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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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freilich eine gewisse Gemeinschaft, die Superioritcit der Kirche über den Staat
ward von beiden gleichmäßig vertreten; nun aber ward die Aussicht auf den
Systemwechsel zum Zankapfel zwischen beiden. Die Gemäßigten (hinter denen
besonders der höhere Clerus steht) nahmen mit Vergnügen die Chancen eines
Gasserischen Cabinets an. ja man behauptet, daß ihre Anhänger bei Hose
diese Candidatur erst geschaffen hätten; den Extremen aber erschien sie von
Anfang an als eine Halbheit und sie wiesen deshalb jedes derartige Project
mit einer Schroffheit zurück, die an Cynismus grenzte.

Da die Krisis lange genug dauerte, so hatten beide Theile Gelegenheit,
ihre Meinungsverschiedenheit in gründlicher Weise an den Mann zu bringen
und den Riß unheilbar zu machen, der von Anfang an bestand.

Wir haben oben behauptet, daß die Verhältnisse, unter denen das neue
Ministerium seine Herrschaft antritt, entschieden geklärt und zum Theile sehr
günstig sind. Sie sind es deshalb, weil der Particularismus durch die jüngste
Krise entschieden an Terrain verloren hat und weil die klerikale Partei, die
ihnen gegenübersteht, wie nie vorher zerrissen ist. Schon vor geraumer Zeit
haben die historisch-politischen Blätter ihre Gesinnungsgenossen gewarnt, die
Macht der Katholiken doch nicht zu überschätzen, diese Warnung war niemals
mehr begründet, als eben jetzt in Bayern.

Was aber die Stellung des Ministeriums weiterhin sehr erleichtert, das
ist die kluge Art und Weise wie sich die nationale Partei und wie sich vor
Allem die preußische Regierung der ganzen Angelegenheit gegenüberstellte, in¬
dem die letztere auf jeden kategorischen Einfluß und die erstere auf jede heftige
Action verzichtete. Man wußte in jenem Lager wohl, daß die Vernunft um
so leichter siegt, je weniger man ihr Gewalt anthut. Die Aufgaben, welche
das neue Cabinet vor sich sieht, sind allerdings keine leichten und dasselbe be¬
darf wohl die Gunst der öffentlichen Meinung in hohem Maße; allein es
besitzt sie auch. Denn in letzter Reihe ist es doch nur das Product derselben,
wenigstens ist kein anderer sachlicher Grund ersichtlich, warum die Minister¬
liste Herrn v. Gaffer's, die bis auf das Justizportefeuille bereits complet war,
von Sr. Majestät nicht acceptirt ward. Benutze das gegenwärtige Ministe¬
rium die Hebel in kluger Weise, die ihm zur Verfügung stehen, so kann es
sich der klerikalen Chicanen, die ihm nicht erspart bleiben werden, ohne son¬
derliche Gefahr erwehren. Es wird vor Allem im Reiche einen unbedingten
und starken Rückhalt finden und seine Lage ist ja von vornherein dadurch ge¬
bessert, daß die Entscheidung der großen und capitalen Principienfragen dort
erfolgt, daß besonders der kirchenrechtliche Streit aus den Händen Bayerns
nach Berlin verlegt ward. Gerade in dieser Richtung hat der aufklärende
Geist der Zeit mehr als irgendwo anders gewirkt; denn die Situation, welche
die Regierung auf kirchlichem Gebiete heutzutage vorfindet, ist nicht mehr an-


freilich eine gewisse Gemeinschaft, die Superioritcit der Kirche über den Staat
ward von beiden gleichmäßig vertreten; nun aber ward die Aussicht auf den
Systemwechsel zum Zankapfel zwischen beiden. Die Gemäßigten (hinter denen
besonders der höhere Clerus steht) nahmen mit Vergnügen die Chancen eines
Gasserischen Cabinets an. ja man behauptet, daß ihre Anhänger bei Hose
diese Candidatur erst geschaffen hätten; den Extremen aber erschien sie von
Anfang an als eine Halbheit und sie wiesen deshalb jedes derartige Project
mit einer Schroffheit zurück, die an Cynismus grenzte.

Da die Krisis lange genug dauerte, so hatten beide Theile Gelegenheit,
ihre Meinungsverschiedenheit in gründlicher Weise an den Mann zu bringen
und den Riß unheilbar zu machen, der von Anfang an bestand.

Wir haben oben behauptet, daß die Verhältnisse, unter denen das neue
Ministerium seine Herrschaft antritt, entschieden geklärt und zum Theile sehr
günstig sind. Sie sind es deshalb, weil der Particularismus durch die jüngste
Krise entschieden an Terrain verloren hat und weil die klerikale Partei, die
ihnen gegenübersteht, wie nie vorher zerrissen ist. Schon vor geraumer Zeit
haben die historisch-politischen Blätter ihre Gesinnungsgenossen gewarnt, die
Macht der Katholiken doch nicht zu überschätzen, diese Warnung war niemals
mehr begründet, als eben jetzt in Bayern.

Was aber die Stellung des Ministeriums weiterhin sehr erleichtert, das
ist die kluge Art und Weise wie sich die nationale Partei und wie sich vor
Allem die preußische Regierung der ganzen Angelegenheit gegenüberstellte, in¬
dem die letztere auf jeden kategorischen Einfluß und die erstere auf jede heftige
Action verzichtete. Man wußte in jenem Lager wohl, daß die Vernunft um
so leichter siegt, je weniger man ihr Gewalt anthut. Die Aufgaben, welche
das neue Cabinet vor sich sieht, sind allerdings keine leichten und dasselbe be¬
darf wohl die Gunst der öffentlichen Meinung in hohem Maße; allein es
besitzt sie auch. Denn in letzter Reihe ist es doch nur das Product derselben,
wenigstens ist kein anderer sachlicher Grund ersichtlich, warum die Minister¬
liste Herrn v. Gaffer's, die bis auf das Justizportefeuille bereits complet war,
von Sr. Majestät nicht acceptirt ward. Benutze das gegenwärtige Ministe¬
rium die Hebel in kluger Weise, die ihm zur Verfügung stehen, so kann es
sich der klerikalen Chicanen, die ihm nicht erspart bleiben werden, ohne son¬
derliche Gefahr erwehren. Es wird vor Allem im Reiche einen unbedingten
und starken Rückhalt finden und seine Lage ist ja von vornherein dadurch ge¬
bessert, daß die Entscheidung der großen und capitalen Principienfragen dort
erfolgt, daß besonders der kirchenrechtliche Streit aus den Händen Bayerns
nach Berlin verlegt ward. Gerade in dieser Richtung hat der aufklärende
Geist der Zeit mehr als irgendwo anders gewirkt; denn die Situation, welche
die Regierung auf kirchlichem Gebiete heutzutage vorfindet, ist nicht mehr an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/124>, abgerufen am 04.07.2024.