Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

reit zu sein, irgend etwas zu versuchen: die Besprechungen, die er im Sommer
1845 am Rheine mit Metternich hatte, todtsten aber das Project, noch ehe
es geboren. Hin und her wurde gerathschlagt; Rußland, Oesterreich und
auch England redeten hinein: Bunsen's Aufzeichnungen lassen uns in das
Gewirr der Meinungen hineinsehen und wenigstens einen Theil der Motive
des Königs erkennen. Wir meinen, wer hier aufmerksam dem leider lücken¬
haften Materials folgt, kann die theoretische Einsicht Bunsen's in das, was
damals schon nothwendig geworden, nur anerkennen, wir begrüßen auch
mit Bunsen den Vereinigten Landtag von 1847 als einen wesentlichen Fort¬
schritt, als den Anfang einer wirklichen Verfassung für Preußen. Zu praktischer
Thätigkeit hierbei wurde er gar nicht aufgefordert, -- desto dringender er¬
wünscht wurde sein Auftreten 1848 in Preußen und Deutschland.

Wenn wir heute die Vorgänge, die Tendenzen, die Thaten und Ent¬
würfe jenes Jahres beurtheilen, verfallen wir nur zu leicht in den Fehler,
vom Boden des heute Erreichten aus einen unbilligen Maßstab an Diejenigen
anzulegen, welche die Lehrzeit 1818 bis 1866 noch nicht durchgemacht hatten.
Nicht schwer ist es das Unpractische und Verfehlte, das Unreife und Unreale
in dem Thun der besten Patrioten jener Zeit aufzuweisen. Wer Nutzen von
der Betrachtung jener Geschichte haben will, darf diese Kritik nicht unter¬
lassen. Aber es gilt bei dieser sachlichen Kritik doch ein Doppeltes nicht zu
verbergen oder zu gering anzuschlagen: einmal, jene unpractische Richtung
der deutschen Einheitsbewegung war ganz allgemein mit nur sehr sporadischen
und momentanen Ausnahmen verbreitet, gerade bei den tüchtigsten und ehren-
werthesten nationalen deutschen Politikern; und daneben war doch ein sehr
gewichtiges zweites Moment der Störung oder Hemmung der Mangel an
aufrichtiger Theilnahme, welche die Einheitsbewegung in den maßgebenden
Kreisen Berlins gefunden hat. Wir würden die Letzten sein, zu leugnen, daß
die revolutionäre Bewegung den damaligen König von Preußen in seinen
tiefsten Ueberzeugungen und festgewurzeltsten Gefühlen heftig verletzte und
vielfach verletzen mußte. Nichtsdestoweniger können wir bei gewissenhafter
Erwägung von Personen und Zuständen die Möglichkeit nicht für ganz un¬
denkbar erklären, daß eine energische, aufrichtige und ihres Zieles sichere Lei¬
tung der Bewegung durch die officielle Negierung von Preußen auch zu
einem befriedigenden Resultate hätte hinführen können. Das größte Hinder¬
niß war und blieb der Character des Königs. Eine der peinlichsten und un¬
sichersten Aufgaben wäre es immerhin gewesen, ihn so zu behandeln oder
zu führen, daß er in den Hafen deutscher Einheit die Deutschen eingeführt
hätte.

Welche Rolle Bunsen 1848 übernehmen würde, ergab sich wie von selbst.
Deutsche und liberale Gedanken hatte er ja oft schon seinen Freunden aus-


reit zu sein, irgend etwas zu versuchen: die Besprechungen, die er im Sommer
1845 am Rheine mit Metternich hatte, todtsten aber das Project, noch ehe
es geboren. Hin und her wurde gerathschlagt; Rußland, Oesterreich und
auch England redeten hinein: Bunsen's Aufzeichnungen lassen uns in das
Gewirr der Meinungen hineinsehen und wenigstens einen Theil der Motive
des Königs erkennen. Wir meinen, wer hier aufmerksam dem leider lücken¬
haften Materials folgt, kann die theoretische Einsicht Bunsen's in das, was
damals schon nothwendig geworden, nur anerkennen, wir begrüßen auch
mit Bunsen den Vereinigten Landtag von 1847 als einen wesentlichen Fort¬
schritt, als den Anfang einer wirklichen Verfassung für Preußen. Zu praktischer
Thätigkeit hierbei wurde er gar nicht aufgefordert, — desto dringender er¬
wünscht wurde sein Auftreten 1848 in Preußen und Deutschland.

Wenn wir heute die Vorgänge, die Tendenzen, die Thaten und Ent¬
würfe jenes Jahres beurtheilen, verfallen wir nur zu leicht in den Fehler,
vom Boden des heute Erreichten aus einen unbilligen Maßstab an Diejenigen
anzulegen, welche die Lehrzeit 1818 bis 1866 noch nicht durchgemacht hatten.
Nicht schwer ist es das Unpractische und Verfehlte, das Unreife und Unreale
in dem Thun der besten Patrioten jener Zeit aufzuweisen. Wer Nutzen von
der Betrachtung jener Geschichte haben will, darf diese Kritik nicht unter¬
lassen. Aber es gilt bei dieser sachlichen Kritik doch ein Doppeltes nicht zu
verbergen oder zu gering anzuschlagen: einmal, jene unpractische Richtung
der deutschen Einheitsbewegung war ganz allgemein mit nur sehr sporadischen
und momentanen Ausnahmen verbreitet, gerade bei den tüchtigsten und ehren-
werthesten nationalen deutschen Politikern; und daneben war doch ein sehr
gewichtiges zweites Moment der Störung oder Hemmung der Mangel an
aufrichtiger Theilnahme, welche die Einheitsbewegung in den maßgebenden
Kreisen Berlins gefunden hat. Wir würden die Letzten sein, zu leugnen, daß
die revolutionäre Bewegung den damaligen König von Preußen in seinen
tiefsten Ueberzeugungen und festgewurzeltsten Gefühlen heftig verletzte und
vielfach verletzen mußte. Nichtsdestoweniger können wir bei gewissenhafter
Erwägung von Personen und Zuständen die Möglichkeit nicht für ganz un¬
denkbar erklären, daß eine energische, aufrichtige und ihres Zieles sichere Lei¬
tung der Bewegung durch die officielle Negierung von Preußen auch zu
einem befriedigenden Resultate hätte hinführen können. Das größte Hinder¬
niß war und blieb der Character des Königs. Eine der peinlichsten und un¬
sichersten Aufgaben wäre es immerhin gewesen, ihn so zu behandeln oder
zu führen, daß er in den Hafen deutscher Einheit die Deutschen eingeführt
hätte.

Welche Rolle Bunsen 1848 übernehmen würde, ergab sich wie von selbst.
Deutsche und liberale Gedanken hatte er ja oft schon seinen Freunden aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128586"/>
            <p xml:id="ID_356" prev="#ID_355"> reit zu sein, irgend etwas zu versuchen: die Besprechungen, die er im Sommer<lb/>
1845 am Rheine mit Metternich hatte, todtsten aber das Project, noch ehe<lb/>
es geboren. Hin und her wurde gerathschlagt; Rußland, Oesterreich und<lb/>
auch England redeten hinein: Bunsen's Aufzeichnungen lassen uns in das<lb/>
Gewirr der Meinungen hineinsehen und wenigstens einen Theil der Motive<lb/>
des Königs erkennen. Wir meinen, wer hier aufmerksam dem leider lücken¬<lb/>
haften Materials folgt, kann die theoretische Einsicht Bunsen's in das, was<lb/>
damals schon nothwendig geworden, nur anerkennen, wir begrüßen auch<lb/>
mit Bunsen den Vereinigten Landtag von 1847 als einen wesentlichen Fort¬<lb/>
schritt, als den Anfang einer wirklichen Verfassung für Preußen. Zu praktischer<lb/>
Thätigkeit hierbei wurde er gar nicht aufgefordert, &#x2014; desto dringender er¬<lb/>
wünscht wurde sein Auftreten 1848 in Preußen und Deutschland.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_357"> Wenn wir heute die Vorgänge, die Tendenzen, die Thaten und Ent¬<lb/>
würfe jenes Jahres beurtheilen, verfallen wir nur zu leicht in den Fehler,<lb/>
vom Boden des heute Erreichten aus einen unbilligen Maßstab an Diejenigen<lb/>
anzulegen, welche die Lehrzeit 1818 bis 1866 noch nicht durchgemacht hatten.<lb/>
Nicht schwer ist es das Unpractische und Verfehlte, das Unreife und Unreale<lb/>
in dem Thun der besten Patrioten jener Zeit aufzuweisen. Wer Nutzen von<lb/>
der Betrachtung jener Geschichte haben will, darf diese Kritik nicht unter¬<lb/>
lassen. Aber es gilt bei dieser sachlichen Kritik doch ein Doppeltes nicht zu<lb/>
verbergen oder zu gering anzuschlagen: einmal, jene unpractische Richtung<lb/>
der deutschen Einheitsbewegung war ganz allgemein mit nur sehr sporadischen<lb/>
und momentanen Ausnahmen verbreitet, gerade bei den tüchtigsten und ehren-<lb/>
werthesten nationalen deutschen Politikern; und daneben war doch ein sehr<lb/>
gewichtiges zweites Moment der Störung oder Hemmung der Mangel an<lb/>
aufrichtiger Theilnahme, welche die Einheitsbewegung in den maßgebenden<lb/>
Kreisen Berlins gefunden hat. Wir würden die Letzten sein, zu leugnen, daß<lb/>
die revolutionäre Bewegung den damaligen König von Preußen in seinen<lb/>
tiefsten Ueberzeugungen und festgewurzeltsten Gefühlen heftig verletzte und<lb/>
vielfach verletzen mußte. Nichtsdestoweniger können wir bei gewissenhafter<lb/>
Erwägung von Personen und Zuständen die Möglichkeit nicht für ganz un¬<lb/>
denkbar erklären, daß eine energische, aufrichtige und ihres Zieles sichere Lei¬<lb/>
tung der Bewegung durch die officielle Negierung von Preußen auch zu<lb/>
einem befriedigenden Resultate hätte hinführen können. Das größte Hinder¬<lb/>
niß war und blieb der Character des Königs. Eine der peinlichsten und un¬<lb/>
sichersten Aufgaben wäre es immerhin gewesen, ihn so zu behandeln oder<lb/>
zu führen, daß er in den Hafen deutscher Einheit die Deutschen eingeführt<lb/>
hätte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_358" next="#ID_359"> Welche Rolle Bunsen 1848 übernehmen würde, ergab sich wie von selbst.<lb/>
Deutsche und liberale Gedanken hatte er ja oft schon seinen Freunden aus-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] reit zu sein, irgend etwas zu versuchen: die Besprechungen, die er im Sommer 1845 am Rheine mit Metternich hatte, todtsten aber das Project, noch ehe es geboren. Hin und her wurde gerathschlagt; Rußland, Oesterreich und auch England redeten hinein: Bunsen's Aufzeichnungen lassen uns in das Gewirr der Meinungen hineinsehen und wenigstens einen Theil der Motive des Königs erkennen. Wir meinen, wer hier aufmerksam dem leider lücken¬ haften Materials folgt, kann die theoretische Einsicht Bunsen's in das, was damals schon nothwendig geworden, nur anerkennen, wir begrüßen auch mit Bunsen den Vereinigten Landtag von 1847 als einen wesentlichen Fort¬ schritt, als den Anfang einer wirklichen Verfassung für Preußen. Zu praktischer Thätigkeit hierbei wurde er gar nicht aufgefordert, — desto dringender er¬ wünscht wurde sein Auftreten 1848 in Preußen und Deutschland. Wenn wir heute die Vorgänge, die Tendenzen, die Thaten und Ent¬ würfe jenes Jahres beurtheilen, verfallen wir nur zu leicht in den Fehler, vom Boden des heute Erreichten aus einen unbilligen Maßstab an Diejenigen anzulegen, welche die Lehrzeit 1818 bis 1866 noch nicht durchgemacht hatten. Nicht schwer ist es das Unpractische und Verfehlte, das Unreife und Unreale in dem Thun der besten Patrioten jener Zeit aufzuweisen. Wer Nutzen von der Betrachtung jener Geschichte haben will, darf diese Kritik nicht unter¬ lassen. Aber es gilt bei dieser sachlichen Kritik doch ein Doppeltes nicht zu verbergen oder zu gering anzuschlagen: einmal, jene unpractische Richtung der deutschen Einheitsbewegung war ganz allgemein mit nur sehr sporadischen und momentanen Ausnahmen verbreitet, gerade bei den tüchtigsten und ehren- werthesten nationalen deutschen Politikern; und daneben war doch ein sehr gewichtiges zweites Moment der Störung oder Hemmung der Mangel an aufrichtiger Theilnahme, welche die Einheitsbewegung in den maßgebenden Kreisen Berlins gefunden hat. Wir würden die Letzten sein, zu leugnen, daß die revolutionäre Bewegung den damaligen König von Preußen in seinen tiefsten Ueberzeugungen und festgewurzeltsten Gefühlen heftig verletzte und vielfach verletzen mußte. Nichtsdestoweniger können wir bei gewissenhafter Erwägung von Personen und Zuständen die Möglichkeit nicht für ganz un¬ denkbar erklären, daß eine energische, aufrichtige und ihres Zieles sichere Lei¬ tung der Bewegung durch die officielle Negierung von Preußen auch zu einem befriedigenden Resultate hätte hinführen können. Das größte Hinder¬ niß war und blieb der Character des Königs. Eine der peinlichsten und un¬ sichersten Aufgaben wäre es immerhin gewesen, ihn so zu behandeln oder zu führen, daß er in den Hafen deutscher Einheit die Deutschen eingeführt hätte. Welche Rolle Bunsen 1848 übernehmen würde, ergab sich wie von selbst. Deutsche und liberale Gedanken hatte er ja oft schon seinen Freunden aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/132
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/132>, abgerufen am 04.07.2024.