Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.Ich dachte, Sie hätten hier eine feierliche altherkömmliche Form dafür,- da Auf der Universitäts- oder Stadtbibliothek zu Breslau, die ich seit Wochen Ich dachte, Sie hätten hier eine feierliche altherkömmliche Form dafür,- da Auf der Universitäts- oder Stadtbibliothek zu Breslau, die ich seit Wochen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128398"/> <p xml:id="ID_1592" prev="#ID_1591"> Ich dachte, Sie hätten hier eine feierliche altherkömmliche Form dafür,- da<lb/> das aber nicht der Fall zu sein scheint, so will ich Ihnen in einigen Tagen<lb/> sagen, ob und in welcher Weise Sie dabei nöthig sind." Der Scharfrichter<lb/> ging, im vollen Bewußtsein, seine Zunftehre gegen ein höchst unziemliches<lb/> Attentat geschützt zu haben. Mit meiner Zunftehre stand es aber dafür um<lb/> so schlimmer, denn ich hatte mich inzwischen überzeugt, daß alle die Rechts¬<lb/> quellen, in denen ich eine Begriffsbestimmung des Staupenschlags zu finden<lb/> hoffte, darüber schwiegen, wie das Grab. Alle behandelten diese Art von<lb/> körperlicher Züchtigung, von der Carolina bis zum preußischen Landrecht, als<lb/> etwas so allgemein Bekanntes wie das tägliche Brot; aber in unsrer Zeit<lb/> wußte nicht einmal der Scharfrichter mehr etwas davon. Auch alle Hand¬<lb/> bücher über die Rechtsquellen, welche den Staupenschlag erwähnten, hüllten<lb/> sich in tiefstes vornehmstes Stillschweigen darüber, wie diese Strafe vollstreckt<lb/> werde. Ueber diesen Nachforschungen vergingen nicht blos Tage, sondern<lb/> Wochen. Die äußerste Frist, binnen welcher ich die zuerkannte Strafe zu voll¬<lb/> strecken hatte, war verstrichen, und ich so rathlos wie zuvor. Ich dachte und<lb/> träumte von nichts als von Staupenschlag. Jede amtliche Zusendung öffnete<lb/> ich mit Zittern und Zagen, weil sie eine Nase enthalten konnte, die bis ans<lb/> Ende meiner Tage reichte. Mein Zustand begann in ein gelindes Fieber<lb/> überzugehen. Da sandte mir der Himmel einen Retter in der Noth.</p><lb/> <p xml:id="ID_1593" next="#ID_1594"> Auf der Universitäts- oder Stadtbibliothek zu Breslau, die ich seit Wochen<lb/> vergebens nach „Staupenschlag" um und um durchsucht hatte, befand sich<lb/> damals als Bibliothekar ein junger katholischer Theologe, der durch geistvolle<lb/> kühne Schriften wider die römische Curie und durch seine gediegene Gelehr¬<lb/> samkeit eine vornehme Säule des deutschen Katholicismus war, und der heute<lb/> — eine sehr hohe und einflußreiche Stelle im Vatican selbst bekleidet. Sein Name<lb/> ist gleichgültig. Ich war mit ihm auf der Schule und Universität gewesen.<lb/> Er war im Mittelalter vortrefflich zu Hause, und belesen wie keiner. In<lb/> einer geheimen Nische der ehrwürdigen Räume der Bibliothek schüttete ich ihm<lb/> mein Herz aus. Er begriff meinen Kummer mit der ganzen fachwissenschaft-<lb/> lichen Theilnahme, deren mein Kummer würdig war. Es begann nun eine<lb/> vereinte Parforcejagd auf Staupenschlag in der ehrwürdigen Bibliothek; die<lb/> urältesten Schmöker auf den obersten und hintersten Bücherbrettern wurden<lb/> aus mehrhundertjährigem Schlaf gestört und verfinsterten mit ihrem Staub<lb/> die Luft. Alles ohne Erfolg. Das ganze canonische Reich, das echte und<lb/> unechte, das' ganze deutsche Strafrecht mit allen Commentatoren, Glossatoren<lb/> und Professoren, deren Werke hier der Unsterblichkeit entgegenschimmelten,<lb/> schwiegen um die Wette über „Staupenschlag". Mein eanonischer Freund<lb/> war nun schon so aufgeregt, wie ich. Er fühlte, daß am „Staupenschlag"<lb/> der ganze Ruhm seiner Belesenheit zu Schanden werden könne. Aber seine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0470]
Ich dachte, Sie hätten hier eine feierliche altherkömmliche Form dafür,- da
das aber nicht der Fall zu sein scheint, so will ich Ihnen in einigen Tagen
sagen, ob und in welcher Weise Sie dabei nöthig sind." Der Scharfrichter
ging, im vollen Bewußtsein, seine Zunftehre gegen ein höchst unziemliches
Attentat geschützt zu haben. Mit meiner Zunftehre stand es aber dafür um
so schlimmer, denn ich hatte mich inzwischen überzeugt, daß alle die Rechts¬
quellen, in denen ich eine Begriffsbestimmung des Staupenschlags zu finden
hoffte, darüber schwiegen, wie das Grab. Alle behandelten diese Art von
körperlicher Züchtigung, von der Carolina bis zum preußischen Landrecht, als
etwas so allgemein Bekanntes wie das tägliche Brot; aber in unsrer Zeit
wußte nicht einmal der Scharfrichter mehr etwas davon. Auch alle Hand¬
bücher über die Rechtsquellen, welche den Staupenschlag erwähnten, hüllten
sich in tiefstes vornehmstes Stillschweigen darüber, wie diese Strafe vollstreckt
werde. Ueber diesen Nachforschungen vergingen nicht blos Tage, sondern
Wochen. Die äußerste Frist, binnen welcher ich die zuerkannte Strafe zu voll¬
strecken hatte, war verstrichen, und ich so rathlos wie zuvor. Ich dachte und
träumte von nichts als von Staupenschlag. Jede amtliche Zusendung öffnete
ich mit Zittern und Zagen, weil sie eine Nase enthalten konnte, die bis ans
Ende meiner Tage reichte. Mein Zustand begann in ein gelindes Fieber
überzugehen. Da sandte mir der Himmel einen Retter in der Noth.
Auf der Universitäts- oder Stadtbibliothek zu Breslau, die ich seit Wochen
vergebens nach „Staupenschlag" um und um durchsucht hatte, befand sich
damals als Bibliothekar ein junger katholischer Theologe, der durch geistvolle
kühne Schriften wider die römische Curie und durch seine gediegene Gelehr¬
samkeit eine vornehme Säule des deutschen Katholicismus war, und der heute
— eine sehr hohe und einflußreiche Stelle im Vatican selbst bekleidet. Sein Name
ist gleichgültig. Ich war mit ihm auf der Schule und Universität gewesen.
Er war im Mittelalter vortrefflich zu Hause, und belesen wie keiner. In
einer geheimen Nische der ehrwürdigen Räume der Bibliothek schüttete ich ihm
mein Herz aus. Er begriff meinen Kummer mit der ganzen fachwissenschaft-
lichen Theilnahme, deren mein Kummer würdig war. Es begann nun eine
vereinte Parforcejagd auf Staupenschlag in der ehrwürdigen Bibliothek; die
urältesten Schmöker auf den obersten und hintersten Bücherbrettern wurden
aus mehrhundertjährigem Schlaf gestört und verfinsterten mit ihrem Staub
die Luft. Alles ohne Erfolg. Das ganze canonische Reich, das echte und
unechte, das' ganze deutsche Strafrecht mit allen Commentatoren, Glossatoren
und Professoren, deren Werke hier der Unsterblichkeit entgegenschimmelten,
schwiegen um die Wette über „Staupenschlag". Mein eanonischer Freund
war nun schon so aufgeregt, wie ich. Er fühlte, daß am „Staupenschlag"
der ganze Ruhm seiner Belesenheit zu Schanden werden könne. Aber seine
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