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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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livrer zu Gunsten Polens, welche von den Socialdemokraten mit ihren Be¬
strebungen verquickt wurden. Der 13. Mai, an welchem die Pöbelrotten der
Nationalwerkstätten, oder vielmehr Nationalfaulenzerstätten, in tumultarischer
Wuth die Nationalversammlung stürmten, war die Krisis dieser Bestrebungen.
Da verlangte Blanqui von der Tribüne, daß die Nationalversammlung be¬
schließe: Frankreich werde seinen Degen nicht in die Scheide stecken, bevor
nicht Polen, ganz Polen hergestellt sei, und daß sie sich immeämtemont mit
der "Wiedererschaffung" von Arbeit befaßt; da forderte Barbes "as voter Is
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sur les riekes. Die Rettung der Versammlung geschah durch die Mobil¬
garde, die vermöge ihrer streng militärischen Organisation in kürzester Frist
marschfertig war und die von Lamartine, der ein Dragonerpferd bestieg, eilig
herangeführt ward. Die Nationalgarde hatte dagegen weder eine feste Organi¬
sation noch einen eigentlichen Oberbefehlshaber, da der an ihre Spitze gestellte
General Curtais wegen seines Liebäugelns mit den Socialdemokraten von
seinen eigenen Leuten tumultuarisch des Commandos verlustig erklärt, gemi߬
handelt und gefangen gesetzt worden war. An seine Stelle wurde Clemens
Thomas, ein Republikaner alten Schlages, ernannt, welcher die "auf brei¬
tester Grundlage" begonnene Reorganisation der Nationalgarde rüstig weiter
führte

Unterdessen hatte sich die Zahl der brodlosen, von der Regierung unter¬
haltenen Arbeiter ungeheuer vermehrt: 17000 am 2. März, waren es 107,000
am 20. Juni. Mehr als 100,000 Menschen wurden bei einem Tagelohn von
2 Fras. zu völlig unnützen Erdarbeiten verwendet. Dieser Zustand konnte
natürlich nicht andauern. Die Regierung stellte den Arbeitern die Wahl:
entweder sollten sie nach der Sologne ziehen, um dort wichtige Entsumpfungs-
arbeiten vorzunehmen, oder, sie sollten sich für die Armee anwerben
lassen. Das aber wollten die "Arbeiter" keineswegs. Sie fühlten sich als
Macht. Eine Art esprit Ze ovi'ps Halle sich in diesem Lager der Nutzlosig¬
keit entwickelt, die Prätorianer des Schubkarrens bildeten eine Armee, die sich
in Hauptmannschaften und Brigaden theilte, und diese erhob sich jetzt wie mit
der dämonischen Energie einer Naturgewalt. Die bonapartistische Propaganda
spielte den Ohrenbläser und fachte die Glut zu lodernden Flammen an. Tag
für Tag brachte der "^gpoleon repudliegin" die wildesten Wüht- und Hetz-
artikel; nicht umsonst forderte er die Mobilgarde auf, sie solle ihre Kameraden
von der Linie darüber belehren, daß "ig. tvrrsur bourgeoiss" sie, die Solda¬
ten, zu Henkern ihrer Brüder, der Arbeiter machen wolle. -- Bei den Nach"
wählen zur Nationalversammlung war der Name Louis Napoleon's aus der



*) v. Rochau a. a. O.

livrer zu Gunsten Polens, welche von den Socialdemokraten mit ihren Be¬
strebungen verquickt wurden. Der 13. Mai, an welchem die Pöbelrotten der
Nationalwerkstätten, oder vielmehr Nationalfaulenzerstätten, in tumultarischer
Wuth die Nationalversammlung stürmten, war die Krisis dieser Bestrebungen.
Da verlangte Blanqui von der Tribüne, daß die Nationalversammlung be¬
schließe: Frankreich werde seinen Degen nicht in die Scheide stecken, bevor
nicht Polen, ganz Polen hergestellt sei, und daß sie sich immeämtemont mit
der „Wiedererschaffung" von Arbeit befaßt; da forderte Barbes „as voter Is
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sur les riekes. Die Rettung der Versammlung geschah durch die Mobil¬
garde, die vermöge ihrer streng militärischen Organisation in kürzester Frist
marschfertig war und die von Lamartine, der ein Dragonerpferd bestieg, eilig
herangeführt ward. Die Nationalgarde hatte dagegen weder eine feste Organi¬
sation noch einen eigentlichen Oberbefehlshaber, da der an ihre Spitze gestellte
General Curtais wegen seines Liebäugelns mit den Socialdemokraten von
seinen eigenen Leuten tumultuarisch des Commandos verlustig erklärt, gemi߬
handelt und gefangen gesetzt worden war. An seine Stelle wurde Clemens
Thomas, ein Republikaner alten Schlages, ernannt, welcher die „auf brei¬
tester Grundlage" begonnene Reorganisation der Nationalgarde rüstig weiter
führte

Unterdessen hatte sich die Zahl der brodlosen, von der Regierung unter¬
haltenen Arbeiter ungeheuer vermehrt: 17000 am 2. März, waren es 107,000
am 20. Juni. Mehr als 100,000 Menschen wurden bei einem Tagelohn von
2 Fras. zu völlig unnützen Erdarbeiten verwendet. Dieser Zustand konnte
natürlich nicht andauern. Die Regierung stellte den Arbeitern die Wahl:
entweder sollten sie nach der Sologne ziehen, um dort wichtige Entsumpfungs-
arbeiten vorzunehmen, oder, sie sollten sich für die Armee anwerben
lassen. Das aber wollten die „Arbeiter" keineswegs. Sie fühlten sich als
Macht. Eine Art esprit Ze ovi'ps Halle sich in diesem Lager der Nutzlosig¬
keit entwickelt, die Prätorianer des Schubkarrens bildeten eine Armee, die sich
in Hauptmannschaften und Brigaden theilte, und diese erhob sich jetzt wie mit
der dämonischen Energie einer Naturgewalt. Die bonapartistische Propaganda
spielte den Ohrenbläser und fachte die Glut zu lodernden Flammen an. Tag
für Tag brachte der „^gpoleon repudliegin" die wildesten Wüht- und Hetz-
artikel; nicht umsonst forderte er die Mobilgarde auf, sie solle ihre Kameraden
von der Linie darüber belehren, daß „ig. tvrrsur bourgeoiss" sie, die Solda¬
ten, zu Henkern ihrer Brüder, der Arbeiter machen wolle. — Bei den Nach«
wählen zur Nationalversammlung war der Name Louis Napoleon's aus der



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[0511] livrer zu Gunsten Polens, welche von den Socialdemokraten mit ihren Be¬ strebungen verquickt wurden. Der 13. Mai, an welchem die Pöbelrotten der Nationalwerkstätten, oder vielmehr Nationalfaulenzerstätten, in tumultarischer Wuth die Nationalversammlung stürmten, war die Krisis dieser Bestrebungen. Da verlangte Blanqui von der Tribüne, daß die Nationalversammlung be¬ schließe: Frankreich werde seinen Degen nicht in die Scheide stecken, bevor nicht Polen, ganz Polen hergestellt sei, und daß sie sich immeämtemont mit der „Wiedererschaffung" von Arbeit befaßt; da forderte Barbes „as voter Is clüpgrt imm6äig.t et'uro grmös xour ig, I'oloANö und un imxot ä'un williarcl sur les riekes. Die Rettung der Versammlung geschah durch die Mobil¬ garde, die vermöge ihrer streng militärischen Organisation in kürzester Frist marschfertig war und die von Lamartine, der ein Dragonerpferd bestieg, eilig herangeführt ward. Die Nationalgarde hatte dagegen weder eine feste Organi¬ sation noch einen eigentlichen Oberbefehlshaber, da der an ihre Spitze gestellte General Curtais wegen seines Liebäugelns mit den Socialdemokraten von seinen eigenen Leuten tumultuarisch des Commandos verlustig erklärt, gemi߬ handelt und gefangen gesetzt worden war. An seine Stelle wurde Clemens Thomas, ein Republikaner alten Schlages, ernannt, welcher die „auf brei¬ tester Grundlage" begonnene Reorganisation der Nationalgarde rüstig weiter führte Unterdessen hatte sich die Zahl der brodlosen, von der Regierung unter¬ haltenen Arbeiter ungeheuer vermehrt: 17000 am 2. März, waren es 107,000 am 20. Juni. Mehr als 100,000 Menschen wurden bei einem Tagelohn von 2 Fras. zu völlig unnützen Erdarbeiten verwendet. Dieser Zustand konnte natürlich nicht andauern. Die Regierung stellte den Arbeitern die Wahl: entweder sollten sie nach der Sologne ziehen, um dort wichtige Entsumpfungs- arbeiten vorzunehmen, oder, sie sollten sich für die Armee anwerben lassen. Das aber wollten die „Arbeiter" keineswegs. Sie fühlten sich als Macht. Eine Art esprit Ze ovi'ps Halle sich in diesem Lager der Nutzlosig¬ keit entwickelt, die Prätorianer des Schubkarrens bildeten eine Armee, die sich in Hauptmannschaften und Brigaden theilte, und diese erhob sich jetzt wie mit der dämonischen Energie einer Naturgewalt. Die bonapartistische Propaganda spielte den Ohrenbläser und fachte die Glut zu lodernden Flammen an. Tag für Tag brachte der „^gpoleon repudliegin" die wildesten Wüht- und Hetz- artikel; nicht umsonst forderte er die Mobilgarde auf, sie solle ihre Kameraden von der Linie darüber belehren, daß „ig. tvrrsur bourgeoiss" sie, die Solda¬ ten, zu Henkern ihrer Brüder, der Arbeiter machen wolle. — Bei den Nach« wählen zur Nationalversammlung war der Name Louis Napoleon's aus der *) v. Rochau a. a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/511>, abgerufen am 25.08.2024.