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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Reichs, die Tribüne des Reichstags, rein und unentweiht zu überliefern den
nachfolgenden Geschlechtern.

Das Leben Dr. Eduard Simson's wie seine natürlichen Anlagen haben
in gleichem Maße ihn zur Lösung dieser höchsten Aufgabe befähigt, welche
das deutsche Parlament an eines seiner Mitglieder zu vergeben hat. Wir
sind der lebhaften Theilnahme unserer Leser gewiß, wenn wir ihnen über dieses
Leben und diesen Charakter erzählen, was wir wissen.

Martin Eduard Simson ist den 10. November 1810 in Königsberg
geboren. Eine jener beglückten Naturen, deren Kindheit und Knabenjahre
von keiner drückenden Sorge verdunkelt sind, denen behagliche Verhältnisse,
hochgebildete Eltern und die öffentlichen Erziehungsmittel und Anregungen
einer bedeutenden Stadt, die zeitige und breite Entwickelung seltener Anlagen
gestatten, hat Eduard Simson, überaus früh gereift, die Schul- und Gymna¬
sialclassen seiner Vaterstadt zurückgelegt. Noch heute erzählt der gefeierte
Germanist Albrecht, einer der Götttnger Sieben, mit lebhafter Freude davon,
wie im Jahre 1826 der kaum sechszehnjährige Jüngling Simson. an der
Spitze der Abiturienten, aus dem Gymnasialleben scheidend, Lehrer und Schüler
und den großen geladenen Kreis der Hörer mit einer vollendeten griechischen
Ansprache begrüßte. Das rein griechische Profil des hochgewachsenen jungen
Mannes, das sonore milde Organ, und die klassische Form und Gedanken¬
richtung seiner durchaus selbstständigen Rede hinterließ den Zuhörern einen
tiefen Eindruck. Albrecht, der damals gleichfalls erst 25 Jahre zählte, jedoch
bereits seine berühmte Schrift über die "Gewere" geschrieben hatte, und in
Folge dessen bereits als Professor des deutschen Rechts und Staatsrechts nach
Königsberg berufen war, fesselte den talentvollen Studenten der Rechte Sun<
son wohl am meisten unter den damaligen Docenten Königsbergs und
zog den jungen Mann bereitwillig zu näherem vertraulicheren Umgang an
sich heran. Für beide Männer, zumal für Simson, ist der damalige Gedan¬
kenaustausch, der 22 Jahre später erneuert wurde, als Beide Mitglieder des
Frankfurter Parlaments waren, von unvergessenen Werthe und Eindruck
gewesen. Namentlich weiß Simson noch heute mit der ihm eigenen Innigkeit
und Herzlichkeit des Ausdrucks zu rühmen, welche tiefen Blicke in das ganze
Wesen des Rechts und der Rechtsentwickelung nicht nur, sondern in das
Wesen und die Methode höchster wissenschaftlicher Forschung überhaupt ihm
der verehrte Lehrer eröffnet habe. Die eigenthümliche Gedankenschärfe und
schneidende Kritik Albrecht's, seine wunderbare Fähigkeit in der methodischen
Construction der Rechtsideen und -Begriffe und dabei jene echt vornehme Ruhe
und Milde des Wesens, die nur dann einem lebhafteren Tempo wich, wenn
es galt, einen oberflächlichen Denker zu bekämpfen: das waren vielleicht gerade
diejenigen Eigenschaften, deren Simson's volle, warme Natur, die bis dahin


Reichs, die Tribüne des Reichstags, rein und unentweiht zu überliefern den
nachfolgenden Geschlechtern.

Das Leben Dr. Eduard Simson's wie seine natürlichen Anlagen haben
in gleichem Maße ihn zur Lösung dieser höchsten Aufgabe befähigt, welche
das deutsche Parlament an eines seiner Mitglieder zu vergeben hat. Wir
sind der lebhaften Theilnahme unserer Leser gewiß, wenn wir ihnen über dieses
Leben und diesen Charakter erzählen, was wir wissen.

Martin Eduard Simson ist den 10. November 1810 in Königsberg
geboren. Eine jener beglückten Naturen, deren Kindheit und Knabenjahre
von keiner drückenden Sorge verdunkelt sind, denen behagliche Verhältnisse,
hochgebildete Eltern und die öffentlichen Erziehungsmittel und Anregungen
einer bedeutenden Stadt, die zeitige und breite Entwickelung seltener Anlagen
gestatten, hat Eduard Simson, überaus früh gereift, die Schul- und Gymna¬
sialclassen seiner Vaterstadt zurückgelegt. Noch heute erzählt der gefeierte
Germanist Albrecht, einer der Götttnger Sieben, mit lebhafter Freude davon,
wie im Jahre 1826 der kaum sechszehnjährige Jüngling Simson. an der
Spitze der Abiturienten, aus dem Gymnasialleben scheidend, Lehrer und Schüler
und den großen geladenen Kreis der Hörer mit einer vollendeten griechischen
Ansprache begrüßte. Das rein griechische Profil des hochgewachsenen jungen
Mannes, das sonore milde Organ, und die klassische Form und Gedanken¬
richtung seiner durchaus selbstständigen Rede hinterließ den Zuhörern einen
tiefen Eindruck. Albrecht, der damals gleichfalls erst 25 Jahre zählte, jedoch
bereits seine berühmte Schrift über die „Gewere" geschrieben hatte, und in
Folge dessen bereits als Professor des deutschen Rechts und Staatsrechts nach
Königsberg berufen war, fesselte den talentvollen Studenten der Rechte Sun<
son wohl am meisten unter den damaligen Docenten Königsbergs und
zog den jungen Mann bereitwillig zu näherem vertraulicheren Umgang an
sich heran. Für beide Männer, zumal für Simson, ist der damalige Gedan¬
kenaustausch, der 22 Jahre später erneuert wurde, als Beide Mitglieder des
Frankfurter Parlaments waren, von unvergessenen Werthe und Eindruck
gewesen. Namentlich weiß Simson noch heute mit der ihm eigenen Innigkeit
und Herzlichkeit des Ausdrucks zu rühmen, welche tiefen Blicke in das ganze
Wesen des Rechts und der Rechtsentwickelung nicht nur, sondern in das
Wesen und die Methode höchster wissenschaftlicher Forschung überhaupt ihm
der verehrte Lehrer eröffnet habe. Die eigenthümliche Gedankenschärfe und
schneidende Kritik Albrecht's, seine wunderbare Fähigkeit in der methodischen
Construction der Rechtsideen und -Begriffe und dabei jene echt vornehme Ruhe
und Milde des Wesens, die nur dann einem lebhafteren Tempo wich, wenn
es galt, einen oberflächlichen Denker zu bekämpfen: das waren vielleicht gerade
diejenigen Eigenschaften, deren Simson's volle, warme Natur, die bis dahin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/11>, abgerufen am 04.07.2024.