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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Mit Melchior Kraus, der neben Untergeordneten manch Treffliches schuf,
beginnt die bessere Zeit des Weimarischen Künstlerlebens. Und wenn
es charakteristisch ist, daß zunächst die einheimischen Künstler noch lange bei
allen Anregungen, die sie auch durch Stellung künstlerischer Preisfragen er¬
hielten, von Auswärtigen überflügelt wurden, so war doch Weimar ein be¬
deutender Mittelpunkt künstlerischen Strebens. In dem Maße als man sich
um den in vielfacher Beziehung anregenden und fördernden Hof und um
Goethes Kunstkreis schaarte, wirkte man auf Weimar und seine Bestrebungen.
Wer nennt all die Namen, an die sich so manche herrliche Leistung knüpft.
Ueberall kann man an künstlerischen Erzeugnissen den Gang der Entwickelung
sich vergegenwärtigen; es ist ein weiter mühevoller Weg, der von der tief
untersten Stufe zu den vollendetsten Werken weimarischer Künstler führt.

Von Einheimischen wirkte im vorigen Jahrhundert der fleißige Bild-.
Hauer Klauer, der 1789 mit dem Neptun auf dem Markte der Stadt die
erste Statue gab, und der die massenhaften Erzeugnisse seiner Kunst auch ge-
werbmäßig durch seine Toreutikawaarenfabrik vervielfältigte. Gerade in dem
gewerbsmäßigen Betrieb oocumentirte sich der Fortschritt. Vorzüglich drang
das Kunstgewerbe durch das Jndustriecomptoir in die breite Masse. Ber-
tuchs Bilderbuch nennen wir unter vielen bedeutenden Erzeugnissen, weil die
Kunst mit diesem ein vernachlässigtes Gebiet betrat. Es war das erste
deutsche Bilderbuch, das diesen Namen verdiente, leider aber durch die Gro߬
artigkeit seiner Anlage nicht so auf dem betretenen Gebiete wirkte, wie man
es um der Jugendbildung willen hätte wünschen mögen. Erinnern wir uns
an die elenden A-B-C-Bücher. an all die schlechten und unästhetischen Bilder
unserer Kinderjahre, so werden wir das Verdienst Bertuchs um so höher
schätzen, als man ihm in der Beschaffung besserer Bildungsmittel nacheiferte,
und vor allem richtige Vorstellungen durch correcte Abbildungen zu erzeugen
suchte. In kunstgewerblicher Hinsicht leistete Bertuchs Anstalt Großartiges,
bis 1806 wurden die meisten Karten in und für ganz Deutschland in seinem
Jndustriecomptoir gestochen; es beschäftigte nahe an 400 Personen, deren
Zahl mit der Schlacht von Jena sofort auf 180 sank. Später arbeiteten
über 100 "illuminirende Frauenzimmer," wie man diese zu nennen pflegte, in
dem Institute, die das Coloriren wie Bertuch meinte erst lernen müßten. Denn
was man mitunter unter Coloriren verstand, zeigte 1810 'ein von ihm pro-
dueirtes Buch, in welchem stand "Nelken werden gemalt wie Rosen, -- aber
anders."

Ueberall herrschte auf dem Kunstgebiete ein reges Leben. Die Anregungen,
die der Schloßbau bis zu dem Anbau des linken Schloßflügels mit den Dichter¬
zimmern gab, wirkte unglaublich auf die Bestrebungen. Daher die Menge
von Namen, welche in den verschiedensten Richtungen in der Plastik, Stein-


Mit Melchior Kraus, der neben Untergeordneten manch Treffliches schuf,
beginnt die bessere Zeit des Weimarischen Künstlerlebens. Und wenn
es charakteristisch ist, daß zunächst die einheimischen Künstler noch lange bei
allen Anregungen, die sie auch durch Stellung künstlerischer Preisfragen er¬
hielten, von Auswärtigen überflügelt wurden, so war doch Weimar ein be¬
deutender Mittelpunkt künstlerischen Strebens. In dem Maße als man sich
um den in vielfacher Beziehung anregenden und fördernden Hof und um
Goethes Kunstkreis schaarte, wirkte man auf Weimar und seine Bestrebungen.
Wer nennt all die Namen, an die sich so manche herrliche Leistung knüpft.
Ueberall kann man an künstlerischen Erzeugnissen den Gang der Entwickelung
sich vergegenwärtigen; es ist ein weiter mühevoller Weg, der von der tief
untersten Stufe zu den vollendetsten Werken weimarischer Künstler führt.

Von Einheimischen wirkte im vorigen Jahrhundert der fleißige Bild-.
Hauer Klauer, der 1789 mit dem Neptun auf dem Markte der Stadt die
erste Statue gab, und der die massenhaften Erzeugnisse seiner Kunst auch ge-
werbmäßig durch seine Toreutikawaarenfabrik vervielfältigte. Gerade in dem
gewerbsmäßigen Betrieb oocumentirte sich der Fortschritt. Vorzüglich drang
das Kunstgewerbe durch das Jndustriecomptoir in die breite Masse. Ber-
tuchs Bilderbuch nennen wir unter vielen bedeutenden Erzeugnissen, weil die
Kunst mit diesem ein vernachlässigtes Gebiet betrat. Es war das erste
deutsche Bilderbuch, das diesen Namen verdiente, leider aber durch die Gro߬
artigkeit seiner Anlage nicht so auf dem betretenen Gebiete wirkte, wie man
es um der Jugendbildung willen hätte wünschen mögen. Erinnern wir uns
an die elenden A-B-C-Bücher. an all die schlechten und unästhetischen Bilder
unserer Kinderjahre, so werden wir das Verdienst Bertuchs um so höher
schätzen, als man ihm in der Beschaffung besserer Bildungsmittel nacheiferte,
und vor allem richtige Vorstellungen durch correcte Abbildungen zu erzeugen
suchte. In kunstgewerblicher Hinsicht leistete Bertuchs Anstalt Großartiges,
bis 1806 wurden die meisten Karten in und für ganz Deutschland in seinem
Jndustriecomptoir gestochen; es beschäftigte nahe an 400 Personen, deren
Zahl mit der Schlacht von Jena sofort auf 180 sank. Später arbeiteten
über 100 „illuminirende Frauenzimmer," wie man diese zu nennen pflegte, in
dem Institute, die das Coloriren wie Bertuch meinte erst lernen müßten. Denn
was man mitunter unter Coloriren verstand, zeigte 1810 'ein von ihm pro-
dueirtes Buch, in welchem stand „Nelken werden gemalt wie Rosen, — aber
anders."

Ueberall herrschte auf dem Kunstgebiete ein reges Leben. Die Anregungen,
die der Schloßbau bis zu dem Anbau des linken Schloßflügels mit den Dichter¬
zimmern gab, wirkte unglaublich auf die Bestrebungen. Daher die Menge
von Namen, welche in den verschiedensten Richtungen in der Plastik, Stein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/68>, abgerufen am 25.08.2024.