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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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das Bekanntwerden des Niet'schen Entwurfs und illustrirte dieZmilitärischen
und kriegerischen Neigungen der Franzosen in eigenthümlicher Weise. Es
erhob sich ein allgemeiner Sturm gegen das Project, welchem die erschreckte
Regierung eilig wich, so daß es in seiner ursprünglichen Form gar nicht zur
Vorlage im gesetzgebenden Körper kam, sondern von vornherein wesentlich
amendirt und abgeschwächt wurde. Diejenigen Leute, welche nicht zum stehen¬
den Heere ausgehoben wurden, sollten, diesen tiefgreifenden Veränderungen
zufolge, nicht mehr zur Reserve, sondern unmittelbar zur Mobil¬
garde designirt werden, welche letztere somit nicht, wie eigentlich beabsichtigt
war, aus Reserven und ausgedienter Soldaten, sondern aus den nicht ein¬
gezogenen und den losgekauften Mannschaften bestehen sollte, so daß sie ge¬
wissermaßen an die Stelle der Reserve des ursprünglichen Planes trat, ohne
jedoch im Stande zu sein, zur Verstärkung der Feldarmee verwendet werden
zu können. Der Hauptzweck des Projects: Schöpfung einer starken Re¬
serve, war damit natürlich fallen gelassen. Außerdem wurde das Maß der
Eremptionen vom Dienst in der Mobilgarde bedeutend erweitert, die Eintheilung
der Reserve in zwei Aufgebote aufgegeben und die gesammte Reserve in die
Kategorie des beabsichtigten ssoonä bau gestellt, der nur im Fall eines Krieges,
nachdem alle vorhergehenden Klassen völlig erschöpft sind, auf Grund eines
besonderen Gesetzes einberufen werden, im Frieden aber wie bisher als cleu-
xi(!ins xortiou des Ersatzes nur flüchtig auserercirt werden darf.

Der Widerstand der Bourgeoisie gegen den von der
Regierung gemachten Anlauf zur Vorbereitung allgemeiner
Wehrpflicht drang also siegreich durch. Die Zusammensetzung des stehen¬
den Heeres blieb im Wesentlichen die alte; nur daß die bisher faktische Ver¬
kürzung der Präsenzzeit von 7 aus 5 Jahre gesetzlicher Regelung unterworfen
und die Gesammtdienstpflicht von 7 auf 9 Jahre verlängert wurde. Der
Traum des Marschalls Niet, Frankreich mit einem Heer von 1,232,000 Mann
auszustatten, scheiterte an der Abneigung der Franzosen gegen den persön¬
lichen Waffendienst. Es ist ihnen theuer zu stehn gekommen!

Am 7. März 1867 legte die Regierung dem gesetzgebenden Körper den
Entwurf über eine neue Organisation der Armee und die Ein¬
führung einer mobilen Nationalgarde vor. Sie forderte:

1- Daß die ganze Klasse jedes JahreS (abgesehen von den gesetzlich Befreiten) auch
wirklich zur Disposition der Regierung gestellt werde. DaS waren jährlich 150,000
Mann.
2. Daß diese ganze Klasse jährlich durch Losung in zwei Theile 'getheilt werde, von
denen einer in die active Armee einträte, während der andere einen Theil der Reserve
bilde.

das Bekanntwerden des Niet'schen Entwurfs und illustrirte dieZmilitärischen
und kriegerischen Neigungen der Franzosen in eigenthümlicher Weise. Es
erhob sich ein allgemeiner Sturm gegen das Project, welchem die erschreckte
Regierung eilig wich, so daß es in seiner ursprünglichen Form gar nicht zur
Vorlage im gesetzgebenden Körper kam, sondern von vornherein wesentlich
amendirt und abgeschwächt wurde. Diejenigen Leute, welche nicht zum stehen¬
den Heere ausgehoben wurden, sollten, diesen tiefgreifenden Veränderungen
zufolge, nicht mehr zur Reserve, sondern unmittelbar zur Mobil¬
garde designirt werden, welche letztere somit nicht, wie eigentlich beabsichtigt
war, aus Reserven und ausgedienter Soldaten, sondern aus den nicht ein¬
gezogenen und den losgekauften Mannschaften bestehen sollte, so daß sie ge¬
wissermaßen an die Stelle der Reserve des ursprünglichen Planes trat, ohne
jedoch im Stande zu sein, zur Verstärkung der Feldarmee verwendet werden
zu können. Der Hauptzweck des Projects: Schöpfung einer starken Re¬
serve, war damit natürlich fallen gelassen. Außerdem wurde das Maß der
Eremptionen vom Dienst in der Mobilgarde bedeutend erweitert, die Eintheilung
der Reserve in zwei Aufgebote aufgegeben und die gesammte Reserve in die
Kategorie des beabsichtigten ssoonä bau gestellt, der nur im Fall eines Krieges,
nachdem alle vorhergehenden Klassen völlig erschöpft sind, auf Grund eines
besonderen Gesetzes einberufen werden, im Frieden aber wie bisher als cleu-
xi(!ins xortiou des Ersatzes nur flüchtig auserercirt werden darf.

Der Widerstand der Bourgeoisie gegen den von der
Regierung gemachten Anlauf zur Vorbereitung allgemeiner
Wehrpflicht drang also siegreich durch. Die Zusammensetzung des stehen¬
den Heeres blieb im Wesentlichen die alte; nur daß die bisher faktische Ver¬
kürzung der Präsenzzeit von 7 aus 5 Jahre gesetzlicher Regelung unterworfen
und die Gesammtdienstpflicht von 7 auf 9 Jahre verlängert wurde. Der
Traum des Marschalls Niet, Frankreich mit einem Heer von 1,232,000 Mann
auszustatten, scheiterte an der Abneigung der Franzosen gegen den persön¬
lichen Waffendienst. Es ist ihnen theuer zu stehn gekommen!

Am 7. März 1867 legte die Regierung dem gesetzgebenden Körper den
Entwurf über eine neue Organisation der Armee und die Ein¬
führung einer mobilen Nationalgarde vor. Sie forderte:

1- Daß die ganze Klasse jedes JahreS (abgesehen von den gesetzlich Befreiten) auch
wirklich zur Disposition der Regierung gestellt werde. DaS waren jährlich 150,000
Mann.
2. Daß diese ganze Klasse jährlich durch Losung in zwei Theile 'getheilt werde, von
denen einer in die active Armee einträte, während der andere einen Theil der Reserve
bilde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/143>, abgerufen am 04.07.2024.