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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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von der Welt und deren Umgang, nur zu sehr geneigt sind, auf schlechte Ge¬
danken zu kommen.

Man will die Moralität, den innern Halt und die Disciplin der Truppen
verbessern, sagt Brunechasse, und hält das Lager für das passende Hülfsmittel
dafür. -- "Die Zügellosigkeiten des Lagerlebens indessen und der schädliche
Einfluß, welchen die Langeweile und der unausgesetzte Umgang mit den ver-
dorbensten Subjecten auf die Moralität der jungen Soldaten ausübt, werden
dazu wohl ebenso wenig beitragen, als das schlechte Beispiel, welches die
Truppen an ihren Officieren und selbst an Generalen stets vor Augen haben.
-- Entschließt man sich aber dazu, ähnliche Etablissements, wie die berüchtig¬
ten Locale Mourmelons bei den Lagern zu beseitigen, so werden die scheu߬
lichsten Verirrungen der Natur die Folge sein, wie sie in Afrika und in den
Bagnos vorkommen."

Die Disciplin wird nicht allein durch dies fortgesetzte Nebeneinanderleben
von Vorgesetzten und Untergebenen gelockert, sondern auch durch den bösen
Einfluß Einzelner im Lager weit mehr untergraben, als in der Garnison.*)
Das Lager ist der Heerd aller Complotte und Emeuten, und während es die
Truppen weder so abhärtet, wie man allgemein glaubt, und auch nicht da¬
zu beiträgt, sie nüchtern und wachsam zu machen, hat der Staat dadurch be¬
deutende Mehrausgaben.

Die Schäden der Lager werden jedoch in Frankreich, wenn nicht verkannt,
so doch ignorirt. Wieviel Unheil aber hat namentlich das Lager von Cha-
lons dem wahren militärischen Geiste Frankreichs bereitet! Wie richtig sind die
folgenden Betrachtungen eines patriotischen französischen Officiers: "Bei
Chalons, da hatten unsere jungen Officiere unter festen und comfortabeln
Zelten, bei stets ohne Mühe gesicherten Mahlzeiten, die falschen Ideen über
das Feldleben eingesogen. Da hatte die Intendanz die üppige Verpflegung
von Armeen gelernt, aber von unbeweglichen Armeen. -- Da hatten die
Schießübungen der Artillerie uns die Zuversicht auf die stets unbestrittene
Ueberlegenheit unserer Geschütze eingeimpft, da hatte die Cavallerie gelernt,
Neeognoseirungen mit Regimentern in Escadronsdistance auszuführen. -- Da
hatten die Generale gelernt, wöchentlich einmal zwischen zwei Mahlzeiten zu
siegen, da war Lorbeer und Ruhm von denjenigen leicht errungen, die die
Gunst dazu bestimmt hatte, große Männer zu werden, wenn an sie aus der



Die Strafen in den gemeinsamen Arrestlocalen des Lagers tragen nicht dazu bei, die
Einzelnen zu bessern, sie verlassen dieselben nur verstockter oder verdorbener. In" "Ale po-
ÜL0 ist eine rechte Brutstätte für die Jndiscivlin und den offenen Ungehorsam, so daß kein
Officier es wagt, ihn bei der Revision ohne militärische Begleitung zu betreten.

von der Welt und deren Umgang, nur zu sehr geneigt sind, auf schlechte Ge¬
danken zu kommen.

Man will die Moralität, den innern Halt und die Disciplin der Truppen
verbessern, sagt Brunechasse, und hält das Lager für das passende Hülfsmittel
dafür. — „Die Zügellosigkeiten des Lagerlebens indessen und der schädliche
Einfluß, welchen die Langeweile und der unausgesetzte Umgang mit den ver-
dorbensten Subjecten auf die Moralität der jungen Soldaten ausübt, werden
dazu wohl ebenso wenig beitragen, als das schlechte Beispiel, welches die
Truppen an ihren Officieren und selbst an Generalen stets vor Augen haben.
— Entschließt man sich aber dazu, ähnliche Etablissements, wie die berüchtig¬
ten Locale Mourmelons bei den Lagern zu beseitigen, so werden die scheu߬
lichsten Verirrungen der Natur die Folge sein, wie sie in Afrika und in den
Bagnos vorkommen."

Die Disciplin wird nicht allein durch dies fortgesetzte Nebeneinanderleben
von Vorgesetzten und Untergebenen gelockert, sondern auch durch den bösen
Einfluß Einzelner im Lager weit mehr untergraben, als in der Garnison.*)
Das Lager ist der Heerd aller Complotte und Emeuten, und während es die
Truppen weder so abhärtet, wie man allgemein glaubt, und auch nicht da¬
zu beiträgt, sie nüchtern und wachsam zu machen, hat der Staat dadurch be¬
deutende Mehrausgaben.

Die Schäden der Lager werden jedoch in Frankreich, wenn nicht verkannt,
so doch ignorirt. Wieviel Unheil aber hat namentlich das Lager von Cha-
lons dem wahren militärischen Geiste Frankreichs bereitet! Wie richtig sind die
folgenden Betrachtungen eines patriotischen französischen Officiers: „Bei
Chalons, da hatten unsere jungen Officiere unter festen und comfortabeln
Zelten, bei stets ohne Mühe gesicherten Mahlzeiten, die falschen Ideen über
das Feldleben eingesogen. Da hatte die Intendanz die üppige Verpflegung
von Armeen gelernt, aber von unbeweglichen Armeen. — Da hatten die
Schießübungen der Artillerie uns die Zuversicht auf die stets unbestrittene
Ueberlegenheit unserer Geschütze eingeimpft, da hatte die Cavallerie gelernt,
Neeognoseirungen mit Regimentern in Escadronsdistance auszuführen. — Da
hatten die Generale gelernt, wöchentlich einmal zwischen zwei Mahlzeiten zu
siegen, da war Lorbeer und Ruhm von denjenigen leicht errungen, die die
Gunst dazu bestimmt hatte, große Männer zu werden, wenn an sie aus der



Die Strafen in den gemeinsamen Arrestlocalen des Lagers tragen nicht dazu bei, die
Einzelnen zu bessern, sie verlassen dieselben nur verstockter oder verdorbener. In» »Ale po-
ÜL0 ist eine rechte Brutstätte für die Jndiscivlin und den offenen Ungehorsam, so daß kein
Officier es wagt, ihn bei der Revision ohne militärische Begleitung zu betreten.
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[0111] von der Welt und deren Umgang, nur zu sehr geneigt sind, auf schlechte Ge¬ danken zu kommen. Man will die Moralität, den innern Halt und die Disciplin der Truppen verbessern, sagt Brunechasse, und hält das Lager für das passende Hülfsmittel dafür. — „Die Zügellosigkeiten des Lagerlebens indessen und der schädliche Einfluß, welchen die Langeweile und der unausgesetzte Umgang mit den ver- dorbensten Subjecten auf die Moralität der jungen Soldaten ausübt, werden dazu wohl ebenso wenig beitragen, als das schlechte Beispiel, welches die Truppen an ihren Officieren und selbst an Generalen stets vor Augen haben. — Entschließt man sich aber dazu, ähnliche Etablissements, wie die berüchtig¬ ten Locale Mourmelons bei den Lagern zu beseitigen, so werden die scheu߬ lichsten Verirrungen der Natur die Folge sein, wie sie in Afrika und in den Bagnos vorkommen." Die Disciplin wird nicht allein durch dies fortgesetzte Nebeneinanderleben von Vorgesetzten und Untergebenen gelockert, sondern auch durch den bösen Einfluß Einzelner im Lager weit mehr untergraben, als in der Garnison.*) Das Lager ist der Heerd aller Complotte und Emeuten, und während es die Truppen weder so abhärtet, wie man allgemein glaubt, und auch nicht da¬ zu beiträgt, sie nüchtern und wachsam zu machen, hat der Staat dadurch be¬ deutende Mehrausgaben. Die Schäden der Lager werden jedoch in Frankreich, wenn nicht verkannt, so doch ignorirt. Wieviel Unheil aber hat namentlich das Lager von Cha- lons dem wahren militärischen Geiste Frankreichs bereitet! Wie richtig sind die folgenden Betrachtungen eines patriotischen französischen Officiers: „Bei Chalons, da hatten unsere jungen Officiere unter festen und comfortabeln Zelten, bei stets ohne Mühe gesicherten Mahlzeiten, die falschen Ideen über das Feldleben eingesogen. Da hatte die Intendanz die üppige Verpflegung von Armeen gelernt, aber von unbeweglichen Armeen. — Da hatten die Schießübungen der Artillerie uns die Zuversicht auf die stets unbestrittene Ueberlegenheit unserer Geschütze eingeimpft, da hatte die Cavallerie gelernt, Neeognoseirungen mit Regimentern in Escadronsdistance auszuführen. — Da hatten die Generale gelernt, wöchentlich einmal zwischen zwei Mahlzeiten zu siegen, da war Lorbeer und Ruhm von denjenigen leicht errungen, die die Gunst dazu bestimmt hatte, große Männer zu werden, wenn an sie aus der Die Strafen in den gemeinsamen Arrestlocalen des Lagers tragen nicht dazu bei, die Einzelnen zu bessern, sie verlassen dieselben nur verstockter oder verdorbener. In» »Ale po- ÜL0 ist eine rechte Brutstätte für die Jndiscivlin und den offenen Ungehorsam, so daß kein Officier es wagt, ihn bei der Revision ohne militärische Begleitung zu betreten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/111>, abgerufen am 04.07.2024.