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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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bald da capitulirte eine Compagnie oder kehrte ein Bataillon die Gewehr¬
kolben in die Höhe. Die Truppen wollten sich gegen die "Bärenmützen"
nicht schlagen, die Bären aber sympathisirten mit den Blousen. Vergebens,
daß die Königin ihren Gemahl beredete, in großer Uniform zu Pferde zu stei¬
gen und die auf dem Carrousfelplatz aufgestellten Truppen durch seine Gegen¬
wart zu "electrisiren". Sie wollten schon lange nichts mehr wissen von dem
"Roi-Bourgeois"^ Einzig und allein die Munizipalgarde war entschlossen, zu
fechten, jenes tüchtige aus Unteroffizieren gebildete Polizei-Corps, von dem am
Chateaud'can eine Compagnie in unmittelbarer Nähe großer unthätig zu¬
schauender Truppenmassen nach ruhmvollen Widerstande vom Pöbel hinge¬
schlachtet wurde und das ein sehr unverdächtiger Zeuge") zwar als "die Blüthe
der Schnauzbartbrutalität" aber auch als die höchste Potenz soldatischen Ehr-
und Pflichtgefühls bezeichnet. "Hätten die Minister, die Generale, die Wür¬
denträger, alle die Anhänger und Säulen des "Systems" nur den hundertsten
Theil des Muthes, der Hingebung und Ausdauer dieser Soldaten bewährt,
die Jnsurrection würde nicht siegreich in die Tuilerien eingezogen sein." Aber
weder in der Armee noch in der Nationalgarde war von diesen Eigenschaften
etwas zu spüren. Es ist bezeichnend, daß während der Februartage Alles in
Allem nur 72 Soldaten gefallen sind, worunter 4 Offiziere; und Louis Phi¬
lipp charakterisirte die Lage ganz richtig, wenn er später zu Claremont
äußerte: "Man hat behauptet, ich hätte Befehl gegeben, das Feuer einzu¬
stellen; das ist unwahr. Wozu auch ein solcher Befehl? Er lag ja in der
Luft."**) -- Unter dem Commando des Herzogs Nemours, des einzigen Or¬
leans, der an diesem Tage seine Pflicht that, zogen sich die Truppen in den
Tuilerienhof zurück, und, gedeckt von zwei Schwadronen Cürassieren, floh der
Bürgerkönig im Fiacre davon.

Wenn man die Haltung der Armee während der Februarumwälzung mit
einem Worte kennzeichnen will, so muß man sie blasirt nennen. Ohne
jedes Gefühl für Ehre und Treue, gleichgiltig sowohl gegen das entartete Kö¬
nigthum wie gegen die in ihren Zielen ja ganz unklare Revolution, läßt sie
Alles gehn, wie es will. Jenes zerlumpte Gefindel, welches so manchen, ehren¬
volle Narben tragenden Veteranen mit Faustschlägen tractirte, jene Gamins,
welche graubärtige Generale vom Pferde rissen und auf dem Pflaster mißhan¬
delten, sie übten eine gemeine und niederträchtige, leider aber zutreffende Kri¬
tik der Armee aus.

Die provisorische Regierung wandte sich sofort mit einem, der Feder La¬
martine's entstammenden Aufruf an das Heer, in welchem es hieß: I^s pou^




Johannes Scherr: Von Achtundvicrzig bis Eimmdfünfzig.
") Vuvillisr-I'lsni^: ?oitrmt8. ?aris. 18K2.

bald da capitulirte eine Compagnie oder kehrte ein Bataillon die Gewehr¬
kolben in die Höhe. Die Truppen wollten sich gegen die „Bärenmützen"
nicht schlagen, die Bären aber sympathisirten mit den Blousen. Vergebens,
daß die Königin ihren Gemahl beredete, in großer Uniform zu Pferde zu stei¬
gen und die auf dem Carrousfelplatz aufgestellten Truppen durch seine Gegen¬
wart zu „electrisiren". Sie wollten schon lange nichts mehr wissen von dem
„Roi-Bourgeois"^ Einzig und allein die Munizipalgarde war entschlossen, zu
fechten, jenes tüchtige aus Unteroffizieren gebildete Polizei-Corps, von dem am
Chateaud'can eine Compagnie in unmittelbarer Nähe großer unthätig zu¬
schauender Truppenmassen nach ruhmvollen Widerstande vom Pöbel hinge¬
schlachtet wurde und das ein sehr unverdächtiger Zeuge") zwar als „die Blüthe
der Schnauzbartbrutalität" aber auch als die höchste Potenz soldatischen Ehr-
und Pflichtgefühls bezeichnet. „Hätten die Minister, die Generale, die Wür¬
denträger, alle die Anhänger und Säulen des „Systems" nur den hundertsten
Theil des Muthes, der Hingebung und Ausdauer dieser Soldaten bewährt,
die Jnsurrection würde nicht siegreich in die Tuilerien eingezogen sein." Aber
weder in der Armee noch in der Nationalgarde war von diesen Eigenschaften
etwas zu spüren. Es ist bezeichnend, daß während der Februartage Alles in
Allem nur 72 Soldaten gefallen sind, worunter 4 Offiziere; und Louis Phi¬
lipp charakterisirte die Lage ganz richtig, wenn er später zu Claremont
äußerte: „Man hat behauptet, ich hätte Befehl gegeben, das Feuer einzu¬
stellen; das ist unwahr. Wozu auch ein solcher Befehl? Er lag ja in der
Luft."**) — Unter dem Commando des Herzogs Nemours, des einzigen Or¬
leans, der an diesem Tage seine Pflicht that, zogen sich die Truppen in den
Tuilerienhof zurück, und, gedeckt von zwei Schwadronen Cürassieren, floh der
Bürgerkönig im Fiacre davon.

Wenn man die Haltung der Armee während der Februarumwälzung mit
einem Worte kennzeichnen will, so muß man sie blasirt nennen. Ohne
jedes Gefühl für Ehre und Treue, gleichgiltig sowohl gegen das entartete Kö¬
nigthum wie gegen die in ihren Zielen ja ganz unklare Revolution, läßt sie
Alles gehn, wie es will. Jenes zerlumpte Gefindel, welches so manchen, ehren¬
volle Narben tragenden Veteranen mit Faustschlägen tractirte, jene Gamins,
welche graubärtige Generale vom Pferde rissen und auf dem Pflaster mißhan¬
delten, sie übten eine gemeine und niederträchtige, leider aber zutreffende Kri¬
tik der Armee aus.

Die provisorische Regierung wandte sich sofort mit einem, der Feder La¬
martine's entstammenden Aufruf an das Heer, in welchem es hieß: I^s pou^




Johannes Scherr: Von Achtundvicrzig bis Eimmdfünfzig.
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[0507] bald da capitulirte eine Compagnie oder kehrte ein Bataillon die Gewehr¬ kolben in die Höhe. Die Truppen wollten sich gegen die „Bärenmützen" nicht schlagen, die Bären aber sympathisirten mit den Blousen. Vergebens, daß die Königin ihren Gemahl beredete, in großer Uniform zu Pferde zu stei¬ gen und die auf dem Carrousfelplatz aufgestellten Truppen durch seine Gegen¬ wart zu „electrisiren". Sie wollten schon lange nichts mehr wissen von dem „Roi-Bourgeois"^ Einzig und allein die Munizipalgarde war entschlossen, zu fechten, jenes tüchtige aus Unteroffizieren gebildete Polizei-Corps, von dem am Chateaud'can eine Compagnie in unmittelbarer Nähe großer unthätig zu¬ schauender Truppenmassen nach ruhmvollen Widerstande vom Pöbel hinge¬ schlachtet wurde und das ein sehr unverdächtiger Zeuge") zwar als „die Blüthe der Schnauzbartbrutalität" aber auch als die höchste Potenz soldatischen Ehr- und Pflichtgefühls bezeichnet. „Hätten die Minister, die Generale, die Wür¬ denträger, alle die Anhänger und Säulen des „Systems" nur den hundertsten Theil des Muthes, der Hingebung und Ausdauer dieser Soldaten bewährt, die Jnsurrection würde nicht siegreich in die Tuilerien eingezogen sein." Aber weder in der Armee noch in der Nationalgarde war von diesen Eigenschaften etwas zu spüren. Es ist bezeichnend, daß während der Februartage Alles in Allem nur 72 Soldaten gefallen sind, worunter 4 Offiziere; und Louis Phi¬ lipp charakterisirte die Lage ganz richtig, wenn er später zu Claremont äußerte: „Man hat behauptet, ich hätte Befehl gegeben, das Feuer einzu¬ stellen; das ist unwahr. Wozu auch ein solcher Befehl? Er lag ja in der Luft."**) — Unter dem Commando des Herzogs Nemours, des einzigen Or¬ leans, der an diesem Tage seine Pflicht that, zogen sich die Truppen in den Tuilerienhof zurück, und, gedeckt von zwei Schwadronen Cürassieren, floh der Bürgerkönig im Fiacre davon. Wenn man die Haltung der Armee während der Februarumwälzung mit einem Worte kennzeichnen will, so muß man sie blasirt nennen. Ohne jedes Gefühl für Ehre und Treue, gleichgiltig sowohl gegen das entartete Kö¬ nigthum wie gegen die in ihren Zielen ja ganz unklare Revolution, läßt sie Alles gehn, wie es will. Jenes zerlumpte Gefindel, welches so manchen, ehren¬ volle Narben tragenden Veteranen mit Faustschlägen tractirte, jene Gamins, welche graubärtige Generale vom Pferde rissen und auf dem Pflaster mißhan¬ delten, sie übten eine gemeine und niederträchtige, leider aber zutreffende Kri¬ tik der Armee aus. Die provisorische Regierung wandte sich sofort mit einem, der Feder La¬ martine's entstammenden Aufruf an das Heer, in welchem es hieß: I^s pou^ Johannes Scherr: Von Achtundvicrzig bis Eimmdfünfzig. ") Vuvillisr-I'lsni^: ?oitrmt8. ?aris. 18K2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/507>, abgerufen am 23.07.2024.