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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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glaubte man die großen und kleinen Barfüßer, und die mangelhaft Gekleideten
vom Festzuge ausschließen zu müssen, während Niemand anders als die Zög¬
linge die Kosten für die Illumination des Gymnasiums zu tragen hatten.
In der Bevölkerung lebte zwar der Drang nach Besserung des Schulwesens,
aber die höhern Stände schlössen sich vom Gymnasium aus, die Privatlehrer
und Winkelschulen schössen daher wie Pilze aus der Erde, ohne daß der Staat
sie beaufsichtigte. Der Ruf der Stadt zog manche Lehrkräfte an, das heute
blühende Pensionswesen schlug im Beginn des Jahrhunderts seine festen
Wurzeln, aber all diese Anstalten lassen sich wegen fehlender Staatsaufsicht
ihrer Zahl und Wirksamkeit nach nicht völlig ergründen. Das Melos'sche
Institut für junge Mädchen lehrte Naturgeschichte bloß deßhalb, um den
herrschenden Aberglauben zu beseitigen; es gab Schulen für den Orleanser,
Pariser und Bourgogner Dialekt, sogar eine Militairschule des Franzosen
?errill-?g,ri^oil, der eine Militairzeitung herausgab; aber all diese Erscheinungen
blieben ephemere, theils weil das größere Bedürfniß theils weil die nöthige Vor¬
bildung fehlte. Und so ging es bis 1828 an gewaltige Reformen des
gesammten Schulwesens, man reinigte das Gymnasium von den Seminaristen,
trennte die Volksschule von dieser Anstalt und gab sie selbst ihren eigensten
höheren Zwecken wieder. Hatte der Gymnasiallehrer seit 1768 eine bedeutendere
sociale Stellung gewonnen -- damals stand er in der Rangesordnung noch
unter dem Hoftrompeter --, so war sein Amt jetzt darum noch kein
beneidenswerthes; ö Lehrer unterrichteten über 400 Köpfe, höchstens daß einige
Seminaristen helfend beisprangen, welche für die Stunde 6--7 Pfennige er¬
hielten, und in damaliger Zeit mehr Stunden gaben, als sie vom Staate zur
eignen Ausbildung empfingen. Erst mit der Begründung der Bürgerschule
ging es aufwärts, das Seminar war in seine Bahnen geleitet, wenn man es
der Schülerzahl nach auch beschränkte, weil das Bedürfniß für die Volksschule
gedeckt war; und diese breitete sich aus, weil man nicht wie bisher genöthigt
war, aus Mangel an Raum nur die ältesten Kinder zuzulassen, während
jetzt das Gymnasium unbeirrt an die Lösung seiner höhern Aufgaben heran¬
treten konnte, die scharf bestimmt eine gewaltige, hier nicht zu behandelnde
innere Reorganisation bedingten. Der 3. September 1825, an dem die erste
Bürgerschule eingeweiht wurde, ist einer der größten Tage in der Wei¬
marischen Culturgeschichte, mit ihr war erst die sichere Basis dafür möglich
geworden, unsern Culturbestrebungen von unten auf eine breite sichere Grundlage
zu geben.

Von anderen öffentlichen und privaten Bildungsmitteln erwähnen wir
kurz das im vorigen Jahrhundert gegründete freie Zeicheninstitut als
eine Anstalt für Geschmacksbildung als Vorschule künstlerischer Leistungen.
Ihre jährigen Ausstellungen regten weiterund weiter an; Schiller macht 1794


glaubte man die großen und kleinen Barfüßer, und die mangelhaft Gekleideten
vom Festzuge ausschließen zu müssen, während Niemand anders als die Zög¬
linge die Kosten für die Illumination des Gymnasiums zu tragen hatten.
In der Bevölkerung lebte zwar der Drang nach Besserung des Schulwesens,
aber die höhern Stände schlössen sich vom Gymnasium aus, die Privatlehrer
und Winkelschulen schössen daher wie Pilze aus der Erde, ohne daß der Staat
sie beaufsichtigte. Der Ruf der Stadt zog manche Lehrkräfte an, das heute
blühende Pensionswesen schlug im Beginn des Jahrhunderts seine festen
Wurzeln, aber all diese Anstalten lassen sich wegen fehlender Staatsaufsicht
ihrer Zahl und Wirksamkeit nach nicht völlig ergründen. Das Melos'sche
Institut für junge Mädchen lehrte Naturgeschichte bloß deßhalb, um den
herrschenden Aberglauben zu beseitigen; es gab Schulen für den Orleanser,
Pariser und Bourgogner Dialekt, sogar eine Militairschule des Franzosen
?errill-?g,ri^oil, der eine Militairzeitung herausgab; aber all diese Erscheinungen
blieben ephemere, theils weil das größere Bedürfniß theils weil die nöthige Vor¬
bildung fehlte. Und so ging es bis 1828 an gewaltige Reformen des
gesammten Schulwesens, man reinigte das Gymnasium von den Seminaristen,
trennte die Volksschule von dieser Anstalt und gab sie selbst ihren eigensten
höheren Zwecken wieder. Hatte der Gymnasiallehrer seit 1768 eine bedeutendere
sociale Stellung gewonnen — damals stand er in der Rangesordnung noch
unter dem Hoftrompeter —, so war sein Amt jetzt darum noch kein
beneidenswerthes; ö Lehrer unterrichteten über 400 Köpfe, höchstens daß einige
Seminaristen helfend beisprangen, welche für die Stunde 6—7 Pfennige er¬
hielten, und in damaliger Zeit mehr Stunden gaben, als sie vom Staate zur
eignen Ausbildung empfingen. Erst mit der Begründung der Bürgerschule
ging es aufwärts, das Seminar war in seine Bahnen geleitet, wenn man es
der Schülerzahl nach auch beschränkte, weil das Bedürfniß für die Volksschule
gedeckt war; und diese breitete sich aus, weil man nicht wie bisher genöthigt
war, aus Mangel an Raum nur die ältesten Kinder zuzulassen, während
jetzt das Gymnasium unbeirrt an die Lösung seiner höhern Aufgaben heran¬
treten konnte, die scharf bestimmt eine gewaltige, hier nicht zu behandelnde
innere Reorganisation bedingten. Der 3. September 1825, an dem die erste
Bürgerschule eingeweiht wurde, ist einer der größten Tage in der Wei¬
marischen Culturgeschichte, mit ihr war erst die sichere Basis dafür möglich
geworden, unsern Culturbestrebungen von unten auf eine breite sichere Grundlage
zu geben.

Von anderen öffentlichen und privaten Bildungsmitteln erwähnen wir
kurz das im vorigen Jahrhundert gegründete freie Zeicheninstitut als
eine Anstalt für Geschmacksbildung als Vorschule künstlerischer Leistungen.
Ihre jährigen Ausstellungen regten weiterund weiter an; Schiller macht 1794


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/66>, abgerufen am 25.08.2024.