Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.nicht vollkommen vollendet sein kann. In materieller Hinsicht, in der allge¬ Schon die bisherigen Erörterungen haben ein Licht auf die Beziehungen nicht vollkommen vollendet sein kann. In materieller Hinsicht, in der allge¬ Schon die bisherigen Erörterungen haben ein Licht auf die Beziehungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128420"/> <p xml:id="ID_1649" prev="#ID_1648"> nicht vollkommen vollendet sein kann. In materieller Hinsicht, in der allge¬<lb/> meinen Berufung aller Christen zur priesterlichen Würde, sodaß der Gegen¬<lb/> satz zwischen Priestern und Laien auf dem Unterschiede übertragner Functionen<lb/> ruht. So kommt Schleiermacher zu den zwei concreten Grundsätzen: 1) Die<lb/> Verfassung, die am meisten die freie Thätigkeit im Schriftverständniß befördert,<lb/> wird die beste sein. 2) Jede Verfassung, die das am meisten zur Anschauung<lb/> bringt, daß es keinen anderen Unterschied unter den evangelischen Christen<lb/> giebt, als den der übertragenen Ausrichtung gewisser Functionen, ist die beste,<lb/> weil in ihr keine Veranlassung liegen kann, den Gegenstand zwischen Clerus<lb/> und Laien anders als es der evangelischen Kirche gemäß ist, zu fassen. Messen<lb/> wir nun nach diesen Grundsätzen die verschiedenen Verfassungssysteme! In<lb/> der Episcopalverfassung wird der Gegensatz zwischen Clerus und Laien ge¬<lb/> spannt, weil Cleriker, nämlich die Bischöfe, allein das Kirchenregiment führen.<lb/> Auch wird hier die Entwicklung der Lehre wenig gefördert, weil das zu starke<lb/> monarchische Princip gestattet, den Lehrtypus des Bischofs in seiner Diöcese<lb/> zu fixiren, wenn nicht gar, bei größerer Analogie mit der katholischen Ver¬<lb/> fassung, die Bischöfe auch in bürgerlicher Hinsicht Aristokraten werden, die<lb/> kein Interesse daran haben, die Wissenschaft selbstthätig zu pflegen. In der<lb/> consistorialen Verfassung wird die Entwicklung der Lehre durch das Schrift¬<lb/> verständniß von der Persönlichkeit des Staatsoberhauptes abhängig gemacht<lb/> und unterliegt daher Schwankungen, die nicht aus dem Innern der Kirche<lb/> selbst hervorgehen. Was aber den Gegensatz von Clerus und Laien anlangt,<lb/> so wird er vernichtet, indem beide als Unterthanen angesehen werden. In<lb/> der Presbyterialverfassung dagegen ist der Gegensatz von Clerus und Laien<lb/> vorhanden, aber ohne jegliche Spannung, da die Laien am Kirchenregiment<lb/> Theil nehmen. Und ebenso findet in der Entwicklung des Schriftverständnisses<lb/> eine Ausgleichung statt. Je mehr sich im Lehrstand eine zu rasche Bewegung<lb/> manifestirt, desto mehr pflegen die Weltlichen an dem alten fest zu halten;<lb/> und wenn der Lehrstand in die Trägheit verfällt, äußern sich desto mehr Be¬<lb/> wegungen in dem Weltlichen und kommen durch sie ins Kirchenregiment hin¬<lb/> ein. So gelangt Schleiermacher zu dem principiell und geschichtlich begrün¬<lb/> deten Resultat, daß die Presbyterialverfassung als die erscheint, die am<lb/> meisten den Grund zu einer ruhigen Entwicklung und festen Existenz in sich<lb/> trägt. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1650" next="#ID_1651"> Schon die bisherigen Erörterungen haben ein Licht auf die Beziehungen<lb/> fallen lassen, in welche Schleiermacher die Kirche zum Staat gestellt wissen<lb/> will; es wird aber nöthig sein, wie es auch Schleiermacher gethan hat, diesen<lb/> Zusammenhang bestimmter zu erkennen. Ein Staat kann von drei Gesichts¬<lb/> puncten aus den Werth der Frömmigkeit bestimmen. Er kann sagen, es giebt<lb/> so viele Motive, die wir in Bewegung setzen können, um das Volk zu dem,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0492]
nicht vollkommen vollendet sein kann. In materieller Hinsicht, in der allge¬
meinen Berufung aller Christen zur priesterlichen Würde, sodaß der Gegen¬
satz zwischen Priestern und Laien auf dem Unterschiede übertragner Functionen
ruht. So kommt Schleiermacher zu den zwei concreten Grundsätzen: 1) Die
Verfassung, die am meisten die freie Thätigkeit im Schriftverständniß befördert,
wird die beste sein. 2) Jede Verfassung, die das am meisten zur Anschauung
bringt, daß es keinen anderen Unterschied unter den evangelischen Christen
giebt, als den der übertragenen Ausrichtung gewisser Functionen, ist die beste,
weil in ihr keine Veranlassung liegen kann, den Gegenstand zwischen Clerus
und Laien anders als es der evangelischen Kirche gemäß ist, zu fassen. Messen
wir nun nach diesen Grundsätzen die verschiedenen Verfassungssysteme! In
der Episcopalverfassung wird der Gegensatz zwischen Clerus und Laien ge¬
spannt, weil Cleriker, nämlich die Bischöfe, allein das Kirchenregiment führen.
Auch wird hier die Entwicklung der Lehre wenig gefördert, weil das zu starke
monarchische Princip gestattet, den Lehrtypus des Bischofs in seiner Diöcese
zu fixiren, wenn nicht gar, bei größerer Analogie mit der katholischen Ver¬
fassung, die Bischöfe auch in bürgerlicher Hinsicht Aristokraten werden, die
kein Interesse daran haben, die Wissenschaft selbstthätig zu pflegen. In der
consistorialen Verfassung wird die Entwicklung der Lehre durch das Schrift¬
verständniß von der Persönlichkeit des Staatsoberhauptes abhängig gemacht
und unterliegt daher Schwankungen, die nicht aus dem Innern der Kirche
selbst hervorgehen. Was aber den Gegensatz von Clerus und Laien anlangt,
so wird er vernichtet, indem beide als Unterthanen angesehen werden. In
der Presbyterialverfassung dagegen ist der Gegensatz von Clerus und Laien
vorhanden, aber ohne jegliche Spannung, da die Laien am Kirchenregiment
Theil nehmen. Und ebenso findet in der Entwicklung des Schriftverständnisses
eine Ausgleichung statt. Je mehr sich im Lehrstand eine zu rasche Bewegung
manifestirt, desto mehr pflegen die Weltlichen an dem alten fest zu halten;
und wenn der Lehrstand in die Trägheit verfällt, äußern sich desto mehr Be¬
wegungen in dem Weltlichen und kommen durch sie ins Kirchenregiment hin¬
ein. So gelangt Schleiermacher zu dem principiell und geschichtlich begrün¬
deten Resultat, daß die Presbyterialverfassung als die erscheint, die am
meisten den Grund zu einer ruhigen Entwicklung und festen Existenz in sich
trägt. —
Schon die bisherigen Erörterungen haben ein Licht auf die Beziehungen
fallen lassen, in welche Schleiermacher die Kirche zum Staat gestellt wissen
will; es wird aber nöthig sein, wie es auch Schleiermacher gethan hat, diesen
Zusammenhang bestimmter zu erkennen. Ein Staat kann von drei Gesichts¬
puncten aus den Werth der Frömmigkeit bestimmen. Er kann sagen, es giebt
so viele Motive, die wir in Bewegung setzen können, um das Volk zu dem,
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