daß Frankreich keine Angriffs-,
sondern nur Vertheidigungskriege zu führen habe; es werde aber von keiner
Seite bedroht, folglich bedürfe es keiner Heeresreform.

Groß und tiefgehend war die Agitation namentlich auch in der Lite¬
ratur.") Seur wenige der bedeutendsten Schriften können wir aus der außer¬
ordentlichen Menge Herausheben. — Direct für den Regierungsentwürf trat
M. Paixhans auf, der, obgleich Mitglied des Staatsrathes, in höchst ober¬
flächlicher Weise für den Gedanken schwärmt, daß Frankreich die Extreme des
englischen Söldnerwesens und der preußischen allgemeinen Wehrpflicht durch
die neue Heeresverfassung vereinigen solle. Er begeistert sich gleichermaßen
für die Eroneration, die Prämien und die Berufssoldaten wie für die flüchtig
ausgebildeten Krümper, zu deren Gunsten er auf die Volontairs von 92, die
It!v6k <ZU die Guerillas von 1810 und die preußische Armee von 1813
verweist, offenbar »hre Kenntniß von all diesen Dingen. Gegenüber dem
Regierungsentwurf wünscht er übrigens Herabsetzung der activen Dienstzeit
von ä auf 3 Jahr und provincielle Recrutirung. — Weit entfernt, von den
Preußen etwas lernen zu wollen, ist General Eh an garnier, der ebenfalls
zu dieser Zeit in die Schranken der Publizistik hinabstieg. Er verwirft sowohl
die Eroneration als das Krümperwesen und findet in cousequenter Durch¬
führung des Gesetzes von 1832 das Heil. — Derselben Meinung ist natür¬
lich auch der Herzog von Aumale, dessen interessante, bei dieser Gelegenheit
erschienene Schrift wir so oft citirt haben. Das bedeutendste und gewaltig
durchschlagende Wort sprach aber der General Tro es u mit seinem berühmten
Buche: „I/unuvv t'ran<M8e en 1867". Dieser Cyclus von Monographien,
welcher ungeheures Aufsehn machte, saßt sowohl die kantischen und psychologi¬
schen, als die organisatorischen Seiten des französischen Heerwesens ins Auge
und unterzieht sie einer ebenso wahrheitsbegierigen als scharfen Kritik. Sein
Urtheil über das Exonerations- und Dotationsgesetz von 1855 haben wir
bereits angeführt. Da er überzeugt ist, daß man das bessere preußische
System nicht durchsetzen werde, verlangt er unter Verminderung der Zahl
der Berufssoldaten eine möglichste Erschöpfung des Jahrescontingentes,
üjährige Dienstzeit bei der Fahne, 3jährige bei der Reserve. Indeß nicht die
Anschwellung der Massen scheint ihm die Hauptsache zu sein, sondern eine
gute Reserve, tüchtige und zahlreiche Cadres, welche dieselbe aufnehmen können,
vollkommene Bereitstellung guten und reichlichen Kriegsmaterials und sorg-




') Ghillany: Europäische Chronik. UI. Band. Leipzig 18V7.
") Eine Zusammenstellung des Hauptinhalts dieser Literatur gibt das Werk von F. Tr en cu-
preus: „Die französische Armee und ihre Reform." Berlin. 18V7.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/145>, abgerufen am 25.07.2024.