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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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der Soldaten von der Civilbevölkerung wird eher begünstigt als verhindert,
und von blutigen Raufereien zwischen ihnen und den Arbeitern, wie solche
besonders in den größern Garnisonsstädten des Südens ziemlich häufig vor¬
kommen, nehmen die Militärbehörden selten viel Notiz und suchen die Schul¬
digen möglichst straflos durchkommen zu lassen.*)

Was das Verhältniß des Soldaten zu seinen Vorgesetzten
betrifft, so characterisirt es sich durch entschiedenen Mangel an Autoritäts¬
glauben. Französischerseits ist gerade dieser Zug oft in sehr rosigem Licht
betrachtet worden. Anfangs der sechsziger Jahre schrieb z. B. der Zpeewtour
militirii'L: "Der französische Soldat erblickt mit Ausnahme des Grades in
allen seinen Officieren, vom Unterlieutenant bis zuM Marschall, nur seines
Gleichen; er hat die klare und sichere Ueberzeugung, daß er denselben nur
in Hinsicht des Commandos nachsteht. Weder Erziehung, noch Bildung, noch
Geburt machen einen wesentlichen Unterschied zwischen ihnen. Das Gefühl'
der Gleichheit ist so stark, daß das Gefühl des Ich unter der absoluten Herr¬
schaft des Gesetzes, der Disciplin völlig verschwindet. Welchen Feinden könnten
solche Soldaten wol nachstehen? Welche menschliche Kraft vermöchte wol
Soldaten Widerstand zu leisten, die ihren Vorgesetzten gleich stehen, die alle
Helden sind!?"") Dieselbe Zeitschrift brachte an anderer Stelle***) eine den
französischen Zuständen sogar noch lebhafter zustimmende Besprechung desselben
Themas, die sich zugleich schroff ablehnend gegen preußisches Wesen richtete.
Da heißt es: "Die französische Armee ist die am meisten demokratische der
Welt: Muth, Arbeit, Kenntnisse führen unbedingt zu allen Graden; die Car¬
riere ist unbegrenzt. Seit langer Zeit hat der französische Soldat volle bür¬
gerliche Würde; er gehorcht ohne Widerstreben; denn vielleicht befiehlt er selbst
ja schon am folgenden Tag. Er und der Officier sind eines Stammes; herz¬
liche Vertraulichkeit mindert die Herbigkeit des Befehls. Der aus der Truppe
emporsteigende Mann wechselt nicht, so zu sagen, seine ganze Atmosphäre.
In Preußen dagegen ist das Avancement von Unterofsicieren lächerlich; hoch-
müthige Traditionen verdammen sie, isolirt zu vegetiren, wenn sie je zum
Epaulett gelangen. Unsere Soldaten sind die Gefährten ihrer Officiere, die
preußischen nur Fußschemel derselben." Dieser sanguinischen Anschauungsweise
stehen aber andere Urtheile schroff gegenüber. Schon Marschall Bugeaud
sagt, daß der französische Soldat Befehle in der Regel nur dann befolgt,





") Berichte in der Leipziger Zeitung vom October I8KZ.
°") Lonsiavrirtiou" <ze odsorv^lions sur lo nnzmoii-g militiürv: Eine militärische Denk¬
schrift von P. F. C. lEs ist dies eine olosstrtc Ueberhebung der liekmntcn Denkschrift des
Prinzen Friedrich Karl von Prcnszcn.)
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der Soldaten von der Civilbevölkerung wird eher begünstigt als verhindert,
und von blutigen Raufereien zwischen ihnen und den Arbeitern, wie solche
besonders in den größern Garnisonsstädten des Südens ziemlich häufig vor¬
kommen, nehmen die Militärbehörden selten viel Notiz und suchen die Schul¬
digen möglichst straflos durchkommen zu lassen.*)

Was das Verhältniß des Soldaten zu seinen Vorgesetzten
betrifft, so characterisirt es sich durch entschiedenen Mangel an Autoritäts¬
glauben. Französischerseits ist gerade dieser Zug oft in sehr rosigem Licht
betrachtet worden. Anfangs der sechsziger Jahre schrieb z. B. der Zpeewtour
militirii'L: »Der französische Soldat erblickt mit Ausnahme des Grades in
allen seinen Officieren, vom Unterlieutenant bis zuM Marschall, nur seines
Gleichen; er hat die klare und sichere Ueberzeugung, daß er denselben nur
in Hinsicht des Commandos nachsteht. Weder Erziehung, noch Bildung, noch
Geburt machen einen wesentlichen Unterschied zwischen ihnen. Das Gefühl'
der Gleichheit ist so stark, daß das Gefühl des Ich unter der absoluten Herr¬
schaft des Gesetzes, der Disciplin völlig verschwindet. Welchen Feinden könnten
solche Soldaten wol nachstehen? Welche menschliche Kraft vermöchte wol
Soldaten Widerstand zu leisten, die ihren Vorgesetzten gleich stehen, die alle
Helden sind!?"") Dieselbe Zeitschrift brachte an anderer Stelle***) eine den
französischen Zuständen sogar noch lebhafter zustimmende Besprechung desselben
Themas, die sich zugleich schroff ablehnend gegen preußisches Wesen richtete.
Da heißt es: „Die französische Armee ist die am meisten demokratische der
Welt: Muth, Arbeit, Kenntnisse führen unbedingt zu allen Graden; die Car¬
riere ist unbegrenzt. Seit langer Zeit hat der französische Soldat volle bür¬
gerliche Würde; er gehorcht ohne Widerstreben; denn vielleicht befiehlt er selbst
ja schon am folgenden Tag. Er und der Officier sind eines Stammes; herz¬
liche Vertraulichkeit mindert die Herbigkeit des Befehls. Der aus der Truppe
emporsteigende Mann wechselt nicht, so zu sagen, seine ganze Atmosphäre.
In Preußen dagegen ist das Avancement von Unterofsicieren lächerlich; hoch-
müthige Traditionen verdammen sie, isolirt zu vegetiren, wenn sie je zum
Epaulett gelangen. Unsere Soldaten sind die Gefährten ihrer Officiere, die
preußischen nur Fußschemel derselben." Dieser sanguinischen Anschauungsweise
stehen aber andere Urtheile schroff gegenüber. Schon Marschall Bugeaud
sagt, daß der französische Soldat Befehle in der Regel nur dann befolgt,





") Berichte in der Leipziger Zeitung vom October I8KZ.
°") Lonsiavrirtiou» <ze odsorv^lions sur lo nnzmoii-g militiürv: Eine militärische Denk¬
schrift von P. F. C. lEs ist dies eine olosstrtc Ueberhebung der liekmntcn Denkschrift des
Prinzen Friedrich Karl von Prcnszcn.)
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[0102] der Soldaten von der Civilbevölkerung wird eher begünstigt als verhindert, und von blutigen Raufereien zwischen ihnen und den Arbeitern, wie solche besonders in den größern Garnisonsstädten des Südens ziemlich häufig vor¬ kommen, nehmen die Militärbehörden selten viel Notiz und suchen die Schul¬ digen möglichst straflos durchkommen zu lassen.*) Was das Verhältniß des Soldaten zu seinen Vorgesetzten betrifft, so characterisirt es sich durch entschiedenen Mangel an Autoritäts¬ glauben. Französischerseits ist gerade dieser Zug oft in sehr rosigem Licht betrachtet worden. Anfangs der sechsziger Jahre schrieb z. B. der Zpeewtour militirii'L: »Der französische Soldat erblickt mit Ausnahme des Grades in allen seinen Officieren, vom Unterlieutenant bis zuM Marschall, nur seines Gleichen; er hat die klare und sichere Ueberzeugung, daß er denselben nur in Hinsicht des Commandos nachsteht. Weder Erziehung, noch Bildung, noch Geburt machen einen wesentlichen Unterschied zwischen ihnen. Das Gefühl' der Gleichheit ist so stark, daß das Gefühl des Ich unter der absoluten Herr¬ schaft des Gesetzes, der Disciplin völlig verschwindet. Welchen Feinden könnten solche Soldaten wol nachstehen? Welche menschliche Kraft vermöchte wol Soldaten Widerstand zu leisten, die ihren Vorgesetzten gleich stehen, die alle Helden sind!?"") Dieselbe Zeitschrift brachte an anderer Stelle***) eine den französischen Zuständen sogar noch lebhafter zustimmende Besprechung desselben Themas, die sich zugleich schroff ablehnend gegen preußisches Wesen richtete. Da heißt es: „Die französische Armee ist die am meisten demokratische der Welt: Muth, Arbeit, Kenntnisse führen unbedingt zu allen Graden; die Car¬ riere ist unbegrenzt. Seit langer Zeit hat der französische Soldat volle bür¬ gerliche Würde; er gehorcht ohne Widerstreben; denn vielleicht befiehlt er selbst ja schon am folgenden Tag. Er und der Officier sind eines Stammes; herz¬ liche Vertraulichkeit mindert die Herbigkeit des Befehls. Der aus der Truppe emporsteigende Mann wechselt nicht, so zu sagen, seine ganze Atmosphäre. In Preußen dagegen ist das Avancement von Unterofsicieren lächerlich; hoch- müthige Traditionen verdammen sie, isolirt zu vegetiren, wenn sie je zum Epaulett gelangen. Unsere Soldaten sind die Gefährten ihrer Officiere, die preußischen nur Fußschemel derselben." Dieser sanguinischen Anschauungsweise stehen aber andere Urtheile schroff gegenüber. Schon Marschall Bugeaud sagt, daß der französische Soldat Befehle in der Regel nur dann befolgt, ") Berichte in der Leipziger Zeitung vom October I8KZ. °") Lonsiavrirtiou» <ze odsorv^lions sur lo nnzmoii-g militiürv: Eine militärische Denk¬ schrift von P. F. C. lEs ist dies eine olosstrtc Ueberhebung der liekmntcn Denkschrift des Prinzen Friedrich Karl von Prcnszcn.) 8irint-^Ä(!<imo!j: llssiü utopi^ne für I» nouvells loi militirire, 18t>9,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/102>, abgerufen am 22.07.2024.