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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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die andern Elemente bedeuten, die sonst hinzukommen? Da sind die Schüler
von Se. Chr, unter denen es ebensoviele unintelligente und faule Burschen
gibt, wie anderwärts auch; da sind Freiwillige, unverbesserliche Thunichtgute,
die irgend eine Protection in der Armee unterbrachte; da sind Polytechniker,
die daran verzweifelten, im Civildienst angestellt zu werden; und eine solche
Gesellschaft bildet das Officiercorps der Armee!" ...

Diese Schilderung ist hart, gewiß zu hart; aber sie ist außerordentlich
bezeichnend.

Das Avancement geschieht theils K I". tour, theils an elioix. Mit
dem letzteren Modus ist zu allen Zeiten in Frankreich ein frevelhafter Mi߬
brauch getrieben worden, der auch unter dem zweiten Kaiserreich in voller
Blüthe war. "Die höchsten Grade wurden verliehen, ohne an das Interesse
des Landes und seiner Vertheidigung zu denken. Der sehr begehrte Generals¬
rang wurde ehrgeizigen und unruhigen Personen ertheilt, um sie zu verlocken
und sie dem Kaiserreiche zuzuführen, ohne sich zu beunruhigen, ob die danach
Strebenden jene Eigenschaften besaßen, welche die Devise aller großen Heer¬
führer erheischt: Vir domus proeliaucll peritus, ein vortrefflicher Mann, der
zu kämpfen versteht."*) -- Den Avancements-Bestimmungen liegt noch immer
die Verordnung vom 16. März 1838 zu Grunde. Ziemlich eng gezogen sind
die Grenzen des Lebensalters, innerhalb deren Einer den nächst höheren
Grad erreichen kann. Nicht Sitte und Individualität, sondern das Gesetz
entscheidet dabei, und da jeder Officier sehr bald weiß, ob er in der Tour auf¬
rücken müsse, oder Aussicht auf raschere Beförderung habe, so ergeben sich schon
hierdurch zwei scharf unterschiedene Classen von Officieren innerhalb derselben
Charge, deren Interessen auseinandergehen. Wer sich früh sagen muß, daß
er unter allen Umständen, er möge so tüchtig sein, wie er wolle, für höhere
Chargen zu alt werde (und in diesem Falle sind fast alle ehemaligen Unter-
officiere), den beseelt gewiß selten feuriger Eifer. Die Folge ist eine allgemein
hervortretende Gleichgiltigkeit im Dienstbetriebe. -- Nur in ganz außerordent¬
lichen Fällen für glänzende Auszeichnung im Kriege oder bei dringendem Be¬
dürfnisse kann ein Grad übersprungen werden.

Die Verschiedenheit des Officiercorps übt nachtheiligen Einfluß auf das
Verhältniß der Untergebenen zu den Vorgesetzten und umgekehrt.
Wenn ein Hauptmann mit aller Bestimmtheit zum Voraus weiß, daß sein
Lieutenant dereinst über ihn hinweg zum Stabsofficier ausrückt, so kann das
dem Ton im Officiercorps nicht günstig sein. Zwischen den verschiedenen
Classen desselben herrscht daher meist eine Gereiztheit, die sich als beständige
Reibung im Dienstbetriebe fühlbar macht. Wenn die deutschen Officiere zu-



") llistoire I'arrnöo as vlMons Mr un volontairo. Kruxellss. 1872.

die andern Elemente bedeuten, die sonst hinzukommen? Da sind die Schüler
von Se. Chr, unter denen es ebensoviele unintelligente und faule Burschen
gibt, wie anderwärts auch; da sind Freiwillige, unverbesserliche Thunichtgute,
die irgend eine Protection in der Armee unterbrachte; da sind Polytechniker,
die daran verzweifelten, im Civildienst angestellt zu werden; und eine solche
Gesellschaft bildet das Officiercorps der Armee!" ...

Diese Schilderung ist hart, gewiß zu hart; aber sie ist außerordentlich
bezeichnend.

Das Avancement geschieht theils K I». tour, theils an elioix. Mit
dem letzteren Modus ist zu allen Zeiten in Frankreich ein frevelhafter Mi߬
brauch getrieben worden, der auch unter dem zweiten Kaiserreich in voller
Blüthe war. „Die höchsten Grade wurden verliehen, ohne an das Interesse
des Landes und seiner Vertheidigung zu denken. Der sehr begehrte Generals¬
rang wurde ehrgeizigen und unruhigen Personen ertheilt, um sie zu verlocken
und sie dem Kaiserreiche zuzuführen, ohne sich zu beunruhigen, ob die danach
Strebenden jene Eigenschaften besaßen, welche die Devise aller großen Heer¬
führer erheischt: Vir domus proeliaucll peritus, ein vortrefflicher Mann, der
zu kämpfen versteht."*) — Den Avancements-Bestimmungen liegt noch immer
die Verordnung vom 16. März 1838 zu Grunde. Ziemlich eng gezogen sind
die Grenzen des Lebensalters, innerhalb deren Einer den nächst höheren
Grad erreichen kann. Nicht Sitte und Individualität, sondern das Gesetz
entscheidet dabei, und da jeder Officier sehr bald weiß, ob er in der Tour auf¬
rücken müsse, oder Aussicht auf raschere Beförderung habe, so ergeben sich schon
hierdurch zwei scharf unterschiedene Classen von Officieren innerhalb derselben
Charge, deren Interessen auseinandergehen. Wer sich früh sagen muß, daß
er unter allen Umständen, er möge so tüchtig sein, wie er wolle, für höhere
Chargen zu alt werde (und in diesem Falle sind fast alle ehemaligen Unter-
officiere), den beseelt gewiß selten feuriger Eifer. Die Folge ist eine allgemein
hervortretende Gleichgiltigkeit im Dienstbetriebe. — Nur in ganz außerordent¬
lichen Fällen für glänzende Auszeichnung im Kriege oder bei dringendem Be¬
dürfnisse kann ein Grad übersprungen werden.

Die Verschiedenheit des Officiercorps übt nachtheiligen Einfluß auf das
Verhältniß der Untergebenen zu den Vorgesetzten und umgekehrt.
Wenn ein Hauptmann mit aller Bestimmtheit zum Voraus weiß, daß sein
Lieutenant dereinst über ihn hinweg zum Stabsofficier ausrückt, so kann das
dem Ton im Officiercorps nicht günstig sein. Zwischen den verschiedenen
Classen desselben herrscht daher meist eine Gereiztheit, die sich als beständige
Reibung im Dienstbetriebe fühlbar macht. Wenn die deutschen Officiere zu-



") llistoire I'arrnöo as vlMons Mr un volontairo. Kruxellss. 1872.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/106>, abgerufen am 22.07.2024.