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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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anderer als ein Gesinnungsgenosse der nationalen Partei zum Präsidium be¬
rufen werden könnte, ja viele gaben sich der Hoffnung hin, Hohenlohe selbst
würde sein früheres Portefeuille wieder erhalten, was freilich ohne eine theil¬
weise Erneuerung des gesammten Kabinets nicht möglich gewesen wäre.

Alle die übrigen Gerüchte, die in der Zwischenzeit verbreitet wurden,
entbehrten der Begründung und erst als dasjenige auftrat, welches man für
das allerunbegründetste halten wollte, da zeigte es sich, daß man diesmal vor
wirklichen Combinationen stehe. Die Verblüffung in München war co¬
lossal, sie war so groß, daß man noch nicht an die Sache glaubte, selbst als
Gaffer bereits nach Collegen suchte. Die Zeit, welche damit begann, ist
keine sehr würdige sür Bayern und bliebe besser aus den Annalen des Landes
gestrichen, ja selbst von ganz gemäßigter Seite erhoben sich Einwände gegen
diese Persönlichkeit und Warnungen gegen dies Princip. Denn die Thätig¬
keit, welche Herr von Gaffer bis dahin am Stuttgarter Hofe entfaltet hatte,
mochte ihm zwar bei den dortigen Particula-rihten, aber keineswegs in Bayern
Geltung verschaffen, wo der Unterschied der Ansprüche, die man an Cavaliere
und Minister stellt, noch sehr bedeutend ist. Auch diejenigen Persönlichkeiten,
auf welche Herr von Gaffer verfiel, um seine Liste zu ergänzen, vermochten
den Nimbus seiner Mission nicht'sonderlich zu erhöhen, ja sie schadeten der¬
selben fast ebenso als die zahlreichen Ablehnungen, die er erhielt. Nicht des¬
halb, weil man etwa die Integrität derselben bezweifelt hätte , sondern vor
allem darum, weil das Cabinet, das bisher lediglich einen particularistischen
Anstrich hatte, nun immerhin in ultramontane Färbung kam. Peinlicher
noch als die Lage an sich schon war, wurde sie durch die Thatsache, daß
während des August der deutsche Kronprinz in Bayern verweilte -- wir
brauchen das Bild nicht auszuführen, das sich hieraus ergab.

Selbstverständlich waren alle Augen aus die Lösung der bayerischen Kri¬
sis gerichtet, alle Blätter variirten das Thema und erschöpften sich in Com¬
binationen, die nur durch die Dreikaiserzusammenkunft eine erfreuliche Störung
erlitten. Bayern war auf derselben zwar durch einen seiner Prinzen ver¬
treten, aber daheim blieben die Verhältnisse noch immer beim Alten, d. h.
in jener Ungewißheit, die selbst für die Eingeweihten nicht zu durchdringen
war. Fest schien nur so viel, daß die Chancen der Gasserischen Liste sich täg¬
lich consolidirten, daß dieselbe zuletzt fünf Namen umfaßte, und daß das
Publicum den Scenenwechsel fast stündlich erwartete.

Aber ein Tag um den andern verstrich, der September ging schon zur
Neige, da traf die Kunde ein, daß alle Besorgnisse umsonst, daß alle Com¬
binationen vereitelt, daß Gaffer seiner Mission enthoben sei. Warum dieser
plötzliche Umschlag erfolgte, darüber freilich wußte Niemand etwas zu melden.
Die Sensation, die diese Kunde in München machte, war bedeutend, man


anderer als ein Gesinnungsgenosse der nationalen Partei zum Präsidium be¬
rufen werden könnte, ja viele gaben sich der Hoffnung hin, Hohenlohe selbst
würde sein früheres Portefeuille wieder erhalten, was freilich ohne eine theil¬
weise Erneuerung des gesammten Kabinets nicht möglich gewesen wäre.

Alle die übrigen Gerüchte, die in der Zwischenzeit verbreitet wurden,
entbehrten der Begründung und erst als dasjenige auftrat, welches man für
das allerunbegründetste halten wollte, da zeigte es sich, daß man diesmal vor
wirklichen Combinationen stehe. Die Verblüffung in München war co¬
lossal, sie war so groß, daß man noch nicht an die Sache glaubte, selbst als
Gaffer bereits nach Collegen suchte. Die Zeit, welche damit begann, ist
keine sehr würdige sür Bayern und bliebe besser aus den Annalen des Landes
gestrichen, ja selbst von ganz gemäßigter Seite erhoben sich Einwände gegen
diese Persönlichkeit und Warnungen gegen dies Princip. Denn die Thätig¬
keit, welche Herr von Gaffer bis dahin am Stuttgarter Hofe entfaltet hatte,
mochte ihm zwar bei den dortigen Particula-rihten, aber keineswegs in Bayern
Geltung verschaffen, wo der Unterschied der Ansprüche, die man an Cavaliere
und Minister stellt, noch sehr bedeutend ist. Auch diejenigen Persönlichkeiten,
auf welche Herr von Gaffer verfiel, um seine Liste zu ergänzen, vermochten
den Nimbus seiner Mission nicht'sonderlich zu erhöhen, ja sie schadeten der¬
selben fast ebenso als die zahlreichen Ablehnungen, die er erhielt. Nicht des¬
halb, weil man etwa die Integrität derselben bezweifelt hätte , sondern vor
allem darum, weil das Cabinet, das bisher lediglich einen particularistischen
Anstrich hatte, nun immerhin in ultramontane Färbung kam. Peinlicher
noch als die Lage an sich schon war, wurde sie durch die Thatsache, daß
während des August der deutsche Kronprinz in Bayern verweilte — wir
brauchen das Bild nicht auszuführen, das sich hieraus ergab.

Selbstverständlich waren alle Augen aus die Lösung der bayerischen Kri¬
sis gerichtet, alle Blätter variirten das Thema und erschöpften sich in Com¬
binationen, die nur durch die Dreikaiserzusammenkunft eine erfreuliche Störung
erlitten. Bayern war auf derselben zwar durch einen seiner Prinzen ver¬
treten, aber daheim blieben die Verhältnisse noch immer beim Alten, d. h.
in jener Ungewißheit, die selbst für die Eingeweihten nicht zu durchdringen
war. Fest schien nur so viel, daß die Chancen der Gasserischen Liste sich täg¬
lich consolidirten, daß dieselbe zuletzt fünf Namen umfaßte, und daß das
Publicum den Scenenwechsel fast stündlich erwartete.

Aber ein Tag um den andern verstrich, der September ging schon zur
Neige, da traf die Kunde ein, daß alle Besorgnisse umsonst, daß alle Com¬
binationen vereitelt, daß Gaffer seiner Mission enthoben sei. Warum dieser
plötzliche Umschlag erfolgte, darüber freilich wußte Niemand etwas zu melden.
Die Sensation, die diese Kunde in München machte, war bedeutend, man


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[0122] anderer als ein Gesinnungsgenosse der nationalen Partei zum Präsidium be¬ rufen werden könnte, ja viele gaben sich der Hoffnung hin, Hohenlohe selbst würde sein früheres Portefeuille wieder erhalten, was freilich ohne eine theil¬ weise Erneuerung des gesammten Kabinets nicht möglich gewesen wäre. Alle die übrigen Gerüchte, die in der Zwischenzeit verbreitet wurden, entbehrten der Begründung und erst als dasjenige auftrat, welches man für das allerunbegründetste halten wollte, da zeigte es sich, daß man diesmal vor wirklichen Combinationen stehe. Die Verblüffung in München war co¬ lossal, sie war so groß, daß man noch nicht an die Sache glaubte, selbst als Gaffer bereits nach Collegen suchte. Die Zeit, welche damit begann, ist keine sehr würdige sür Bayern und bliebe besser aus den Annalen des Landes gestrichen, ja selbst von ganz gemäßigter Seite erhoben sich Einwände gegen diese Persönlichkeit und Warnungen gegen dies Princip. Denn die Thätig¬ keit, welche Herr von Gaffer bis dahin am Stuttgarter Hofe entfaltet hatte, mochte ihm zwar bei den dortigen Particula-rihten, aber keineswegs in Bayern Geltung verschaffen, wo der Unterschied der Ansprüche, die man an Cavaliere und Minister stellt, noch sehr bedeutend ist. Auch diejenigen Persönlichkeiten, auf welche Herr von Gaffer verfiel, um seine Liste zu ergänzen, vermochten den Nimbus seiner Mission nicht'sonderlich zu erhöhen, ja sie schadeten der¬ selben fast ebenso als die zahlreichen Ablehnungen, die er erhielt. Nicht des¬ halb, weil man etwa die Integrität derselben bezweifelt hätte , sondern vor allem darum, weil das Cabinet, das bisher lediglich einen particularistischen Anstrich hatte, nun immerhin in ultramontane Färbung kam. Peinlicher noch als die Lage an sich schon war, wurde sie durch die Thatsache, daß während des August der deutsche Kronprinz in Bayern verweilte — wir brauchen das Bild nicht auszuführen, das sich hieraus ergab. Selbstverständlich waren alle Augen aus die Lösung der bayerischen Kri¬ sis gerichtet, alle Blätter variirten das Thema und erschöpften sich in Com¬ binationen, die nur durch die Dreikaiserzusammenkunft eine erfreuliche Störung erlitten. Bayern war auf derselben zwar durch einen seiner Prinzen ver¬ treten, aber daheim blieben die Verhältnisse noch immer beim Alten, d. h. in jener Ungewißheit, die selbst für die Eingeweihten nicht zu durchdringen war. Fest schien nur so viel, daß die Chancen der Gasserischen Liste sich täg¬ lich consolidirten, daß dieselbe zuletzt fünf Namen umfaßte, und daß das Publicum den Scenenwechsel fast stündlich erwartete. Aber ein Tag um den andern verstrich, der September ging schon zur Neige, da traf die Kunde ein, daß alle Besorgnisse umsonst, daß alle Com¬ binationen vereitelt, daß Gaffer seiner Mission enthoben sei. Warum dieser plötzliche Umschlag erfolgte, darüber freilich wußte Niemand etwas zu melden. Die Sensation, die diese Kunde in München machte, war bedeutend, man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/122>, abgerufen am 22.07.2024.