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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Gefährlichkeit hier selbst durch die Praxis der Rechtsprechung finden und feststellen
müssen. Die Gesetzgebung kann dies in solchen Fällen nicht. Alle sogenannten
Grundrechte stehen unter der Rechtsprechung der Verwaltung, d.h. die Verwaltung
regelt in jedem concreten Fall die Bedingungen, unter welchen die Grundrechte be¬
nutzt werden. Diese Thätigkeit der Verwaltung ist oder soll keine willkürliche
sein, sondern eine durch die Beschaffenheit der Verwaltungsorgane, welche die
richterlichen Bürgschaften gewähren müssen, und durch den gleichmäßigen Takt
der Praxis stetige. Nur daß die Regel der Stetigkeit nicht im Boraus durch
das Gesetz bezeichnet sein kann. Dafür hat man es mit dem Leben und seinen
im voraus und in kategorischer Form nicht faßbaren Maßbestimmungen zu
thun. Polizeiwirthschaft entsteht nur, wenn die Verwaltung und ihre Ent¬
scheidungen durch Parteiminister und deren durch keine richterlichen Bürgschaften
gebundenen Organe geübt wird. Am Schluß wies der Redner aufs neue über¬
zeugend nach, daß der Jesuitenorden nimmermehr als Verein, wie ihn preußische
und andere deutsche Staatsbürger auf Grund ihrer Landesgesetze bilden dürfen,
aufzufassen ist. Der Begriff eines solchen staatsbürgerlichen Vereines erheischt,
daß die Personen, die ihn bilden, ihre rechtliche Gleichheit wahren, sich nur
in beschränkter Weise, sowohl was die Zeit als den persönlichen Umfang der
Pflichten betrifft, binden. Wie paßt das Alles auf den Orden Jesu und
andere katholische Orden, mit ihren Gelübden ewigen Gehorsames, der die
ganze Persönlichkeit ergreift? Diese Orden sind hierarchische Kastenordnungen,
Institutionen des römischen Universalstaats, und nicht Vereine zu staatsbürger¬
lichen Zwecken beschränkten Umfanges, die ihrerseits in den Umfang des deutschen
Staates fallen.

Am 19. Juni brachte die dritte Lesung den dritten und letzten Tag der
Verhandlung. Zuerst trat Herr Laster in die parlamentarischen Schranken
um seine freiheitlich juristischen Bedenken niederzulegen. Auch er will die
Jesuiten bekämpfen, aber-- sonderbarer Schwärmer! -- dadurch, daß er ihnen
die volle Freiheit läßt, zu walten, wo der Staat nicht waltet oder sich mit
einigen äußerlichen Leistungen zufriedengestellt erklärt. Herr Laster glaubt an
die sogenannte Trennung der Kirche vom Staat, er glaubt daß hinter dieser
Phrase irgend ein praktischer Sinn gefunden werden kann. Er glaubt, wenn
der Staat z. B. die Elementarbildung von seinen Angehörigen fordert und
außerdem die Eingehung der Ehe unter den Formen der Civilstandsbeglaubigung,
daß dann von Staatswegen Alles geschehen ist, den Frieden und die Heiligkeit
des Familienlebens gegen die Ränke der Jesuiten und ähnlicher Institutionen
sicher zu stellen. Ein solcher Glaube versetzt freilich keine Berge, aber er lockert
die Schutzwehren der wahren Sittlichkeit, die nicht immer und überall auf die
individuelle Vorsicht und Umsicht ihrer Träger angewiesen bleiben kann. Sehr
schlagend entgegnete der Abgeordnete Dove auf die Klage des Herrn Laster,


Gefährlichkeit hier selbst durch die Praxis der Rechtsprechung finden und feststellen
müssen. Die Gesetzgebung kann dies in solchen Fällen nicht. Alle sogenannten
Grundrechte stehen unter der Rechtsprechung der Verwaltung, d.h. die Verwaltung
regelt in jedem concreten Fall die Bedingungen, unter welchen die Grundrechte be¬
nutzt werden. Diese Thätigkeit der Verwaltung ist oder soll keine willkürliche
sein, sondern eine durch die Beschaffenheit der Verwaltungsorgane, welche die
richterlichen Bürgschaften gewähren müssen, und durch den gleichmäßigen Takt
der Praxis stetige. Nur daß die Regel der Stetigkeit nicht im Boraus durch
das Gesetz bezeichnet sein kann. Dafür hat man es mit dem Leben und seinen
im voraus und in kategorischer Form nicht faßbaren Maßbestimmungen zu
thun. Polizeiwirthschaft entsteht nur, wenn die Verwaltung und ihre Ent¬
scheidungen durch Parteiminister und deren durch keine richterlichen Bürgschaften
gebundenen Organe geübt wird. Am Schluß wies der Redner aufs neue über¬
zeugend nach, daß der Jesuitenorden nimmermehr als Verein, wie ihn preußische
und andere deutsche Staatsbürger auf Grund ihrer Landesgesetze bilden dürfen,
aufzufassen ist. Der Begriff eines solchen staatsbürgerlichen Vereines erheischt,
daß die Personen, die ihn bilden, ihre rechtliche Gleichheit wahren, sich nur
in beschränkter Weise, sowohl was die Zeit als den persönlichen Umfang der
Pflichten betrifft, binden. Wie paßt das Alles auf den Orden Jesu und
andere katholische Orden, mit ihren Gelübden ewigen Gehorsames, der die
ganze Persönlichkeit ergreift? Diese Orden sind hierarchische Kastenordnungen,
Institutionen des römischen Universalstaats, und nicht Vereine zu staatsbürger¬
lichen Zwecken beschränkten Umfanges, die ihrerseits in den Umfang des deutschen
Staates fallen.

Am 19. Juni brachte die dritte Lesung den dritten und letzten Tag der
Verhandlung. Zuerst trat Herr Laster in die parlamentarischen Schranken
um seine freiheitlich juristischen Bedenken niederzulegen. Auch er will die
Jesuiten bekämpfen, aber— sonderbarer Schwärmer! — dadurch, daß er ihnen
die volle Freiheit läßt, zu walten, wo der Staat nicht waltet oder sich mit
einigen äußerlichen Leistungen zufriedengestellt erklärt. Herr Laster glaubt an
die sogenannte Trennung der Kirche vom Staat, er glaubt daß hinter dieser
Phrase irgend ein praktischer Sinn gefunden werden kann. Er glaubt, wenn
der Staat z. B. die Elementarbildung von seinen Angehörigen fordert und
außerdem die Eingehung der Ehe unter den Formen der Civilstandsbeglaubigung,
daß dann von Staatswegen Alles geschehen ist, den Frieden und die Heiligkeit
des Familienlebens gegen die Ränke der Jesuiten und ähnlicher Institutionen
sicher zu stellen. Ein solcher Glaube versetzt freilich keine Berge, aber er lockert
die Schutzwehren der wahren Sittlichkeit, die nicht immer und überall auf die
individuelle Vorsicht und Umsicht ihrer Träger angewiesen bleiben kann. Sehr
schlagend entgegnete der Abgeordnete Dove auf die Klage des Herrn Laster,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/47>, abgerufen am 02.10.2024.