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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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indem er den Soldaten übermäßig lange bei der Fahne behielt, legte einen
großen Theil der lebendigen Kräfte der Nation lahm und entfremdete sie auf
die Dauer ihrer natürlichen Bestimmung. In den Rengage's nun hat seine
Schule sich bis zur Gegenwart fortgesetzt und hat einen Staat im Staat ge¬
schaffen, der erfüllt ist von Ideen, die den sonst geltenden modernen Grund¬
sätzen feindlich gegenüber stehen.") -- Außer diesen Stellvertretern sind un¬
gefähr noch 8--10,000 Kinder von Soldaten und Marketenderinnen, die als
"onkants alö tronxv" von frühester Kindheit an in den Kasernen erzogen
werden und fast mit der Muttermilch schon militärische Gesinnungen eingesogen
haben, im Heere. Die meisten dieser ontants <Zcz troupo dienen als Unterof-
ficiere oder Gendarmen, während die Muthigsten und Fähigsten es bis zu
Officieren bringen. Sie athmen ganz denselben Geist wie die Grognards.

Als besonders eigenthümliches Element erscheinen die 30 bis 40 Tausend
Freiwillige ohne Stellvertretungsprämie, die als Söhne Fortunas im
Heere dienen. Es sind dies größtentheils junge wilde Bursche aus den ver¬
schiedensten Ständen, die daheim in der Werkstätte, oder dem Laden, oder der
Studirstube es nicht aushalten konnten und vom Waffenruhme und der Lust
nach kriegerischen Abenteuern getrieben, als gemeine Soldaten in das Heer
eintraten. Ihre Zahl ist jedoch in Abnahme begriffen. Vor 1852 meldeten
sich durchschnittlich jährlich 10,000; 1854 stieg die Zahl auf 21,955 ; dann fiel
sie 1856 auf 19,546, 1858 auf 11,845, 1859 sogar trotz des Krieges auf 2,244
und 1860 auf 2,192. Es scheint das ebensowol Folge des Stellvertreter¬
wesens zu sein als eine Abnahme der kriegerischen Neigungen der Franzosen
zu bedeuten. Die meisten Freiwilligen dienen bei der Artillerie, nur sehr wenige
bei der Reiterei. -- Gerade diese Classe von Soldaten bildet wesentlich mit
das unruhige, vorwärtstreibende, stets kriegerisch gesinnte Element des Heeres,
dessen Beispiel hierin ungemein ansteckend auf alle Uebrigen wirkt. Die
Meisten solcher Freiwilligen bringen es zu Unterofficier-, viele aber auch zu
Officierstellen. Auch diese Classe der Soldaten hegt nur äußerst geringe Sym¬
pathien für die übrige Bevölkerung und es schmeichelt ihrem militärischen
Stolze, solcher schroff gegenüberzustehen."**)

Zu diesen personellen Ursachen einer tiefgreifenden Entfremdung von
Heer und Volk gesellt sich nun noch eine locale: Der Wechsel der Gar¬
nisonen. Dieser ist so häufig, daß es selten vorkommt, daß ein Truppen¬
theil sich länger als zwei Jahre in derselben Stadt befindet. Eine Trennung




*) l^fett'es et'um xrisonnior ä<z xuvrro sur les ""pports as I'iU'nos svev Is, soeivtö vt
sur 1a i'noi'g"mi!Z!>,tIou av" t'ol'vo" miliUui'M su t'i'altes, von 157 V. (I^g Spsetittsur mili-
wirs 22. Vol.)
Berichte eines kundigen Beobachters in der Leipziger Zeitung vom October 186Z.

indem er den Soldaten übermäßig lange bei der Fahne behielt, legte einen
großen Theil der lebendigen Kräfte der Nation lahm und entfremdete sie auf
die Dauer ihrer natürlichen Bestimmung. In den Rengage's nun hat seine
Schule sich bis zur Gegenwart fortgesetzt und hat einen Staat im Staat ge¬
schaffen, der erfüllt ist von Ideen, die den sonst geltenden modernen Grund¬
sätzen feindlich gegenüber stehen.") — Außer diesen Stellvertretern sind un¬
gefähr noch 8—10,000 Kinder von Soldaten und Marketenderinnen, die als
„onkants alö tronxv" von frühester Kindheit an in den Kasernen erzogen
werden und fast mit der Muttermilch schon militärische Gesinnungen eingesogen
haben, im Heere. Die meisten dieser ontants <Zcz troupo dienen als Unterof-
ficiere oder Gendarmen, während die Muthigsten und Fähigsten es bis zu
Officieren bringen. Sie athmen ganz denselben Geist wie die Grognards.

Als besonders eigenthümliches Element erscheinen die 30 bis 40 Tausend
Freiwillige ohne Stellvertretungsprämie, die als Söhne Fortunas im
Heere dienen. Es sind dies größtentheils junge wilde Bursche aus den ver¬
schiedensten Ständen, die daheim in der Werkstätte, oder dem Laden, oder der
Studirstube es nicht aushalten konnten und vom Waffenruhme und der Lust
nach kriegerischen Abenteuern getrieben, als gemeine Soldaten in das Heer
eintraten. Ihre Zahl ist jedoch in Abnahme begriffen. Vor 1852 meldeten
sich durchschnittlich jährlich 10,000; 1854 stieg die Zahl auf 21,955 ; dann fiel
sie 1856 auf 19,546, 1858 auf 11,845, 1859 sogar trotz des Krieges auf 2,244
und 1860 auf 2,192. Es scheint das ebensowol Folge des Stellvertreter¬
wesens zu sein als eine Abnahme der kriegerischen Neigungen der Franzosen
zu bedeuten. Die meisten Freiwilligen dienen bei der Artillerie, nur sehr wenige
bei der Reiterei. — Gerade diese Classe von Soldaten bildet wesentlich mit
das unruhige, vorwärtstreibende, stets kriegerisch gesinnte Element des Heeres,
dessen Beispiel hierin ungemein ansteckend auf alle Uebrigen wirkt. Die
Meisten solcher Freiwilligen bringen es zu Unterofficier-, viele aber auch zu
Officierstellen. Auch diese Classe der Soldaten hegt nur äußerst geringe Sym¬
pathien für die übrige Bevölkerung und es schmeichelt ihrem militärischen
Stolze, solcher schroff gegenüberzustehen."**)

Zu diesen personellen Ursachen einer tiefgreifenden Entfremdung von
Heer und Volk gesellt sich nun noch eine locale: Der Wechsel der Gar¬
nisonen. Dieser ist so häufig, daß es selten vorkommt, daß ein Truppen¬
theil sich länger als zwei Jahre in derselben Stadt befindet. Eine Trennung




*) l^fett'es et'um xrisonnior ä<z xuvrro sur les »»pports as I'iU'nos svev Is, soeivtö vt
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/101>, abgerufen am 22.07.2024.